Oberhausen. Kultur-Tipp: Die Ludwiggalerie Schloss Oberhausen setzt mit „UK Women“ den britischen Alltag in Szene. Was die Besucher der Ausstellung erwartet.
- In der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen läuft derzeit die Ausstellung UK Women
- Zu sehen sind 28 Foto-Serien meist zeitgenössischer Fotografinnen
- Die Künstlerinnen setzen den britischen Alltag in Szene
„England ist nicht das mystische Land der Rosen“, sang einst Sinéad O‘Connor. „Es ist die Heimat von Polizisten, die schwarze Jungs auf Mopeds töten.“ Eine ordentliche Prise dieses heiligen Zorns, jedoch ungleich subtiler dosiert als in den Versen der irischen Pop-Rebellin, spricht auch aus den Bildern der Ausstellung „UK Women“. Christine Vogt, die Direktorin der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, spricht ohne falsche Bescheidenheit von einer „Pionier-Ausstellung“: 28 Foto-Serien von 28 (bis auf eine Ausnahme) zeitgenössischen Fotografinnen zeigen den Alltag der britischen Insel ohne kilometerlange Rosenhecken vor Tudor-Cottages. Wenn es auf diesen 217 Prints mal blümerant und farbsatt zugeht, dann in der schrillen (und damit ebenfalls sehr britischen) Variante.
Dabei muss man der Ausgangsthese des Kuratoren-Duos Ralph Goertz und Kerrin Postert gar nicht mal zustimmen, die behauptet, in der britischen Kunstgeschichte seien Fotografinnen seit Anbeginn dramatisch zu kurz gekommen. Clementina Lady Hawarden (1822 bis 1865) wäre das früheste Gegenbeispiel: Die schottische Adelige schuf bereits um 1860 subtile Porträts ihrer acht Kinder - und war die erste Frau in der Royal Photographic Society. Von diesen Bildnissen aus der Lebenszeit des Romanciers Charles Dickens ist es gar kein so großer Sprung zu den ältesten Aufnahmen der „UK Women“-Schau: Fran Mays schwarz-weiße Bilder der Serie „Brick Lane“ im 1977 noch sehr ärmlichen Londoner Osten zeigen jedenfalls Trödelwaren und Trödler wie Gestalten aus „David Copperfield“ oder „Bleak House“.
Selbst die 1980er, meist als quietschbunt in Erinnerung, haben in Tish Murthas Bildern der „Elswick Kids“ noch diesen extra-herben Dickens-Touch des trotzigen Überlebens in Slums. Doch die jugendlichen Heldinnen und Helden der Fotografin aus dem nordenglischen South Shields (1956 bis 2013) widerstehen mit coolsten Posen ihrer kohlenstaubtristen Umgebung. Auch die harte Schule des „Sozialen Realismus“ pflegt gekonnte Inszenierungen.
Hier zählt Familie und Nachbarschaft, nicht der blätternde Putz
Der Fotografinnen-Ansatz einer widerständigen „Heimat“-Kunde zieht sich erstaunlich weit bis in die Gegenwart der Brexit-Insel. Die Schottin Margaret Mitchell fotografierte in den 1990ern gegen das miese Image von Raploch, ihrem heimatlichen Stadtteil von Inverness: Für die stolzen Bürgerinnen und Bürger zählt die Familie und Nachbarschaft, nicht der blätternde Putz an den Reihenhäusern. Genauso liebevoll, aber nun in satter Farbigkeit, blickt Sirkka-Liisa Kontinnen auf die neuen Bewohner ihrer einstigen Siedlung: „Byker revisited“ zeigt ein älteres Paar beim hingebungsvollen Wohnzimmer-Karaoke.
Erstaunlich britisch-multikulturell inszenierte Meredith Andrews für die Serie „Single Parents“ ihre Mit-Insulaner auf den Bermudas, jener atlantischen Inselgruppe, weit näher vor Florida gelegen als vor dem britischen Mutterland. Die alleinerziehenden Väter mit ihren mal kleinen, mal schon erwachsenen Kindern lässt sie aber nie in subtropischer Botanik, sondern stets im Wohnzimmer posieren: Und da ist selbst auf Bermuda eine „altenglische“ Kamin-Imitation nie fern.
Schaurige Business People mit Schulterpolstern und Brikett-Telefonen
Schrill und bissig wie Britpop wird das Land der Rosenhecken und Cricket-Rasen mit der jüngsten Generation der fotografierenden „UK Women“. Die giftige Attitüde zeigt sich schon im Margaret Thatcher-Jahrzehnt der 1980er: Knallhart blitzt Anna Fox auf heute bereits schaurig-gestrig wirkende Kostüme, Frisuren und Posen der Business People mit Schulterpolstern und Brikett-Telefonen. Dazu Zitate einer Ära, die ganz knapp alles sagen: „An Habgier ist doch nichts verkehrt.“
1995 fotografierte die 25-jährige Sophy Rickett provokant „Pissing Women“ als wären sie männliche Wildpinkler im Londoner Ausgeh-Getümmel. Dazu ragt, wie sinnig, der pompöse Trutzbau des englischen Auslandsgeheimdienstes MI 6 am Themseufer in den Himmel. Gegen diese freche Pose im gerafften, engen Rock ließe sich jetzt gedanklich - wieder mit Sinéad O‘Connor - das Bild der bettelnden jungen Mutter im Marktviertel Smithfield schneiden, „in ihren Armen drei kalte Babies“. Frierend in der Fremde - das kann selbst für gut situierte Menschen in schicker Kleidung gelten: So setzte, am grauen Strand von Crosby Beach bei Liverpool, die 48-jährige Yang Wang Preston chinesische Studierende ins Bild.
Doch die wohl schönste Verbindung von feinherber Idyllik und Ausharren mit britischer Haltung glückte im Lockdown-Sommer 2020 der Wahl-Hamburgerin Freya Najade: Ihre teils wie Gemälde von John Constable blättergerahmten Blicke auf die „Hackney Marshes“ am Rande Londons sind das ungemein poetische Entree in einer brillanten Foto-Ausstellung der teils harten Kontraste.
Für die „UK Women“ spielt das Joker-Quartett streichersatten Britpop
Die Foto-Ausstellung „UK Women“ bleibt bis zum 15. September im Großen Schloss der Ludwiggalerie, Konrad-Adenauer-Allee 46, zu sehen. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, für Familien 12 Euro.
Zur Ausstellung erscheint ein Booklet für 5 Euro, das die Kurztexte in den Ausstellungsräumen bündelt - aber leider kein Katalogband, obwohl man dies beim eigenen Anspruch an eine „Pionier-Ausstellung“ doch erwarten könnte.
Dafür gibt‘s wieder ein sattes Begleitprogramm im Schloss Oberhausen, inklusive eines „Britpop“-Konzertes mit dem Oberhausener Joker-Streichquartett am Freitag, 23. August.