Oberhausen. Nirgendwo gibt es so viele Trinkhallen wie im Ruhrgebiet. Am Tag der Trinkhallen rückte nicht nur die in Borbeck in den Mittelpunkt.
Schon von weit her hört man in Borbeck an diesem Samstag Schlagermusik aus Lautsprechern. Dicht drängen sich die Menschen auf dem breiten Gehweg der Ankerstraße unter rosaroten „Tag der Trinkhallen“-Luftballons. Der Kiosk „Zum Anker“ macht mit bei dem ruhrgebietsweiten Ereignis, in dessen Mittelpunkt 50 Buden stehen, die ein besonderes Programm zu bieten haben.
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Vor der Trinkhalle von Bärbel Peters ist das die Kunst von Mo Jamal (29) aus Düsseldorf. Der Mann mit dem schwarzen Wuschelkopf trommelt das Publikum zusammen. Dann wird schnelle Musik eingespielt. In ihrem Rhythmus lässt er einen Fußball um sich tanzen.
Handstand mit dem Ball im Nacken
Erst kreist das Leder über Arme, Kopf und Schultern. Dann rollt er sich darüber auf dem Boden. Er streckt die Beine hoch und lässt den Ball zwischen seinen Schuhsohlen hin und her springen. Nun steht er wieder auf, den Ball auf der Stirn. Die Leute klatschen.
Jetzt geht Mo in den Handstand, den Ball im Nacken. Wieder legt er sich hin und jongliert ihn auf einer Schuhsohle, während er mit dem anderen Bein darum kreist. Das gibt nochmals Applaus. Als Mo fertig ist, darf sich ein kleiner Junge an dem Ball versuchen.
Den Schalter wegen Corona wieder geöffnet
Die Vorführung unterbricht kurz das geschäftige Treiben in der Trinkhalle. Rund 70 Gäste auf einmal hat sie sonst nicht. Folglich gibt es viel zu tun, müssen Getränke oder Eis ausgegeben werden. Kundinnen haben Kuchen gespendet, der jetzt angeschnitten wird.
Eigentlich betreibt Peters einen Tante-Emma-Laden. Den Schalterverkauf hat sie schon beendet, als sie die Trinkhalle vor 16 Jahren übernahm. Sie wollte keine Betrunkenen mehr davor. Um die Corona-Zeit zu überstehen, hat sie den Schalter damals reaktiviert. Jetzt stehen von innen aber wieder Regale davor.
Verabredung mit Gerburg Jahnke
„Ich war immer selbstständig“, berichtet die ausgebildete Veranstaltungskauffrau. Bis zu vier Trinkhallen gleichzeitig hat sie mal gehabt. Heute ist es nur noch die an der Ankerstraße. „Ich hab‘ als Kind hier gewohnt“, sagt die 60-Jährige. Bis sie Rente bekommt, will sie noch weitermachen. „Dann wandere ich aus, nach Lanzarote. Dafür spare ich seit Jahren.“
Zu den Gästen gehört auch Nico Tausendsassa aus Essen. Er gehört einer vierköpfigen Gruppe an. Sie ist mit Fahrrädern gekommen, hat aber noch eine Verabredung an einem anderen Kiosk, am Ebertbad. Dort tritt sie gemeinsam mit Gerburg Jahnke auf. „Tausendsassa ist nur mein Künstlername.“
Den Kohlenstaub heruntergespült
Keinen Künstlernamen hat Rainer Gusella aus Essen. Er kommt mit einem Bierdeckel, auf dem die Frage steht, was der Zweck der ersten Trinkhallen gewesen sei. Er weiß es. „Das kenne ich von meinem Oppa“, lacht er. Wenn die Kumpel vom Pütt früher aus der Nachtschicht oder von der Frühschicht gekommen seien, hätten ja noch keine Kneipen offen gehabt. Mit einem Jägermeister und einem Bier hätten sie den Staub heruntergespült. „Das waren Zeiten.“
Ihnen trauert auch eine alte Dame nach, die ihren Namen nicht nennen möchte. Sie war in den 1980er Jahren Pächterin der Trinkhalle. „Eine schöne Zeit“, erinnert sich die 78-Jährige. „Wir waren alle wie Bruder und Schwester.“ Wenn jemand mal nicht habe bezahlen können, sei es eben auch so gegangen. Es habe sich nicht nur darum gedreht, um jeden Preis und aus Allem Nutzen zu erzielen. Der Zusammenhalt sei wichtig gewesen.