Oberhausen. .

Genau einen Monat nach dem WM-Finalspiel ist das Interesse an Oktopus-Orakel Paul kaum abgeebbt. Doch auch wenn Paul zukünftig keine Vorhersagen mehr machen soll, tritt bald möglicherweise ein neuer Kraken in seine Fußstapfen.

Vor dem Eintrittsbereich des Sea Life Aquariums drängeln sich mehrere Hundert Menschen. Es regnet. Die Wartezeit, um ins Aquarium zu kommen – mindestens zwei Stunden. Die meisten Besucher nehmen das in Kauf, viele von ihnen sind aus ein und dem selben Grund angereist: Paul.

Auch einen Monat nach der Fußball Weltmeisterschaft hat das Interesse am Tintenfisch-Orakel, das den Ausgang aller deutschen WM-Spiele und das Finale richtig vorhersagte, kaum nachgelassen. Viele kommen von weit her, aus ganz Deutschland, den europäischen Nachbarländern – und natürlich aus dem Weltmeisterland Spanien – um dem berühmten Oktopus einen Besuch abzustatten.

Besucherstaus vor Pauls Becken

Pauls Becken zu finden ist in diesen Tagen nicht schwer, einen Blick auf den Kraken zu erhaschen dafür umso mehr. Bereits mehrere Meter vor Pauls Aquarium hat sich eine Traube aus wartenden Besuchern gebildet, vor dem Glasbecken drücken sich Kinder und Erwachsene die Nasen platt. „Seit der WM gibt es hier regelmäßig Besucherstaus“, weiß die stellvertretende Sea Life-Sprecherin Daniela Fuehrer. „Der Wunsch, ihn zu sehen, ist bei vielen so groß, dass sie oft stundenlang vor seinem Aquarium warten.“

So auch an diesem Mittwoch, auf den Tag genau einen Monat nach dem WM-Endspiel. Doch Paul lässt sich nicht blicken. Erst nach angestrengtem Suchen erkennen die Besucher, dass sich der normalerweise etwa handgroße Tintenfisch auf eine Größe von gerade mal zwei Daumenbreiten zusammengezogen und in eine Ecke seines Glasbeckens verkrochen hat. „Paul ist genervt“, sagt Tierpflegerin Gabi Barke, „in letzter Zeit kommt er oft nur morgens und spät abends aus seinem Versteck heraus.“ Den Grund dafür sieht die Tierpflegerin nicht so sehr in den regelmäßigen Besucherströmen. „Das Problem ist vor allem das Kamera-Blitzlicht.“ Denn Paul ist ein Foto-Magnet. Wie alle Tintenfische ist er aber sehr lichtempfindlich. „Das Blitzen erschreckt ihn“, weiß Gabi Barke.

Besucher aus Polen

Nicht umsonst herrscht im gesamten Aquarium ein Blitz-Verbot. „Viele Besucher halten sich allerdings nicht daran und sind dann enttäuscht, wenn die Tiere sich genervt in einen versteckten Winkel ihres Beckens verkriechen“, sagt Sea Life-Sprecherin Daniela Fuehrer.

Und frustrierte Besucher gibt es an diesem Tag viele. Andreas Kolpa ist mit seinem neunjährigen Sohn Kasper extra aus Polen angereist, um Paul endlich mal von Angesicht zu Angesicht zu sehen. „Wir kennen ihn nur aus dem Fernsehen und sind jetzt sehr enttäuscht, dass er sich die ganze Zeit in der Ecke versteckt“, sagt der Vater. Aber warten, bis sich Paul in die Mitte des Beckens bewegt und endlich in voller Größe entfaltet, das wollen die beiden trotzdem nicht.

Kein Zweifel an Pauls seherischen Fähigkeiten

Und obwohl der Besucherstrom vor Pauls Aquarium nicht abbricht – auf die Besucherzahlen niedergeschlagen hat sich der Hype um das Oktopus-Orakel laut Sea Life-Sprecherin Daniela Fuehrer trotzdem nicht: „Durch die Schulferien haben wir gerade Hochsaison, aber auch über das langjährige Mittel ist kein Unterschied in den Besucherzahlen spürbar.“ Merkliche Auswirkungen habe Pauls internationale Berühmtheit allerdings auf die Besucherstruktur: „Seit der WM sind viele Asiaten unter den Besuchern, die sich ja generell sehr für Orakel begeistern. Daneben kommen natürlich auch viele Spanier, um Paul für seine Vorhersage des WM-Sieges zu danken.“

Dabei sind orakelnde Meerestiere in der Sea Life-Geschichte nicht neu: „Wir küren in allen unseren deutschen Aquarien schon seit Jahren regelmäßig ein Orakel, dass die WM- oder EM-Spiele tippt“, erklärt Daniela Fuehrer. Doch so treffsicher wie Oktopus Paul war noch keines. Zweifel an Pauls seherischen Fähigkeiten hegt im Oberhausener Sea Life-Team deshalb schon lange niemand mehr. „Spätestens seit Paul den Sieg der Serben über Deutschland richtig vorhergesagt hat, bin ich davon überzeugt, dass er ein richtiges Orakel ist. Manchmal ließ sich sogar der spätere Spielverlauf daran erkennen, wie entschlossen Paul den jeweiligen Muschelbehälter öffnete“, erinnert sich Gabi Barke. So habe sich Paul vor dem Spiel der Deutschen gegen Ghana bedeutend schwerer bei der Wahl des „deutschen Muschelbehälters“ getan als im Vorfeld des Folgeturniers gegen England.

Paul soll Bundesligaergebnisse und Aktienkurse vorhersagen

Und nicht nur das Sea Life-Team ist von den seherischen Fähigkeiten des Tintenfisches überzeugt. Auch noch einen Monat nach der WM erreichen die Sea Life-Sprecher fast täglich Anfragen von Interessenten, die das Oktopus-Orakel zu den skurrilsten Dingen befragen wollen: „Spitzenreiter sind natürlich Anbieter von Bundesligawetten“, sagt Daniela Fuehrer. „Neulich wollte aber auch jemand Paul nach der Entwicklung von Aktienkursen befragen. Und auch wissen, ob sich Dollar oder Euro künftig stärker entwickeln.“

Doch: Auch wenn Paul ganz offensichtlich viel zum Bekanntheitsgrad des Sea Life und Oberhausens beigetragen hat: „Aufhören sollte man immer auf dem Karriere-Höhepunkt“, findet Daniela Fuehrer. Deshalb steigt Paul nun auch komplett aus dem Orakel-Geschäft aus und geht in seinen wohlverdienten Ruhestand. Den verbringt er aber nicht etwa in Gesellschaft einer netten Oktopus-Dame, denn: „Die meisten Tintenfisch-Arten sind absolute Einzelgänger. Und dazu gehört auch unser Paul“, erklärt Daniela Fuehrer. „Das heißt aber nicht, dass Kraken nicht voneinander lernen können, wenn man ihre Becken nebeneinander stellt.“ Ob bald also das nächste Oberhausener Tintenfisch-Orakel in Pauls Fußstapfen tritt? „Schauen wir mal...“. Genau einen Monat nach der WM ist Daniela Fuehrers Antwort darauf ebenso vage wie bedeutungsvoll.