Oberhausen. Der Oberhausener Sam Hasnik hat sich für das Finale des Vorlesewettbewerbs in Berlin qualifiziert. Dabei mag er Bücher nicht besonders.
Wenn Sam Hasnik diesen Zeitungsartikel vorliest, wird er um Längen spannender sein, als er wirklich ist. Sam Hasnik kann vorlesen, er ist sogar der Beste in Nordrhein-Westfalen. Am 21. Juni fährt der elfjährige zum Finale des Vorlesewettbewerbs in Berlin. „Das hätte ich nicht gedacht“, sagt der Realschüler.
Wer das Kinderzimmer von Sam betritt, würde es auch nicht denken. Er wohnt mit seinen Eltern in einer Mehrfamiliensiedlung in Schmachtendorf. Auf den Klingelschildern stehen mehrere Namen, aber nur ein Nachname eines großen Vorlesers. Auf einem Drehstuhl sitzt Sam und erwartet den Besuch. Er kennt das, er war schon im Fernsehen, in der Zeitung. Schule, Stadt, Bezirk, Sam war immer der beste Vorleser. Und auch sonst weiß er sich auszudrücken. Wahrscheinlich könnte man ihm auch Fragen zur Grundsteuerreform stellen und er wüsste klug zu antworten. Seine Lieblingswörter? „Konsultieren, also fragen“ und „Obsolet - obwohl das schon älter ist“. Ach ja: „Et cetera. ich benutze gerne Abkürzungen, also Akronyme.“
Sticky Fingers an der Wand
Woher weiß er das? Jedenfalls nicht aus seinen Büchern. Wer sich in seinem Zimmer umsieht, sieht keine Regale mit Wälzern. Sams Lieblingsbuch liegt auf einem Drucker unter seinem Schreibtisch: Ein Buch über die Beatles. „Lesen mag ich eigentlich nicht so“, sagt der Einser-Schüler von der Friedrich-Ebert-Realschule. Statt die Gesamtausgabe von Harry Potter steht auf einer Leuchttafel mit der Schrift „Sam Jam Live on air“ das Beatles-Album Yesterday and Today, das wegen seines brutalen Covers vom Markt genommen wurde. Es zeigt die Beatles als Metzger mit Fleischstücken und Puppen. Musikalisch darf es ruhig härter sein. Auch das Album Sticky Fingers von den Rolling Stones, das mit dem Hosenschlitz, hat seinen Platz. Über dem Schreibtisch hängt ein Bild des legendären Pink Floyd Covers zum Album „Diamond in the Sky“. Ein brennender Mann reicht einem anderen die Hand.
Wenn man so will, reicht Sam den Kinder- und Jugendbüchern die Hand und entzündet sie. Wenn Sam vorliest, schießt seine Stimme mal in die Höhe, mal wird sie leiser. Er stottert, wenn es nötig ist, und wird langsamer, wenn es sein muss. „Ich mag Texte mit viel wörtlicher Rede“. Für den Landeswettbewerb in Rheinbach durfte er sich in der ersten Runde eine Passage aussuchen. Er entschied sich für „16 x zum Himmel und zurück“, ein eher trauriges Buch. Es geht um einen Jungen, dessen Vater verstorben ist. Der Junge findet eine Schachtel mit Briefen des Vaters. „Die Stelle ist traurig und spannend“, sagt Sam. Also ideal zum Vorlesen.
Gewinnt Sam den Vorlesewettbewerb, bekommt er eine Gitarre
In dem Buch hat er kleine Notizen gemacht, damit er sich besser orientieren kann. Doch auch in Runde zwei überzeugte er mit einem unbekannten Text die Jury. „Als Eltern denkt man ja immer, dass seine Kinder gut sind“, sagt Vater Marius Hasnik. „Aber beim Landesfinale waren die anderen Kinder so stark. Sie haben offensichtlich sehr viel geübt.“
Den Eltern ist Sams Begabung erst spät aufgefallen. „Sam hat viele Qualitäten, aber vorlesen gehörte eigentlich nicht dazu“, sagt Marius Hasnik. Statt Goethe dröhnt aus Sams Zimmer Rockmusik. Er ist Fan von Metallica und Nirvana. Nächsten Monat fährt er mit seinem Vater nach Amsterdam zum Kiss-Konzert. Vater Marius hatte ihm mal Queen vorgespielt, doch das war nicht seine Sache. Zu soft. Sam macht das Rock-Zeichen mit der Hand.
Nächsten Monat steht aber noch ein anderer wichtiger Termin an. In Berlin trifft er auf die anderen 15 Qualifikanten aus der Jahrgangsstufe sechs. Zwei Dinge könnten sich dann für Sam ergeben: Er gewinnt den Wettbewerb, und er bekommt eine neue Gitarre. „Ich habe ihm versprochen, wenn er der beste Vorleser Deutschlands wird, bekommt er eine.“ Ein Modell, das Kurt Cobain gespielt hat. Damit käme er auch seine Berufswunsch näher. „Rockmusiker.“