Oberhausen. Ein 59-jähriger Oberhausener nutzte das Homeschooling während der Pandemie und missbrauchte seine Nichte. Doch die Familie wehrt sich.
Eine Familie wie viele andere. Man hilft sich gegenseitig. Als während des Lockdowns in der Corona-Pandemie Anfang 2021 erneut Homeschooling auf dem Stundenplan steht, nimmt die Mutter das Angebot ihres Verwandten, die damals elfjährige Tochter zu beaufsichtigen, dankbar an. Nie hätte sie mit dem gerechnet, was dann geschah – und wohl auch nicht damit, am 27. Februar 2023 vor dem Amtsgericht Oberhausen für ihre Tochter kämpfen zu müssen.
Schon kurz nach der Eröffnung des Verfahrens bittet der Anwalt des Angeklagten den Vorsitzenden Richter um ein Gespräch. Die übrigen Prozessbeteiligten versammeln sich auf dem Flur vor dem Gerichtssaal. Der 59-jährige Angeklagte sitzt abseits, hält Abstand zu seiner ebenfalls erschienenen Familie. Er wirkt angespannt, seine Schuhsohlen klackern unentwegt auf den Gang. Wie dieses Geräusch in den Ohren des betroffenen Mädchens wohl klingen mag? Denn auch die heute 14-Jährige ist da, sitzt abgeschirmt von ihrer Mutter, die als Nebenklägerin auftritt, auf der anderen Seite des Flurs. Sexueller Missbrauch lautet der Tatvorwurf gegen ihren Großonkel.
Nach kurzen Besprechungsrunden mit Anwältin und Anwalt auf dem Gang dürfen Minuten später alle Beteiligten zurück in den Sitzungssaal. Schnell wird deutlich: Der 59-Jährige will alles gestehen. Ja, Anfang 2021 hatte er neben der damals Elfjährigen auf dem Sofa gesessen. Die Schule war erledigt, jetzt sah man gemeinsam Fernsehen. Völlig unvermittelt aber griff er in den Ausschnitt des Kindes, fingerte an ihrer Brust herum. Das Mädchen verfiel in Schockstarre, wusste nicht, wie es reagieren sollte – und traute sich daheim zunächst auch nichts von dem Vorfall zu erzählen.
Die Mutter reagierte sofort
An einem Abend im Juli 2021 aber war die inzwischen Zwölfjährige erneut bei ihrem Großonkel zu Besuch. Auch diesmal kam es auf dem Sofa zu sexuellen Übergriffen. Doch nun fasste sich das Mädchen ein Herz und erzählte der Mutter davon – und die reagierte sofort. Auf die Anzeige bei der Polizei folgte der Gerichtsprozess. Trotz des schlimmen Vorfalls: Experten sind sich einig, die Familie hat viel richtig gemacht. Der Tochter wurde zugehört und geglaubt, sie erhält Rückhalt und ihre engsten Angehörigen stellten sich offenkundig sofort hinter sie.
Denn es sei leider eine Tatsache, dass Kinder in der Regel bis zu sieben Erwachsenen vom erlebten Missbrauch erzählen müssen, bevor ihnen die achte Person glaubt, erläuterte Susanne Kaltwasser bereits im Rahmen eines früheren Berichtes über sexuellen Missbrauch. Kaltwasser ist Diplom-Pädagogin bei Pro Familia in Oberhausen, sie bietet Beratungen gegen sexualisierte Gewalt an, schult pädagogische Fachkräfte in Familienzentren und Schulen. Sie weiß auch: „Die Seele nimmt immer Schaden“.
Wichtig für den Heilungsprozess
Das bestätigt auch die Anwältin der Mutter, die durchblicken lässt, wie sehr die Jugendliche unter diesen Taten eines Menschen leide, dem sie einmal so sehr vertraut hat. Mit seinem Geständnis ersparte der 59-Jährige dem Mädchen immerhin eine Aussage vor Gericht. Unter anderem dies wertete das Gericht als strafmildernd, aber auch, dass er nicht vorbestraft ist und sich bei seiner Großnichte persönlich entschuldigte. So lautete das Urteil, das sich auf die zweite, schwerere Tat konzentrierte, schließlich: Ein Jahr und vier Monate auf Bewährung und ein Schmerzensgeld in Höhe von 2500 Euro. Drei Jahre lang darf sich der 59-Jährige nun nichts mehr zu Schulden kommen lassen, sonst wandert er umgehend hinter Gittern, daran ließ der Richter keinen Zweifel.
Eine Straftat, die nicht unter den Teppich gekehrt wurde, ein Urteil mit deutlichen Worten – auch dies dürfte zum Heilungsprozess einer verletzten Kinderseele beitragen. Als die 14-Jährige den Gerichtssaal verlässt, huscht ihr ein kleines, selbstbewusstes Lächeln über das Gesicht. Was für eine mutige junge Frau.
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