Eingerahmt von Lichtsäulen sieht man ein Paar aneinandergeschmiegte Schlittschuhe. Ein Raunen geht durchs Publikum. Kommt sie nun? Die Ausnahmeläuferin, die wie keine andere mit femininer Ausdrucksstärke und technischer Brillanz jahrelang beeindruckte?
Frauenhände beginnen, die Schlittschuhe zu schnüren. Los geht's: Schritt für Schritt aufs Eis der Köpi Arena. Nancy Sinatras Popsong „These Boots Are Made for Walkin'” ertönt wuchtig. Voller Anmut gleitet sie übers glänzende Eis:„La Witt” ist da. Jetzt wird sie ihre letzten Pirouetten drehen. Die zweifache Olympiasiegerin und vierfache Weltmeisterin nimmt mit charmantem Lächeln und konzentriert das Publikum mit auf eine Zeitreise, in der sie u.a. von dem großartigen Brian Boitano, amerikanischer Olympiasieger von 1988, und jungen Talenten begleitet wird. Die begnadete Athletin begibt sich, ebenso wie Boitano, noch einmal in die Tiefen ausgesuchter Kompositionen. Sei es von Ella Fitzgerads „Everytime we say goodbye”, der India-Arie „Ready for love” oder „Ich gehör nur mir” aus Elisabeth. Unter die Haut geht Boitanos Kür zu Pavarottis Nessun Dorma. Der 44-jährige Doppelweltmeister glänzt mit fast olympiareifen Sprüngen. Mehrfach und unglaublich hoch. Kati Witt erfüllt sich, wie sie sagt, einen Traum und schlüpft wie so oft während ihrer Laufbahn in eine Hose: Als Karibik-Piratin flüchtet sie kokett wie Jack Sparrow, und man merkt an ihrer fulminanten Leistung, dass sie sich nur schwer von ihrem Kraftfeld lösen kann. Ihr Hoheitsgebiet, das Eis, wird ihr aber reizvolle Nebenschauplätze für weiteres Wirken verschaffen. Denn so mancher Auftritt ist vielen über die Jahre im Gedächtnis geblieben: ihre verführerische Paraderolle, die „Carmen”, mit der sie sich 1988 bei den Winterspielen in Calgary die amerikanische „Carmen” (Debi Thomas) vom Leibe hielt. Auf der Leinwand erscheinen alte Aufzeichnungen ganz real; auf dem Eis präsentiert Katarina Witt eine neue, rockige Carmen-Version. Futuristisch, aber wie die gesamte Show perfekt inszeniert. Nach einem fantastischen Finale mit glanzvollen Auftritten der jungen und alten Stars strömen die Fans an die Eisfläche und strecken ihre Hände aus. Alle wollen sie von Nahem sehen und der außergewöhnlichen Athletin ihren Respekt zollen, die das kompromisslose Leistungsprinzip im Sport der ehemaligen DDR bedingungslos lebte und so mitunter auch für Konträrfaszination sorgte. Herzlich klatscht sie die Hände der wartenden Zuschauer ab. Sie sammelt Rosen und Sträuße auf und zeigt sich nach dem Ende in der Arena, um geduldig Autogramme zu schreiben. Der Zeitpunkt zum Abschiednehmen ist perfekt gewählt. Ein paar Pirouetten, wenn auch keine Dreifachsprünge mehr, ließen Witts Ausdauer und noch immer konsequentes Training zu. Eine bewundernswerte Leistung mit 42, bei der das Eis nur schwerlich gefrieren mochte. » Mehr Fotos auf www.derwesten.de/oberhausen