Oberhausen. Selten ist in Oberhausen zwei Stunden lang so heftig über Energiepolitik gestritten worden. Wer hat Schuld an der Krise? Wie kommen wir da raus?
Terminlich hätte die energiepolitische Debatte zwischen der prominenten Grünen-Politikerin und früheren NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn und dem Oberhausener CDU-Vorsitzenden Wilhelm Hausmann wohl nicht besser platziert werden können: Wenige Minuten vor Beginn der Veranstaltung in der Luise-Albertz-Halle wurde das Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bekannt, dass die drei verbliebenen deutschen Atomkraftwerke bis Mitte April 2023 am Netz bleiben. Bärbel Höhn ist strikt gegen eine Weiternutzung der Atomenergie; Wilhelm Hausmann ist dafür.
Beide machten ihre Position dazu im Verlauf der zweistündigen Debatte vor rund 100 Zuhörerinnen und Zuhörern engagiert deutlich. Wilhelm Hausmann betrachtet die Atomenergie als sinnvolle Brückentechnologie, mit der man Zeit gewinnen kann, um die Energiewirtschaft verlässlich auf erneuerbare Quellen umzustellen. Bärbel Höhn wertet die Atomenergie als sicherheitstechnisch höchst risikoreichen Konkurrenten der Erneuerbaren – ein Konkurrent, der günstigen Wind- und Sonnenstrom aus dem Stromnetz verdrängt.
Höhn-Interview löste die Debatte mit Hausmann aus
Ein Interview von Bärbel Höhn – im August 2022 mit dieser Redaktion geführt – hatte den Anstoß für die Höhn-Hausmann-Diskussion als gemeinsame Veranstaltung von Grünen und CDU gegeben. Das rege Interesse des Publikums zeigte die Dringlichkeit des Themas. Die rapide steigenden Kosten für Strom und Wärme verlangen nach neuen Strategien der Politik.
Sowohl Bärbel Höhn als auch Wilhelm Hausmann versuchten, Antworten dazu zu liefern. Für Bärbel Höhn liegt diese Antwort in der weiteren, entschlossenen Förderung der erneuerbaren Energien. Die Diplom-Mathematikerin stammt gebürtig aus Norddeutschland und stellte ihre Heimat Schleswig-Holstein als Musterbeispiel der Energiewende heraus. Dort gebe es jetzt Regionen, die prosperierten, die die Chance der erneuerbaren Energien von Anfang an entschlossen genutzt hätten und die nun attraktive Zuzugsgebiete für junge Familien seien, weil es dort neue Jobs und Perspektiven gebe. Das Ruhrgebiet müsse sich an solchen Beispielen orientieren – und habe hier bisher viel zu wenig getan.
So viel Euphorie in Sachen Windkraft und Sonnenenergie spiegelten die Äußerungen von Wilhelm Hausmann nicht wider. Auch der 52-jährige Christdemokrat will zwar Wind- und Sonnenenergie ausbauen, aber er plädierte gleichzeitig für den weiteren Einsatz der Atomenergie mit bis zu sechs Kernkraftwerken auch über den April 2023 hinaus – mindestens für fünf bis sechs Jahre, um die nötige Grundlast für die Stromversorgung und Netzstabilität in Deutschland ständig liefern zu können. Hausmann berief sich auf eine Ikone der Klimaschutzbewegung: „Selbst aus den eigenen Reihen der Grünen und Klimaschützer, wie Greta Thunberg, gibt es doch Kritik daran, ausgerechnet in solch einer Energiemangel-Krise Stromproduzenten abzuschalten – und dafür auf Kohlekraftwerke mit extrem hohen Ausstoß an Kohlendioxid zu setzen.“
Immer wieder Zwischenrufe aus dem Publikum
Das Publikum hörte meistens aufmerksam zu, teils wurden – nicht immer sachliche – Zwischenrufe laut, teils wurden Fragen wild in den Saal geworfen, obwohl eine eigene Publikums-Fragerunde vom Moderator, WAZ-Lokalchef Peter Szymaniak, zu Beginn angekündigt wurde. Es ging also oft ziemlich heiß her, zumal sich mehrere Menschen im Publikum befanden, die sich beruflich oder privat bereits seit längerem mit dem komplizierten Thema der Energiewirtschaft auseinandersetzen.
