Oberhausen. Sind wir auf dem Weg in einen Überwachungsstaat, in dem sich Bürger bespitzeln? Christdemokraten sehen diese Gefahr – wegen neuer Meldestellen.

Den Abbau von Diskriminierungen verschiedener Minderheiten hat sich die erste schwarz-grüne NRW-Landesregierung als „zentrale Aufgabe der Politik“ im Koalitionsvertrag vorgenommen – und lässt als ersten Schritt vier neue Meldestellen zu Diskriminierungsfällen einrichten. Sie sollen ab Sommer 2023 ihre Arbeit aufnehmen.

Dieses nach Angaben der neuen NRW-Familienministerin Josefine Paul (Grüne) „bundesweit einzigartige System“, bei dem auch Diskriminierungsvorgänge unterhalb der strafrechtlichen Grenze von Bürgern gemeldet werden sollen, stößt nun aber auf scharfe Kritik innerhalb der CDU im Ruhrgebiet. CDU-Politiker des konservativen Flügels wie der Essener Ratsfraktionsvize Dirk Kalweit und der Oberhausener CDU-Vorsitzende und bisherige Landtagsabgeordnete Wilhelm Hausmann sehen in den Meldestellen die Gefahr, dass hier ein „Spitzelsystem nach Stasi-Manier“ installiert wird. Sie kritisieren damit ihre eigene Landesregierung unter Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU).

Der Essener CDU-Fraktonsvize Dirk Kalweit.
Der Essener CDU-Fraktonsvize Dirk Kalweit. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

Dabei hat die Grünen-Ministerin mit den Meldestellen hehre Absichten: „Wir wollen insbesondere auch die Diskriminierungsvorfälle registrieren, die unterhalb der Strafbarkeitsgrenze liegen und deswegen nicht in den polizeilichen Statistiken erfasst werden. Damit bekommen wir ein noch umfassenderes Bild und können wichtige Schlüsse für Intervention und Prävention ziehen.“

Will das Dunkelfeld von Diskriminierungen in NRW aufhellen – durch neue Meldestellen, die neue Familienministerin Josefine Paul (Grüne).
Will das Dunkelfeld von Diskriminierungen in NRW aufhellen – durch neue Meldestellen, die neue Familienministerin Josefine Paul (Grüne). © Fabian Strauch / FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Seit Herbst 2021 existiert bereits eine NRW-Meldestelle „für antisemitische Vorfälle“ – in Trägerschaft des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden Nordrhein. Auch damals hieß es vom NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) der früheren schwarz-gelben Regierung: „Ziel ist es, Dunkelfelder zu erhellen, um damit Grundlagen für Forschung und weitere Maßnahmen zu ermöglichen.“

Wilhelm Hausmann (CDU Oberhausen): „Land fördert Blockwartmentalität“

Die neuen Meldestellen sollen ebenfalls von Betroffenen-Organisationen geführt werden: Der Aufbau der Meldestelle für „antimuslimischen Rassismus“ wird in einem Trägerverbund der Vereine Interkultur e.V. und Coach e.V. erfolgen; die Meldestelle „Antiziganismus“ betreut der Verein PlanB Ruhr, die Meldestelle „anti-Schwarzer, antiasiatischer und weitere Formen von Rassismus“ übernimmt der Verbund der sozial-kulturellen Migrantenvereine Dortmund. Die Meldestelle „Queerfeindlichkeit“ organisiert das Queere Netzwerk NRW. Jede Organisation erhält für den Aufbau der Meldestellen 140.000 Euro vom Land.

CDU-Politiker Wilhelm Hausmann hält das Ziel für richtig, Diskriminierungen in einer Gesellschaft zu bekämpfen. „Niemand will Rassismus und Diskriminierungen, das ist doch klar. Aber mit solch einem Meldesystem von Vorgängen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze wird das gesellschaftliche Klima völlig vergiftet. Das ist eine Übergriffigkeit des Staates. Damit fördert das Land eine Blockwartmentalität von Bürgern – und das wollen wir nicht.“

Dirk Kalweit (CDU Essen): „Das ist linke Gesinnungsschnüffelei“

Sein Essener Parteikollege Dirk Kalweit, der die DDR als Bürger erlebt hat, sieht in den vom Land finanziell geförderten Meldestellen einen „Aufruf zum Denunziantentum“ und meint empört: „Ich hätte mir in meinen kühnsten Alpträumen nicht vorstellen können, zu welcher linken Gesinnungsschnüffelei man in der wiedervereinigten Bundesrepublik einmal bereit sein würde.“

Der CDU-Parteivorsitzende Wilhelm Hausmann ist verärgert darüber, dass die schwarz-grüne Landesregierung vier neue Meldestellen einrichtet, bei denen Bürger Diskriminierungsvorfälle anzeigen sollen.
Der CDU-Parteivorsitzende Wilhelm Hausmann ist verärgert darüber, dass die schwarz-grüne Landesregierung vier neue Meldestellen einrichtet, bei denen Bürger Diskriminierungsvorfälle anzeigen sollen. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Hausmann bewertet das Meldesystem der Landesregierung ebenfalls als „Einladung zu anonymen Anschuldigungen“ und bemerkt bereits „am Horizont den Ungeist eines Überwachungsstaates“. Jeder Kontakt mit anderen Menschen stehe plötzlich unter Verdacht, dass „ein Witz nach fünf Bier irgendwo gemeldet“ werde. Man wisse weder, was mit den Namen und Meldungen geschehe, noch, warum auch Vorgänge unterhalb der Strafbarkeit gemeldet werden sollen. „Was nicht justiziabel ist, wird meist aus gutem Grund nicht verfolgt.“

Eine zusätzliche Ebene unterhalb der Strafverfolgung einzuziehen, sei nicht notwendig. Wer sich diskriminiert fühle, habe schon heute die Möglichkeit, sich entweder an die Polizei zu wenden oder an die existierenden 42 NRW-Beratungsstellen für Betroffene von rassistischer Diskriminierung. Für weitere Stellen gebe es keinen Bedarf.

Hausmann: Das ist eine unkontrollierte Datensammelei

Zudem sei es ein Fehler, diese Meldestellen in die Hand von Lobbyorganisationen zu geben. „Diese Vereine sind doch keine neutrale Institution. Sie haben das Interesse, das Problem der Diskriminierung möglichst groß erscheinen zu lassen, damit es künftig dafür noch mehr Geld und mehr Personal vom Land gibt“, meint Hausmann.

Ohnehin hält der CDU-Vorsitzende es für verwunderlich, dass eine Partei, die sonst Wert legt auf Datenschutz bei der Polizei, nun sorglos mit Daten umgehen will. „Plötzlich soll unkontrolliertes Datensammeln keine Rolle mehr spielen.“ Tatsächlich sind Details dazu, was mit den gemeldeten Fällen und Namen passiert, der Öffentlichkeit noch völlig unklar.