Oberhausen. 2022 liegt bald hinter uns. Ein Blick auf ein Jahr, das von Krisen und ihren heftigen lokalen Folgen geprägt ist. Eine kommentierende Analyse.
Das Jahr 2022 im lokalen Rückspiegel – kann es zu diesem Jahr überhaupt den üblichen Jahresrückblick geben? 2022 wird wohl als eines der schwierigsten Jahre in die Oberhausener Stadtgeschichte eingehen: Ukraine, Corona-Pandemie, Klimawandel – wir blicken auf zwölf Monate der multiplen Krisen zurück.
Noch nie in der Stadthistorie haben zwei kommunale Krisenstäbe gleichzeitig getagt: Corona und Ukraine, die Pandemie und der russische Angriffskrieg auf ein souveränes europäisches Land – das hat die kommunale Welt in eine neue Ära geführt, in der deutlich wird, wie sehr globales Geschehen und lokale Wirklichkeit miteinander verknüpft sind. Das Virus verlangt immer noch Vorsichtsmaßnahmen; gleichzeitig brauchen über 3500 aus der Ukraine nach Oberhausen Geflüchtete, darunter viele Kinder, angemessene Wohnorte, Hilfe und Zuwendung.
Die üblichen städtischen Probleme, ja sogar die in ihren Dimensionen von zwei Milliarden Euro für viele Menschen kaum noch nachvollziehbare Oberhausener Verschuldung erscheinen da geradezu klein und gewöhnlich, obwohl gerade die Finanzlage der Stadt ihre Handlungsfähigkeit jeden Tag einschränkt – und das zum Nachteil der hier lebenden Einwohner. Doch woanders in Europa sterben tagtäglich Menschen in einem Krieg und es fallen Bomben und Raketen auf das Gebiet einer Oberhausener Partnerstadt – für einen Lokaljournalisten, der vor vier Jahrzehnten in den Beruf startete, ein unglaublicher Satz, der da plötzlich in der Zeitung steht.
Hohe Hilfsbereitschaft: Krankenwagen, Löschfahrzeuge, Tonnen von Hilfsmaterial für Saporishja
Das Jahr 2022 in Oberhausen – das ist auch das Jahr der regelmäßigen städtischen Pressemitteilungen über kontinuierliche Hilfe für Saporishja. Diese Hilfe zeigt, worauf Oberhausen stolz sein kann: Beim Anpacken und beim Lösen von akuten Problemen in Not geratener Menschen waren die Oberhausener immer schon vorbildlich. Krankenwagen, Löschfahrzeuge, Tonnen von Hilfsmaterial hat der Verein „Oberhausen hilft“ in Zusammenarbeit mit der Stadt und der Feuerwehr nach Saporishja geschickt. Eine tolle Leistung und gelebte Solidarität.
Weniger gut sind die Oberhausener, wenn es um die Lösung von langfristigen Strukturproblemen ihrer Stadt geht: das oft verwahrloste Stadtbild, die mangelnde Pflege von Mehrfamilienhäusern aus der Gründer- und Nachkriegszeit, der wilde Müll an vielen Stellen im Stadtgebiet, das mangelnde lokale Bewusstsein für die eigene Stadtgeschichte und für wertvolle lokale Besonderheiten – das alles zählt zu den Defiziten dieser in ihrer architektonischen Schroffheit doch so liebenswerten Stadt.
Wenn hier endlich einmal spürbare Verbesserungen erzielt würden, hätte Oberhausen einen ordentlichen Schritt nach vorn gemacht. Gewiss, es gab ja schon zahlreiche Initiativen dazu in Politik und Stadtgesellschaft. Doch neuer Schwung für eine lebenswertere und schönere Stadt ist unbedingt nötig.
Ein Ende des Krieges in der Ukraine ist nicht abzusehen
Auch in das Jahr 2023 startet Oberhausen mit zwei Krisenstäben gleichzeitig. Ein Ende des am 24. Februar 2022 von Putin begonnenen Krieges in der Ukraine ist derzeit nicht absehbar. Die dadurch ausgelöste Energiekrise stürzt viele Menschen in Oberhausen weiter in Not und finanzielle Bedrängnis. Die Lage des Einzelhandels wird sich vor diesem Hintergrund kaum schnell verbessern. Zugleich schreitet der Klimawandel voran – und trägt immer mehr Starkregenereignissesowie Hitzeprobleme in den lokalen Raum.
Die gesellschaftliche Spaltung, die Polarisierung durch die sogenannten sozialen Netzwerke macht aus lokalen Debatten zu all diesen Themen oft einen ungezügelten Krieg der Worte, dem es an Respekt und echter Dialogbereitschaft fehlt. Zugleich schwindet das tatsächliche Engagement der Menschen, sich politisch für andere einzusetzen und die Lebensqualität in ihrer Heimat mitzugestalten: Die Mitgliederzahlen der meisten Oberhausener Parteien sinken; bei Oberhausener Ratswahlen verzichten mehr als die Hälfte der wahlberechtigten Bürger auf ihr Wahlrecht.
Während also immer mehr Menschen die hiesige lokale Demokratie ignorieren oder sogar missachten, sterben in der Ukraine Menschen, die ihr Land, genau diese demokratischen Werte und ihr gesellschaftlich-kulturelles Miteinander gegen einen hemmungslosen Aggressor tapfer verteidigen.