Oberhausen. Die SPD will Wählerpotential besser ausschöpfen. Themenwerkstätten haben begonnen, die konkreten Probleme im Alltag der Menschen aufzugreifen.
Verblüffend selbstkritisch hatte die SPD Oberhausen beim Parteitag im September 2022 ihre eigene Arbeit bewertet; diesen Kurs hat die Partei nun am Montagabend fortgesetzt: Beim Stadtparteitag im Haus Union analysierten Frederick Cordes aus dem Landesvorstand der NRW-SPD und Apostolos Tsalastras, Stadtkämmerer und im Land NRW bestens vernetzter Sozialdemokrat sowie im Jahr 2015 Oberbürgermeister-Kandidat der Partei, die jüngsten Wahlergebnisse.
Ob Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahl – die Wahlbeteiligung sinkt und liegt teils unter 30 Prozent in einzelnen Oberhausener Wahlbezirken. „Wir müssen feststellen, dass sich viele Menschen gar nicht mehr an unserem demokratischen System beteiligen“, sagte Apostolos Tsalastras vor den 85 Delegierten aus sechs Ortsvereinen. Zugleich interessierten sich immer weniger Menschen für ihre Stadt und bekundeten dieses lokale Interesse durch den Gang zur Kommunalwahlurne.
SPD: Das Wählerpotential besser ausschöpfen
Diese Entwicklung trifft vor allem auch die SPD. Apostolos Tsalastras und Frederick Cordes wiesen auf Sozialdaten aus einzelnen Stadtbereichen hin, etwa aus der Innenstadt-Süd oder aus Lirich. Hier lebten viele Bürgergeld-Empfänger (ehemals Hartz IV), hier gebe es zahlreiche armutsgefährdete Familien – eigentlich ein klassisches SPD-Wählerpotential. Doch die Wahlergebnisse in diesen Bezirken seien eher dürftig. Was kann die Partei konkret dagegen tun?
Mehr Sichtbarkeit, etwa in sozialen Netzwerken; mehr Präsenz in den Stadtteilen; passgenaue Themenangebote – diesen Weg wollen die Sozialdemokraten konsequent beschreiten, um neue Wählerinnen und Wähler zu gewinnen. Die im September beschlossenen Themenwerkstätten sollen ein zentraler Baustein dazu sein. So stellte Sandra Jungmaier erste Ergebnisse aus der Arbeitsgruppe „Schule und Sport“ vor. Anfang Februar hat diese Arbeitsgruppe bereits eine Bürgerversammlung zum Neubau der Gesamtschule im Knappenviertel organisiert. im Juni soll eine große Sportkonferenz folgen.
Das eigene Wissen zu Schule, Bildung und Sport vertiefen, sich mit Akteuren in der Stadt vernetzen, ein Impulsgeber für die SPD-Ratsfraktion sein – das sind einige wichtige Ziele, die sich diese Themenwerkstatt gesetzt hat. Um das zu verdeutlichen, projizierte Sandra Jungmaier einen jüngsten WAZ-Artikel in voller Größe auf die Leinwand: „Schulen proppenvoll, Eltern verzweifelt“. Dass diese lokale Schlagzeile zur Situation an den weiterführenden Schulen in Oberhausen stimme, könne sie nur bestätigen, sagte sie. Themen wie diese müssten die Sozialdemokraten aufgreifen und politische Lösungsvorschläge dazu entwickeln.
SPD: Bei den wahlmüden Menschen für die Demokratie werben
Ähnlich sieht es in den weiteren Themenwerkstätten „Soziales und Senioren“ sowie „Stadtentwicklung, Klimaschutz, Mobilität, Digitalisierung“ aus. Sie wollen den Fach- und Hausärztemangel ebenso zum Thema machen wie zum Beispiel die weitgehend fehlende Ladeinfrastruktur für E-Autos. Die Sozialdemokraten wollen sich also intensiver um wichtige lokale Alltagsthemen kümmern und damit bei den Bürgerinnen und Bürger künftig besser punkten. Letztlich geht es aus Sicht von Apostolos Tsalastras und Frederick Cordes dabei darum, bei den wahlmüden Menschen für die Demokratie und für den Gang zur Wahlurne zu werben, indem man gute Lösungsvorschläge für Alltagsprobleme anbietet.
Stichwort: kommende Wahlen. Im Frühjahr 2024 wählen die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union zum zehnten Mal das Europäische Parlament. Die Sozialdemokraten wählten im Haus Union drei Delegierte zur Europa-Delegiertenkonferenz: Tim Tzscheppan, Silke Wilts und Silke Jacobs. Diese Konferenz entscheidet in einem mehrstufigen Verfahren darüber, wer als Kandidat auf der SPD-Liste zur Europawahl 2024 stehen wird. Wobei wohl auch im Vorfeld dieser Wahl die Frage immer dringlicher wird: Wie viele Menschen gehen überhaupt noch wählen – und in welcher Form?
Den klassischen Wahlkampf-Endspurt gibt es nicht mehr
Ein wichtiger Punkt: Immer mehr Bürgerinnen und Bürger nutzen viele Wochen vor dem eigentlichen Abstimmungssonntag die Möglichkeit der Briefwahl. Das verändert die Wahlkampf-Dramaturgie. „Eigentlich müssten wir in allen sechs Wochen vor einer Wahl als SPD an jedem Tag mit voller Power präsent sein“, sagte Frederick Cordes. Den klassischen Wahlkampf-Endspurt gibt es also nicht mehr in gewohnter Form, weil zu diesem Zeitpunkt bis zu 50 Prozent der Wählerinnen und Wähler ihr Votum bereits abgegeben haben.