Wer ist überhaupt schuld an der deutschen Energiekrise? „Wieso hat es seitens der Bundesregierung keinen Plan B gegeben?“, fragte Peter Szymaniak die beiden Kontrahenten mit Blick auf die gestoppten Gaslieferungen aus Russland und dessen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine. Die deutsche Politik habe nur allzu gerne auf das seinerzeit billige und verlässlich gelieferte Gas aus Russland zurückgegriffen, erläuterte Bärbel Höhn, die als Bundestagsabgeordnete (2005 bis 2017) und Vorsitzende des Umweltausschusses die Energiepolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verfolgte. Alternativen als Versicherung gegen einen russischen Gas-Ausfall wie LNG-Terminals seien zu teuer gewesen, um Investoren dafür zu gewinnen.
Große Versäumnisse sah Höhn allerdings auch im Ruhrgebiet, in Oberhausen selbst – und formulierte ihre Kritik scharf: Im lokalen Umfeld habe es an Entschlossenheit gemangelt, wirklich auf die Erneuerbaren zu setzen. Dass Oberhausen diese Wende nicht schon vor Jahren geschafft habe, ärgere sie sehr, sagte die 70-Jährige unter dem Applaus eines Teils des Publikums. Wilhelm Hausmann konterte mit einem Verweis auf die achtjährige Arbeit der ehemaligen Umweltdezernentin Sabine Lauxen (Grüne): Sie habe zunächst den Vorschlag der CDU nach einer Ausweitung der Bottroper „Innovation City“ mit Intensivberatung und Förderung erneuerbarer Energien auf Oberhausener Gebiet strikt abgelehnt.
Teils prägten allzu viele zahlenträchtige Details den Abend, so dass Nicht-Fachleute im Publikum schnell den Anschluss verloren; teils war eine wüste Rhetorik („Sie haben keine Ahnung“), adressiert an Bärbel Höhn bzw. Wilhelm Hausmann zu hören, die mit Respekt und einer konstruktiven Debatte kaum etwas zu tun hat.
Photovoltaik auch für Mieterinnen und Mieter
Doch die Diskutanten und Zuhörer blickten auch konstruktiv in die Zukunft, machten Lösungsvorschläge. Höhn regte an, in Oberhausen gemeinsam eine große Kampagne auf die Beine zu stellen, um zum Beispiel Photovoltaik auf jedem geeigneten Dach zu fördern. Auch Mieterinnen und Mieter müssten etwa über Genossenschaften die Möglichkeit haben, ihren eigenen Strom zu produzieren und den Stromzähler damit rückwärts laufenzulassen. Bürokratie, die das heute noch allzu sehr erschwere, müsse entschlossen abgebaut werden, bekräftigten Höhn und Hausmann Forderungen von Zuhörern.
EVO-Chef: „Wir müssen diese Krise lösen“
Aus dem Publikum meldete sich auch EVO-Vorstand Hartmut Gieske zu Wort: „Wir haben die Verpflichtung, diese Krise zu meistern. Wir haben eine Versorgungskrise; die müssen wir lösen“, sagte der erfahrene Energie-Manager mit Blick auf die sich vervielfachenden Gaspreise, die von vielen Kundinnen und Kunden kaum noch bezahlt werden können.
Höhn und Hausmann plädierten beide für gezielte Hilfen vor allem an einkommensärmere Familien bzw. an besonders betroffene Unternehmen, die ohne passgenaue staatliche Hilfe finanziell nicht über die Runden kommen könnten. Während Höhn die Ampelkoalition für ihre bisherigen Entlastungspakete gerade auch für Bürger mit wenig Geld lobte, verlangte Hausmann Verbesserungen. „Da wird viel Geld mit der Gießkanne ausgeschüttet, von dem auch Gutverdienende profitieren. Dabei benötigen wir dringend zielgenaue Unterstützungen für einkommensschwächere Bürger. Da muss man dringend nachschärfen.“ Nach zwei Stunden endete der facettenreiche Debattenabend – und ging teils direkt in energiepolitische Zweier-Gespräche des Publikums über.