Oberhausen. Amputierte Zehen sind ein Schreckensszenario für Diabetiker. Das „Diabeteszentrum Oberhausen“ hilft, das zu verhindern – und erlebt Merkwürdiges.

Füße sind unterschätzte Körperteile. Dabei tragen sie uns den ganzen Tag von A nach B. Und trotzdem zwingen manche sie in zu kleine Schuhe, andere finden sie gar eklig. Dr. Klaus Schneider gehört nicht dazu. Für den 66-Jährigen sind Füße beruflicher Alltag. Er leitet in Oberhausen eine Schwerpunktpraxis, die nun zum vierten Mal mit dem Siegel „Fußbehandlungseinrichtung DDG“ von der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) ausgezeichnet worden ist.

Im „Diabeteszentrum Oberhausen“ werden Menschen mit dem „Diabetischen Fußsyndrom“ behandelt. Diese Personen müssen auf ihre Füße ganz besonders gut aufpassen: die Zehennägel rund feilen und nicht schneiden, keine Fußbäder, Strümpfe auf links tragen (damit die Nähte nicht drücken), ins Meer nur mit Badeschuhen, keine Schuhe mit hohen Absätzen ... Die Liste, was Betroffene beachten sollten, ist lang und hat für viele große Veränderungen im Alltag zur Folge. Doch wer sich daran hält, kann in der Regel ein Schreckensszenario verhindern: die Amputation eines Zehs oder sogar des ganzen Fußes.

Oft ist das Schmerzempfinden herabgesetzt und die Durchblutung gestört

Denn schon kleinste Verletzungen können für Diabetikerinnen und Diabetiker zu einem schwerwiegenden Problem werden. Bei einigen ist das Schmerzempfinden herabgesetzt und die Durchblutung ist gestört. Das führt dazu, dass Wunden an den Füßen von den Patienten teils gar nicht wahrgenommen werden. Und sie heilen nicht – auch weil die Betroffenen mangels Schmerzempfinden die verletzte Stelle nicht schonen.

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Diabetesberaterin Carina Fischer erinnert sich an einen Patienten, der zur Versorgung seines rechten Fußes in die Praxis gekommen war. Dass auch der linke Fuß ihm Beschwerden bereitete, erwähnte er nur beiläufig. „Der Zeh war schon schwarz“, stellte Fischer fest. Dem Patienten war das gar nicht aufgefallen. „Man muss immer beide Füße anschauen“, betont Klaus Schneider.

Er selbst berichtet von einem kuriosen Fall, bei dem er im Fuß eines Patienten einen Eisennagel fand. Der Mann erinnerte sich, dass ihm der Nagel wenige Tage zuvor heruntergefallen war, er ihn aber nicht wiederfinden konnte. Dass er hineingetreten war, hatte er gar nicht bemerkt.

Wichtige Regel: „Sehen Sie mindestens einmal täglich Ihre Füße an.“

Diese Beispiele erklären, warum die erste Regel in dem kleinen Fußpflegeratgeber, den Menschen mit Diabetes in der Oberhausener Praxis erhalten, lautet: „Sehen Sie mindestens einmal täglich Ihre Füße an.“ Und selbst dann nehmen einige Patientinnen und Patienten mögliche Veränderungen und Verletzungen nicht wahr. „Manche blenden den Fuß aus, als würde er nicht zu ihnen gehören“, weiß Schneider.

Diabetologe Dr. Klaus Schneider im Behandlungszimmer. Wer hier behandelt werden will, braucht eine Überweisung vom Hausarzt.
Diabetologe Dr. Klaus Schneider im Behandlungszimmer. Wer hier behandelt werden will, braucht eine Überweisung vom Hausarzt. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Darum kommen im Diabeteszentrum Oberhausen an der Lohstraße im Schladviertel die Betroffenen alle drei Monate zur Untersuchung vorbei. Dafür benötigt man eine Überweisung vom Hausarzt. Sind die Voraussetzungen erfüllt, untersucht immer die gleiche Wundassistentin die Füße eines oder einer Betroffenen. Sie sucht nach Verletzungen und überprüft mit einer Art Stimmgabel die Leitfähigkeit der Nerven. Berührt das Gerät die Haut, sollte der Patient eine Vibration wahrnehmen. Bei Diabetikern ist das nicht immer der Fall.

Diabeteszentrum Oberhausen erhält die Zertifizierung bereits zum vierten Mal

Behandelt werden dann zum einen die akuten Beschwerden: Wunden werden etwa verbunden und mit speziellen Einlagen entlastet. Zum anderen wird untersucht, ob der diabetische Stoffwechsel des Patienten richtig eingestellt ist, um so auch die Leitfähigkeit der Nerven zu verbessern. So soll eine Amputation vermieden werden.

Das Siegel der DDG erhalten Schwerpunktpraxen, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Dazu gehören zum Beispiel eine Art OP-Raum und speziell geschultes medizinisches Personal. Wichtig sei auch, dass man auf ein Netzwerk an Fachleuten, etwa Gefäßchirurgen, Fußtechniker und Podologen, zurückgreifen kann, um die Patienten gut zu versorgen, erklärt Dr. Klaus Schneider.

Das Diabeteszentrum Oberhausen erhält die Zertifizierung nun bereits zum vierten Mal, erstmals gab es sie im Jahr 2008. Schneider freut sich über die erneute Anerkennung und findet lobende Worte für sein Team: „Ich habe Glück, dass wir alle gleich ticken.“

Arzt warnt vor Welle an Diabetes-Kranken

Etwa sieben Millionen Menschen sind in Deutschland von Diabetes betroffen. Etwa 15 Prozent leiden am „Diabetischen Fußsyndrom“.

Diabetes mellitus Typ I betrifft Menschen, deren Bauchspeicheldrüse durch eine Autoimmunerkrankung geschädigt ist. Sie können daher kein Insulin produzieren – oft schon im jugendlichen Alter. Betroffen sind zwischen 0,5 und 0,7 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Mehr Menschen, etwa zehn Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung, sind an Typ-II-Diabetes erkrankt. Ihre Bauchspeicheldrüse produziert zwar genug Insulin, sie leiden aber an „Insulinresistenz“. Das Insulin kann also nicht richtig wirken, darum kommt es zu einem Anstieg des Zuckers im Blut. „Tendenz steigend“, warnt Dr. Klaus Schneider. „Die Diabetes-Typ-II-Welle rollt.“ Da Insulin auch für den Fettaufbau verantwortlich ist, kommt es bei hohen Insulinspiegeln zu einer deutlichen Gewichtszunahme.

Tendenziell werden die Betroffenen immer jünger. Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung sind Faktoren, die diese Entwicklung anheizen. Die meisten Patientinnen und Patienten sind aber älter als 40 Jahre.