Oberhausen. Telefonbetrüger haben 2021 in NRW fast 25 Millionen Euro erbeutet. Ein Erfahrungsbericht zeigt: So gehen die Täterbanden auch in Oberhausen vor.
Eines ist klar: Die Täter werden nicht locker lassen. Sie haben sich organisiert, werden in der Regel aus dem Ausland heraus tätig und arbeiten vor Ort mit Kleinkriminellen zusammen. Denn Telefonbetrug lohnt sich. Allein 2021 ergaunerten die Banden mit ihren fiesen Maschen bei 2119 Straftaten zum Nachteil älterer Menschen fast 25 Millionen Euro. So hält es die Statistik des NRW-Landeskriminalamtes fest. Dabei sind die gängigsten Fallstricke wie der „Enkeltrick“ oder der „falsche Polizist“ mittlerweile bekannt. Auch die Oberhausener Polizei betreibt längst eine engagierte Aufklärungsarbeit. Dennoch wurden in unserer Stadt im vergangenen Jahr wieder 75 Seniorinnen und Senioren um ihr oft mühsam Erspartes gebracht. Wieso bloß?
Eine Ahnung davon erhalte ich zum ersten Mal, als mein Festnetz-Telefon klingelt. „Frau Hoynacki?“ – „Wer will das wissen?“ – Mein Gegenüber stellt sich als „Hauptkommissar Neumann von der Kriminalpolizei für Organisierte Kriminalität“ vor. Die Stimme ist ernst, der Akzent bayerisch. Der Mann macht es dringend. „Es hat soeben einen Einbruch in Ihrer unmittelbaren Nachbarschaft gegeben, ein Ehepaar ist in seinem Eigenheim mit vorgehaltener Waffe überfallen worden.“ Das bleibt nicht ohne Eindruck.
Mit dem Telefon in der Hand schließe ich fast automatisch unsere auf Kipp stehenden Fenster, verriegle die Haustür. „KHK Neumann“ senkt verschwörerisch seine Stimme. Die vier Täter hätten dort 25.000 Euro erbeutet. Sie würden zur rumänischen Mafia gehören. Man sei ihnen aber schon seit einem Jahr auf der Spur. Zivilfahnder hätten zugeschlagen, zwei der Täter jetzt auf frischer Tat festnehmen können. Doch leider seien die anderen beiden entwischt, hielten sich wohl in der Nähe auf. „Bei den Festgenommenen haben wir eine Liste mit weiteren Einbruchszielen gefunden – Ihr Name ist darunter.“ Ich bin schockiert.
Die Oberhausener Polizei klärt auf
Der angebliche Kriminalhauptkommissar hakt nach: „Können Sie sich vorstellen, weshalb Sie auf dieser Liste stehen? Haben Sie Wertgegenstände oder Bargeld im Haus?“ Die Zivilfahnder seien noch in der Nähe, könnten mein Vermögen schützen. Vermögen? Welches Vermögen? Bei welcher normalen Familie ist schon groß etwas zu holen? Und wieso nur das Geld und nicht mich? Das war nun doch etwas zu plump. Die Situation kippt. Ich entspanne mich. Der Telefonhörer landet auf der Gabel. Das Gespräch ist beendet. Was bleibt, ist ein mulmiges Gefühl und erstmals eine Vorstellung davon, welche Ängste entstehen könnten, wenn tatsächlich Eigentum im Spiel ist.
Derartig in die Enge getrieben muss sich auch die Oberhausener Rentnerin gefühlt haben. Sie hatte einer so agierenden Bande ihre über Jahre mühsam ersparten 8000 Euro übergeben. Mit dem Geld hatte die alte Dame endlich aus dem ersten Stock in eine Erdgeschoss-Wohnung umziehen wollen. Das Treppensteigen fiel ihr schwer. „Doch jetzt ist dieses Geld weg“, sagt Jenny Verhoefen, die bei der Oberhausener Polizei für die Prävention von Kriminalität zum Nachteil älterer Menschen zuständig ist.
