Oberhausen. Das Hip-Hop-Tanztheater „Faster“ sorgte im Theater Oberhausen für unbändigen Jubel. Ein tänzerisch wie musikalisch grandioses Erlebnis.

Gefühle können täuschen! Wer nämlich glaubt, Oberhausen und Tanztheater sei eine undenkbare, weil schon vor Ewigkeiten verblichene Paarung, der wird von Jimmy Vairons quirlig-kraftvoller Choreografie „Faster“ im großen Saal des Theaters am Will-Quadflieg-Platz rasant eines Besseren belehrt. Denn was das seit 2003 bestehende „Urban Arts“-Tanzkollektiv Renegade dort mit fabelhaftem Körpereinsatz in dem dramatisch reduzierten Bühnenbild von Aaron Stratmann präsentiert, ist sozusagen ganz großes Kino.

Den erzählerischen Rahmen bildet die Frage, wie man im Bewusstsein baldiger Endlichkeit mit der verbleibenden Zeit umgeht und ob sich dadurch das eigene Leben verändert. Klingt spannend, ist es auch, weil der in fünf Hauptmotive mit Titeln wie „Stare into the abyss“ (Blicke in den Abgrund) aufgeteilte Handlungsstrang dem Betrachter nicht tumbe Deutungsmuster aufzwingt, sondern reichlich Freiraum für eigene Assoziationen lässt.

Modernes Tanztheater par excellence

Das beginnt gleich mit dem allerersten Bild – wer will, sieht eine Pieta im Lichte zweier Regale voller Opferkerzen. Sechs kunstvoll verschlungene Tänzerinnen und Tänzer (Gelya Andryushyna, Mohamed Ali Cherif, Touaa Mounir, Vasiliki Papapostolou, Stefan Stiller und Melena Tortoh) in hellen Anzügen als Mix aus Mao-Look und Hoodie, die sich nach und nach voneinander lösen. Und dann beginnen, jede(r) für sich gegen eine unsichtbare Wand anzurennen, von der sie immer wieder abprallen, von anderen aufgefangen und in dialogische Aktionen verwickelt werden. Modernes Tanztheater par excellence, voller Körperlichkeit und oft mit imposanten Breakdance-Einlagen dekoriert. Was sich bald auch in faszinierenden Soli der virtuosen Akteure zeigt, die mit ihren Dämonen der Vergänglichkeit ganz individuell, doch stets expressiv bewegend ringen. Glänzend in Szene gesetzt von einer eindrucksvollen Licht-Regie (brillant: Stefan Meik und Alexandra Sommerkorn), die unter Zuhilfenahme von reichlich Kunstnebel etwa einen Käfig formt, gegen dessen Grenzen eine Tänzerin verzweifelt ankämpft.

Famos begleitet wird das Stück von dem auch als Liann bekannten Live-Musiker Kilian Unger am Bühnenrand, der aus Loops, Stimm- und Flöten-Samples plus Electro-Percussion derart eindringliche, zwischen Ambient, Hip-Hop, Techno und Noise changierende Soundscapes formt, dass man „Faster“ sogar rein als Konzert genießen könnte. Eine der auch optisch stärksten Szenen im Klanggeschehen bietet der venezolanische E-Bassist Wilbert Pepper, der imposant seinen Tieftöner auf offener Bühne singen lässt. Und dabei zunehmend zudringlicher von einer jungen Dame angetanzt wird, bis diese schließlich auf den Schultern des stoisch weitermusizierenden Hünen sitzt. Abgang, atemloses Staunen.

Viel Blitz und Donner – und trotzdem überzeugend

Welches sich in den folgenden Bildern fortsetzt, die gelegentlich hübsch ironisch mit tänzerischen wie musikalischen Klischees jonglieren. Unter etwas arg viel Blitz und Donner samt gewaltigen Nebelschwaden, findet sich das grandiose Tanzensemble schließlich in der Ursprungs-Pieta wieder – ein überzeugendes Finale nach 75 Minuten Überwältigungsartistik.

Die wurde belohnt von handgestoppten zwölf Minuten Standing Ovations eines restlos begeisterten Publikums, das eindeutig nicht der Hip-Hop-Generation zuzuordnen war. Was dem tosenden Jubel, für den sich die Renegade-Mitglieder mit aberwitzigen Breakdance-Soli bedankten, eine besondere Wertigkeit gab. Kurzum, wer als Papa oder Oma mit Coolness punkten will, der sollte den Nachwuchs mit Karten für „Faster“ beglücken und ihn natürlich auch ins Theater Oberhausen begleiten. Es lohnt sich so oder so.

>>> Weitere Aufführungen im Theater Oberhausen

Wer nun „Faster“ selbst erleben möchte, muss sich beeilen. Denn es gibt nur noch drei Aufführungen: am kommenden Freitag (10. 3.) und Samstag (11. 3.) sowie am 29. März, jeweils um 19.30 Uhr im Theater Oberhausen, Will-Quadflieg-Platz 1. Karten kosten elf bis 23 Euro (ermäßigt fünf Euro); Tel. 0208-85 78 184; www.theater-oberhausen.de