Oberhausen. Der nächste Generalsekretär der NRW-SPD kommt höchstwahrscheinlich aus Oberhausen: Frederick Cordes freut sich auf diese Aufgabe. Das Interview.

Der Oberhausener Frederick Cordes (37) soll neuer Generalsekretär der NRW-SPD werden. Er ist für das Spitzenamt offiziell nominiert. Bei einem Landesparteitag im August wollen die Sozialdemokraten – neben dem neuen Generalsekretär – auch ihre Landesspitze neu wählen. Ein Interview mit dem bekennenden Lokalpatrioten Frederick Cordes („Mehr Heimat als Oberhausen geht für mich nicht“). >>> Zur Nachricht: So will der künftige General die NRW-SPD aus dem Tief holen

Herr Cordes, mit Mike Groschek hatte die NRW-SPD bereits einmal einen äußerst markanten ,General’ aus Oberhausen, der dann sogar NRW-Parteivorsitzender wurde. Sie treten also in große Fußstapfen. Freuen sie sich darauf oder haben sie ein flaues Gefühl im Magen?

Frederick Cordes: Das Wichtige an Fußstapfen ist ja, dass man weiter nach vorne geht. Die Gesellschaft hat sich stark verändert. Ich werde das Amt des Generalsekretärs deshalb auch anders wahrnehmen als ein Mike Groschek. Ich werde eher ein moderner Kampagnen-Leiter sein als ein klassischer Generalsekretär alten Zuschnitts.

Beim jüngsten SPD-Parteitag in Oberhausen hat die Partei selbst festgestellt, dass man zu wenig Menschen erreicht. Die Leute nehmen die Parteibotschaften oft gar nicht mehr wahr. Wie wollen Sie das auf Landesebene ändern?

Ich will erreichen, dass unseren Leuten wieder klar ist, wofür die SPD steht. Dafür braucht es eine „Erzählung“. Als Beispiel: „Kein Kind zurücklassen“, so hat unsere ehemalige Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ihre Bildungspolitik in einem Satz auf den Punkt gebracht. Solche prägnanten Botschaften brauchen wir wieder, wenn wir neue Brücken bauen wollen zwischen dem Hafer-Cappuccino-Trinker in Essen-Rüttenscheid und dem Pils-Trinker in der Oberhausener Innenstadtkneipe Alter Hut. Wir müssen Verbindungen schaffen, damit unsere Gesellschaft nicht weiter in einzelne Blasen zerfällt und auseinanderbricht.

Wie wollen Sie jene Menschen erreichen, die sich längst von der SPD abgewendet haben?

Wir müssen präsent sein auf allen populären digitalen Kanälen, aber vor allem vor Ort. Also raus in die Stadtteile, auch dahin, wo das Leben schwieriger ist. Präsenz zeigen, das Gespräch suchen. Wir dürfen keine Scheu zeigen, sondern müssen mit den Menschen überall reden, ob in der Imbissbude, in Bussen und Bahnen, an der Straßenecke, in den Betrieben. Auf vielen öffentlichen Veranstaltungen trifft man ja die immer gleichen Leute. Wir müssen aber raus zu den Menschen und ihren Problemen.

Der Höhenflug der AfD hält an, sie liegt mittlerweile bundesweit bei 20 Prozent. Darunter befinden sich auch ehemalige Stammwähler der SPD. Welche Fehler hat die SPD hier gemacht?

Die SPD muss als linke Volkspartei klar machen, wofür sie steht. Und dass sie darum kämpft, nicht nur die Lebensbedingungen der armen Bürgerinnen und Bürger zu verbessern, sondern dass wir uns um alle Beschäftigten, Handwerker und Selbstständigen in der Breite der Gesellschaft kümmern. Aber nicht die SPD allein hat hier Lücken gelassen, sondern alle demokratischen Parteien. Es ist nun Aufgabe von allen demokratischen Parteien, den Menschen zu zeigen, dass wir ihre Probleme verstehen und Lösungen anstreben. Dazu kommt aber auch: In der politischen Diskussion sind Brandmauern eingerissen worden. Auch in der Wortwahl ist vieles enttabuisiert worden.

War die SPD in ihrer Ausländerpolitik zu liberal?

Nein, zu liberal würde ich nicht sagen. Wir benötigen Zuwanderung ja auch für unser volkswirtschaftliches Wohlergehen. Aber unser Staat muss auch in der Lage sein, die Integration so vieler Menschen zu bewältigen. Viele Bürgerinnen und Bürger wollen ja Menschen in Not aufnehmen, aber sie erwarten zu Recht, dass der Staat gleichzeitig seine Aufgaben erfüllt. Und das gilt ebenso für die Infrastruktur wie Straßen, Schienen, Schulen, Fahrradwege, Internetzugänge und bezahlbare Wohnungen. Hier sind staatliche Strukturen zu schlecht ausgestattet.

Auch deshalb hat die NRW-SPD drei Themen als Schwerpunkte für ihre Politik gesetzt: Kommunale Altschulden, Kita und Schule sowie Wohnungspolitik. Was will die SPD erreichen?

