Oberhausen. Die Fakten sind deutlich, doch getan wird wenig: Wer fettleibig, stark übergewichtig oder dick ist, der läuft leicht Gefahr, stark zu erkranken.

50.867 Menschen sind 2021 allein in Nordrhein-Westfalen an Krebs verstorben. Zeitgleich stieg der Anteil der Übergewichtigen im vergangenen Jahr erneut an. Die Deutsche Krebsgesellschaft warnt: „Fettleibigkeit könnte bald dem Rauchen den ersten Rang als Hauptursache für Krebs ablaufen.“ Oberhausen belegt einmal mehr einen traurigen Spitzenplatz.

Denn unsere Stadt führte – nach den zuletzt verfügbaren aufgeschlüsselten Zahlen des statistischen Landesamtes IT NRW aus dem Oktober 2018 – bereits die Tabelle mit dem höchsten Anteil an übergewichtigen Einwohnerinnen und Einwohnern aller kreisfreien Städte und Kreise in Nordrhein-Westfalen hinter Duisburg (59,1 Prozent) mit 58,6 Prozent an. Doch während Experten die Zusammenhänge zwischen Übergewicht und Krebs seit Jahren mit immer neuen Studien belegen, sickert die Erkenntnis des hohen Erkrankungsrisikos in der Bevölkerung nur langsam durch. Darauf weist der Oberhausener Spezialist Prof. Dr. Till Hasenberg hin und fordert dringend mehr Aufklärung.

Hasenberg ist Chefarzt der Allgemein-, Viszeralchirurgie und Koloproktologie sowie stellvertretender Ärztlicher Direktor der Helios St. Elisabeth Klinik Oberhausen und außerdem Leiter des Helios Adipositas Zentrums West. Erst kürzlich hat er einen 30-jährigen stark adipösen Patienten operiert und war bei den Vorbereitungen zur Magenverkleinerung zufällig auf einen Tumor in der Leber gestoßen. „Fälle wie dieser nehmen auch bei uns in Oberhausen zu“, sagt Hasenberg. Der Mediziner stellt fest: „Während Ärztinnen und Ärzte nicht müde werden, immer wieder auf die vielen Risiken des Übergewichtes hinzuweisen, werden diese Gefahren in der breiten Gesellschaft aber lieber unter den Teppich gekehrt.“

Zu viele Fette und versteckter Zucker in Lebensmitteln

Tatsächlich kam eine Kennzeichnung ungesunder Lebensmittel in Deutschland nur schleppend auf den Weg. Noch immer enthalten zu viele Lebensmittel zu viel Fett, vor allem aber versteckten Zucker. Denn Zucker wird als Zutat nicht nur wegen des süßen Geschmacks, sondern vor allem wegen des geringen Preises von vielen Produzenten eingesetzt, selbst in Wurstwaren. „Er kann teurere Zutaten einsparen und damit den Unternehmensgewinn des Herstellers erhöhen“, klärt die Verbraucherzentrale auf.

Vor allem ungesunde Lebensmittel und zu wenig Bewegung aber führen längst zu einer schleichenden Gewichtszunahme großer Bevölkerungsanteile. Zeitgleich hat sich das öffentliche Bild von dem gewandelt, „was wir als normal betrachten“, sagt Hasenberg. Mehr als die Hälfte (53,4 Prozent) der Erwachsenen in Nordrhein-Westfalen war im Jahr 2021 gemessen am Body-Mass-Index (BMI) übergewichtig. Davon war jeder bzw. jede fünfte (17,6 Prozent) sogar bereits adipös. Folge: „Kaum noch jemand nimmt einen 1,80 Meter großen Mann, der 120 Kilogramm wiegt, als fettleibig wahr.“ Dabei liege hier schon ein BMI von 37 vor und damit sogar eine Adipositas (Fettleibigkeit) Grad II.

Als Kompetenzzentrum ausgezeichnet

Das Helios Adipositas Zentrum West in Oberhausen begleitet Menschen mit extremen Übergewicht bei der Gewichtsreduktion. Die Behandlung übernimmt ein Team aus Arzt, Psychologe, Ernährungsberater und Bewegungstherapeut.

Bei sehr starkem Übergewicht reicht eine gesunde Ernährung manchmal nicht aus. Das von der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie zertifizierte Kompetenzzentrum für Adipositaschirurgie führte 2022 insgesamt 267 Magen-Operationen durch und setzte 30 Magenballons bei Patientinnen und Patienten mit einem BMI über 60 ein.

„Bei unzähligen Krebsarten ist inzwischen ein direkter Zusammenhang zum Übergewicht belegt“, betont der Chefarzt. Das gelte für Erwachsene und sogar für Kinder und Jugendliche. So listet unter anderem das Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft beispielhaft dafür folgende Krebsarten auf: Darmkrebs, Speiseröhrenkrebs und Nierenzellkrebs. Bei Frauen wirke sich Übergewicht außerdem auf das Risiko für Gebärmutterkrebs aus sowie auf das Brustkrebsrisiko in und nach den Wechseljahren. Eine erhebliche Wechselwirkung konnten Wissenschaftler unter anderem auch bei Leberkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Gallenblasenkrebs, Eierstockkrebs, Krebs des Mageneingangs, Schilddrüsenkrebs und dem multiplen Myelom (Knochenkrebsart) feststellen. Für einige dieser Krebsarten gilt sogar: „Je dicker man ist, umso höher ist das Krebsrisiko.“ Die Krebsforscher weisen außerdem beispielhaft darauf hin: „Das Darmkrebsrisiko steigt mit jedem übergewichtigen Lebensjahr.“ Generell auffällig: „Die Krebspatienten werden immer jünger – das Risiko für dicke Kinder, später zu erkranken, vervielfacht sich“, warnt Hasenberg. Die Schuleingangsuntersuchungen in Oberhausen aber zeigen regelmäßig: Insgesamt bringen bereits rund zwölf Prozent der Fünf- bis Sechsjährigen zu viel auf die Waage.

Prof. Dr. Till Hasenberg, der auch auf der Stern-Liste „Gute Ärzte für mich“ als Chirurg ausgezeichnet worden ist, warnt vor den Krebsrisiken durch Übergewicht.
Prof. Dr. Till Hasenberg, der auch auf der Stern-Liste „Gute Ärzte für mich“ als Chirurg ausgezeichnet worden ist, warnt vor den Krebsrisiken durch Übergewicht. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Doch was löst die Krebserkrankungen denn nun genau aus? „Vieles ist noch offen, aber sicher ist: Fettzellen empfangen Botenstoffe und sie setzen selber Hormone frei“, erläutert Hasenberg. Dadurch könne es unter anderem zu Stoffwechselstörungen, einer Fehlregulation der Sexualhormone, einer stärkeren Bildung von Insulin und insulinähnlichen Wachstumsfaktoren sowie Entzündungsreaktionen im Fettgewebe kommen – und all das erhöhe das Krebsrisiko. „Auch die Wirksamkeit einer späteren Krebsbehandlung wird durch starkes Übergewicht beeinträchtigt, das Rückfallrisiko bleibt erhöht.“ Das Fazit der Krebsgesellschaft fällt eindeutig aus: „Würden alle Menschen das Normalgewicht einhalten, könnten allein in Deutschland pro Jahr circa 25.000 Krebserkrankungen vermieden werden.“