Oberhausen. 31,5 Prozent der Wahlberechtigten in Oberhausen gingen am Sonntag nicht zur Wahl. Am WAZ-Nichtwählertelefon erläuterten einige ihre Entscheidung. Sie beklagen unter anderem, sie fühlten sich von den Politikern missachtet. Und dass Wahlversprechen sowieso nicht gehalten würden.
Wenn sich Michael Groschek da mal nicht böse irrt. Als „Sofa-Partei” geißelte er kühn am Wahlabend die 50 049 Frauen und Männer in Oberhausen, die von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machten. Mit 31,5 Prozent stellt die „Sofa-Partei” hinter der SPD die zweitgrößte Gruppe.
Nur ein neues System schafft neues Vertrauen
Von wegen null Bock. Die Gespräche am WAZ-Nichtwählertelefon zeigten am Montag eines ganz deutlich: Das Nichtwählen ist mindestens so gut überlegt wie das Wählen selbst. Die Quintessenz: Der massive Vertrauenverlust der Bürgerinnen und Bürger in die politisch Verantwortlichen schreitet im Eiltempo voran.
CDU-MdB Marie-Luise Dött mag Recht haben, wenn sie sagt, dass eine Wahlbeteiligung von knapp 70 Prozent im internationalen Maßstab immer noch gut ist. Zufrieden stellen darf dies einen Demokraten nicht. Schon deshalb wird die Pflicht zur Wahl nach dem Ergebnis von Sonntag wieder zu einem Thema werden.
Mehr Vertrauen in die Politik entstünde durch eine derartige Gängelei wohl kaum. Im Grunde hilft nur ein neues System, das die Dauer politischer Mandate zeitlich befristet.
Zum einen entfiele der häufig völlig haltlose, aber manchmal sehr wohl auf der Hand liegende Vorwurf, Politiker sorgten in erster Linie für sich selbst. Zum anderen wären die Grundlage geschaffen, alle notwendigen Reformen langfristig auszurichten.
Dass die Abgeordneten in einem solchen System besser bezahlt werden müssten, liegt auf der Hand. Sinnvoller als die Abwrackprämie wären diese Kosten aber allemal. Und: Der Name könnte als Zulage sogar beibehalten werden.
Thomas Schmitt
Sofa-Partei, das hört sich bequem an, nach Null-Bock auf Politik und kein Interesse an Demokratie. Es mag sein, dass eine solche Haltung den einen oder anderen Oberhausener vom Gang zur Urne abgehalten hat. Oder das schöne Wetter, der leckere Kuchen bei Mutti oder sonst ein Grund, mit dem der Trend zum Nichtwählen erklär wird.
Die Menschen sind enttäuscht
Wahrscheinlicher ist, dass Menschen bewusst nicht (mehr) wählen, weil sie enttäuscht sind. Das ist jedenfalls der Eindruck, der sich Montag beim „Nichtwählertelefon” unserer Redaktion verfestigte.
„Ich werde von keiner Partei wahrgenommen”, sagt Günter Kallweit. „Außer von Oskar.” Der 66-Jährige ist arbeitslos, schwerbehindert und Rentner. Lafontaine und den Linken will der gelernte Polsterer und Dekorateur, der früher immer SPD wählte, aber „nicht blind vertrauen”.
Rentner und arbeitslos, wie passt das zusammen? „Ich möchte mein altes Möhrchen finanzieren, dafür reicht die Rente nicht. Ich habe deswegen behinderte Kinder zur Schule gefahren, bis die Firma den Job verloren hat”, sagt Kallweit. Die Stadt hätte den Auftrag an einen günstigeren Anbieter vergeben. So spare die Stadt und er als Rentner gucke in die Röhre.
Leere Versprechungen
Seit Jahren schon geht Marlis Knaup nicht mehr zu Wahlen. „Ich bin selbst als Wahlhelferin dabei und verfolge das sehr genau”, sagt sie, „es gibt aber keinen Politiker mehr, dem ich vertrauen könnte.” Vor der Wahl werde viel versprochen, hinterher etwas anderers oder gar nichts gemacht. „Politiker lügen, die Verdrossenheit der Wähler hört man überall”, sagt die 70-Jährige. In ihrem Bekanntenkreis gingen die meisten noch zur Wahl, wechselten aber ständig die Parteien.
„Ich bin mit der Polit-Mafia in Berlin nicht einverstanden, dagegen sind die Mafiosi in Italien Waisenknaben.” Inge Mertens ist geradezu aufgewühlt, als sie erklärt, warum sie nicht mehr zur Wahlurne schreitet. „Wir haben mit viel Fleiß ein Häuschen gebaut, die Schwiegermutter gepflegt und heute werden wir nur noch zur Kasse gebeten.”
Als Beispiele für ihren Zorn nennt sie Kosten für eine Kanalerneuerung, „die wir nicht einmal auf unseren Mieter umlegen dürfen”, den Energiepass und die bis 2015 vorgeschriebene Untersuchung der Hausanschlüsse. „Wenn es um die Ausbeutung der Bürger geht, sind sich doch alle Politiker einig”, schimpft die 75-Jährige. Geld sei im Übrigen genug vorhanden, es würde nur in unsinnige Projekte gesteckt.
„Ich habe die Schnauze voll von der gesamten Wählerei”, sagt auch Karl-Heinz Siegemund (70). Die SPD sei nach der Mehrwertsteuerlüge von 2005 nicht mehr wählbar. Auch dass Müntefering kurz nach dem Tod seiner Frau schon wieder eine neue, blutjunge Herzdame habe, ginge überhaupt nicht.
Mit der CDU hat Siegemund gebrochen, als unter Kanzler Kohl entschieden wurde, dass Heimatvertriebene künftig auch Grunderwerbsteuern zahlen müssten. Und die Grünen seien nicht zu wählen, weil sie „arbeitnehmerfeindlich” seien. „Der Zirkus um das Kraftwerk Datteln erinnert doch an den Weber-Streik im Mittelalter.”