Wir brauchen eine echte Altschuldenlösung, damit hoch verschuldete Städte wie Oberhausen endlich wieder investieren können. Wir benötigen kostenlose Bildung für alle. Die Kita-Gebühren sind abzuschaffen und die besten Schulen gehören in die ärmsten Stadtteile: Die Postleitzahl darf nicht länger über den Bildungserfolg von Kindern entscheiden. Wir brauchen eine landesweit tätige Wohnungsbaugesellschaft, um dem Wohnungsmangel wirklich zu begegnen. Alles hängt mit allem zusammen: Wenn Menschen feststellen, dass die Infrastruktur etwa bei den Straßen oder Schulgebäuden bröckelt, wenn Verwaltungen kaputtgespart werden und die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergeht, wird das Vertrauen in den Staat und seine Lösungskompetenzen erschüttert. Und dann verlieren wir irgendwann Menschen für die Demokratie. Das müssen wir verhindern.

Der Oberhausener Frederick Cordes strebt das Amt des NRW-Generalsekretärs der SPD an.
Der Oberhausener Frederick Cordes strebt das Amt des NRW-Generalsekretärs der SPD an. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Über 11.000 Oberhausener und Oberhausenerinnen sind immer noch arbeitslos gemeldet, die Quote liegt bei über zehn Prozent. Gleichzeitig gibt es einen extremen Facharbeitermangel, aber auch einen Personalmangel bei einfachen Berufen. Behandeln wir Arbeitslose zu sanft, üben wir zu wenig Druck aus?

Nein, mit Druck auf Arbeitslose kommt man nicht weiter, das ist keine Lösung, wie die jahrelangen Hartz-IV-Sanktionen der Jobcenter gegen Arbeitslose gezeigt haben. Wir müssen vielmehr jeden einzelnen Arbeitslosen so qualifizieren und ertüchtigen, dass er sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten kann. Denn Grund für die hohe Arbeitslosigkeit ist ja nicht, dass diese 11.000 Oberhausener fauler sind als alle anderen. Oft fehlt es, gerade bei Langzeitarbeitslosigkeit, an Bildungs- und Berufsabschlüssen. Anderes Beispiel: Viele Menschen ohne Arbeit sind alleinerziehend, ihnen fehlt eine gute Kinderbetreuung. Hier muss der Staat handeln und darum muss die SPD sich kümmern. Dann wird die Zahl an Arbeitslosen sogar zu einem wichtigen positiven Standortfaktor des Ruhrgebiets.

Wie kann das sein?

Unternehmen gehen heutzutage dorthin, wo es genügend erwerbsfähige Menschen gibt. Im Ruhrgebiet ist das der Fall, zumal wir hier auch noch die Frauenarbeitsquote erhöhen können, etwa durch eine verlässliche Kita-Betreuung. Grundsätzlich haben Oberhausen und das gesamte Ruhrgebiet gute Chancen, die über Jahre verfestigte Arbeitslosigkeit endlich spürbar abzubauen.

In ihrem Internet-Auftritt sprechen Sie vom „Ruhrgebiet als die dynamischste Region Deutschlands“ – viele Beobachter sehen das ganz anders. Wie kommen Sie zu dieser positiven Einschätzung?

Denken Sie an den künftigen grünen Stahl, der in Duisburg produziert wird; denken Sie an die Neunutzung von Brachflächen wie auf dem einstigen Opel-Gelände in Bochum, wo sich auf dem Areal Mark 51/7 zukunftsträchtige Firmen neu angesiedelt haben; denken Sie an die lebendige Universitäts- und Hochschullandschaft zwischen Dortmund und Duisburg – aus meiner Sicht ist das Ruhrgebiet tatsächlich so dynamisch wie kaum eine andere Region in Deutschland.

Wann wird die SPD wieder Regierungsverantwortung in NRW übernehmen? Und mit welchem Koalitionspartner?

Möglichst nach der nächsten Landtagswahl. Daran arbeiten wir, das ist das Ziel. Mit welchem Koalitionspartner wird man dann sehen. Alle Parteien des demokratischen Spektrums kommen erst einmal infrage. Nur mit der AfD werden wir auf keinen Fall koalieren.

In der politischen Kommunikation setzen Sie selbst auf eine gute Online-Präsenz und eine spannende Erzählung. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Weil ich damit mehr und vor allem junge Menschen erreiche. So erzähle ich in meinem Online-Auftritt als Landtagsabgeordneter, dass Oberhausen für mich viel mehr ist als der Ort, an dem ich meine Chucks morgens an- und abends ausziehe. Und in Social-Media-Zeiten hilft auch ein Wiedererkennungswert und ein bisschen Augenzwinkern. Dass ich schon seit vielen Jahren täglich meine bordeaux-farbenen Chucks trage, ist irgendwann zu einem kleinen Markenzeichen geworden.

Sie wollen NRW-Generalsekretär werden – kennen die Genossinnen und Genossen in Brakel oder Steinfurt Sie eigentlich schon?

Ich bin bis zum Landesparteitag viel im Land Nordrhein-Westfalen unterwegs, um mich in Stadt- und Ortsverbänden der SPD vorzustellen. Beim Landesparteitag will ich ein möglichst gutes Wahlergebnis erzielen, um als NRW-Generalsekretär mit breiter Rückendeckung der Partei zu agieren.