Die Scham ist groß – die Dunkelziffer entsprechend hoch
Sie weiß: „Die Täter verfügen über ein hohes psychologisches Einfühlungsvermögen.“ Dazu kommt: Über eine spezielle App gelinge es den Kriminellen, dass daheim tatsächlich die Nummer der örtlichen Polizeidienststelle im Display auftauche. Sogar ein misstrauischer Erkundigungsrückruf des Betroffenen könne darüber unbemerkt von der meist im Ausland sitzenden Callcenter-Mafia umgeleitet werden. „Aber nur, wenn man das während des laufenden Telefongespräches macht.“ Je länger die Opfer mit den Betrügern telefonierten, desto mehr würden sie eingewickelt, stünden regelrecht unter Schock. So sehr, dass sie sich rückblickend gar nicht mehr erklären könnten, wieso sie auf so etwas hereingefallen sind. Verhoefen hält lange den Kontakt zu den Opfern. Denn sie erlebt häufig: „Gelingt den Täter der Betrug, kommen viele Seniorinnen und Senioren darüber nicht mehr hinweg, sie zerbrechen daran.“ Immer wieder muss die Polizeibeamtin deshalb auch den Opferschutz einschalten.
Die Maschen seien inzwischen zwar alle bekannt. Doch selbst der Enkeltrick, bei dem sich der Anrufer als enges Familienmitglied ausgibt, das in der Klemme steckt und vorübergehend eine Finanzhilfe benötigt, komme noch immer zum Ziel. Auch ein Oberhausener Arzt im Ruhestand sei auf diese Weise um mehr als 50.000 Euro gebracht worden. Die meisten Opfer schämten sich hinterher furchtbar. Entsprechend hoch sei die Dunkelziffer. „Denn viele erzählen nicht einmal ihrer engsten Familie davon und gehen auch nicht zur Polizei, um diese Straftaten anzuzeigen.“ Dabei sei gerade dies so wichtig, um den Hintermännern auf die Schliche zu kommen. „Zeit spielt eine erhebliche Rolle, um das Geld noch verfolgen zu können.“ Immerhin 505 Fälle hätten so landesweit aufgeklärt werden können. Dabei stellten die Fahnder auch fest: „Bei den Gangstern, die das Geld bei den Opfern abholen, handelt es sich in der Regel um Kleinkriminelle, meist Drogensüchtige oder Prostituierte, die für ihren Einsatz stets nur ein paar Euro erhalten“, sagt Verhoefen.
Die Täter wählen ihre Opfer gezielt aus
Aber wie kommen die organisierten Banden überhaupt an die Namen und Rufnummern ihrer Opfer? „Entweder ganz klassisch über das Telefonbuch oder in Todesanzeigen, in denen sie gezielt nach altklingenden Namen suchen“, erläutert Verhoefen. Aber auch im so genannten Darknet floriere ein schwunghafter illegaler Handel mit Namen und Rufnummern, die zuvor von Firmenportalen gestohlen worden seien. „Hier eine Rabattkarte, dort die Teilnahme an einem Gewinnspiel oder die Anmeldung bei einem Online-Shop und schon kursieren diese sensiblen, aber meist nicht genug geschützten Daten im Internet.“ Angerufen würde gezielt zur Mittagszeit oder am späteren Abend. „In der Hoffnung, die alten und möglichst alleinlebenden Menschen seien dann noch beduselt vom Schlaf.“
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Was rät die Polizistin Betroffenen? „Auflegen, sobald es um Geld, Schmuck oder sonstige Wertgegenstände geht!“ Doch Verhoefen weiß: „Das ist nicht immer leicht.“ Denn die Täter entwickelten ständig neue Vorgehensweisen. Ihre aktuell erfolgreichste: „Am anderen Ende der Leitung weint und schreit jemand minutenlang.“ Verhoefens eigene Großmutter hat einen solchen Schock-Anruf erhalten. „Sie war fix und fertig, dachte erst, ihrer Tochter wäre etwas Schreckliches passiert.“ Beinahe hätte die 91-Jährige der Anruferin deshalb auch geglaubt, dass sie einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht hätte. Doch als diese erwähnte, dass sie dringend 50.000 Euro für eine Kaution benötigt, um nicht in Haft zu müssen, schmiss Verhoefens Großmutter doch den Hörer auf. 65 Oberhausenerinnen und Oberhausenern gelang 2022 in ähnlichen Fällen das gleiche. „Unsere Aufklärungsarbeit wirkt“, stellt die Polizeibeamtin erfreut fest.