Oberhausen. Zug unter Beschuss, Massengedränge am Bahnhof: Wie eine Austauschschülerin aus Saporishja mit ihrer Oma nach Oberhausen flüchtete.
Wenn Valeriia Romankova mit ihrer Oma Olga durch die Osterfelder Nachbarschaft spaziert, dann hat sie Angst. Bei jedem Flugzeuggeräusch zuckt sie zusammen und denkt an russische Luftangriffe. Als sie an einem Baum mit Löchern vorbeiläuft, ist ihr erster Gedanke: Einschusslöcher. Vor knapp zwei Wochen ist die 19-Jährige gemeinsam mit ihrer Oma aus Saporishja nach Oberhausen geflohen, den Rest ihrer Familie musste sie in der Ukraine zurücklassen. Mit uns hat sie über ihre schwere Flucht gesprochen.
Beim Betreten der Wohnung von Familie May wird schnell deutlich, dass alle hier eng zusammenrücken müssen. Mit derzeit sieben Bewohnern kann der Platz schnell knapp werden; im Wohnzimmer ist ein Schlaflager für die ukrainischen Gäste aufgebaut, daneben stehen Klamottenständer. Dennoch war es für Valeriias ehemaligen Schüleraustauschpartner Johannes May und seine Familie sofort selbstverständlich, Hilfe anzubieten. Gemeinsam überzeugten sie die junge Ukrainerin und ihre Oma, nach Deutschland zu fliehen und Schutz in Oberhausen zu suchen.
Fluchtzug unter Beschuss: Valeriia hatte Todesangst
Vom Kriegsbeginn erfährt Valeriia durch eine polnische Freundin, die sie morgens panisch anruft. Schnell verbreitet sich die Nachricht in der ganzen Familie, ihr Vater muss kurze Zeit später an der Front kämpfen. Als Familie May in Oberhausen Putins Angriff auf die Ukraine mitbekommt, nimmt sie Kontakt zu der 19-jährigen Austauschpartnerin auf, die von der 1. bis zur 11. Klasse in der Schule Deutsch lernte und während der Schulzeit bereits dreimal zu Gast in Oberhausen war. Erst möchte Valeriia bei ihrer Familie in Saporishja bleiben, eine Woche nach Kriegsbeginn bricht die 19-Jährige dann aber doch gemeinsam mit ihrer Oma Olga nach Deutschland auf.
Die beiden Ukrainerinnen wollen zunächst einen Zug nach Kiew nehmen und von dort aus weiter nach Polen fahren, doch kurz vor Kiew gerät der Zug mitten in der Nacht unter Beschuss. „Ich hatte Todesangst, innerlich habe ich mich schon von meiner Familie verabschiedet. Im Zug wurden dann alle Lichter ausgeschaltet, damit die russischen Soldaten uns nicht entdecken. Außerdem hatte ich keine Internetverbindung, ich konnte niemanden erreichen. Keiner wusste, wie es weitergeht“, erzählt Valeriia mit brüchiger Stimme. Nach einigen Stunden fährt der Zug dann doch noch weiter, nimmt einen Umweg nach Lwiw. Doch auch dort herrschen katastrophale Umstände.
„Ich habe keine Luft mehr bekommen“
Laptop für Valeriia gesucht
- Damit Valeriia ihr in Saporishja begonnenes Studium im Bereich „Sport und Physio“ online fortführen kann, benötigt sie dringend einen Laptop. Es sollte ein neueres Modell sein, damit sie alle nötigen Programme darauf installieren kann.
- Zudem könnte sie das Gerät nutzen, um mit ihrer Familie und Freunden in der Ukraine zu kommunizieren.
- Wer ein ungenutztes Gerät besitzt und Valeriia gerne helfen möchte, kann sich an unsere Redaktion unter andrea.zaschka@funkemedien.de wenden.
„Am Bahnhof gab es ein riesiges Gedränge, jeder wollte den nächsten Zug nach Polen bekommen. Von allen Seiten wurde gedrückt, und ich habe keine Luft mehr bekommen“, berichtet Valeriia weiter. Schließlich gelingt es ihr und ihrer Oma, einen Zug nach Przemyśl in Polen zu bekommen, von dort aus geht es weiter nach Berlin. Stundenlang müssen sie stehen, Oma Olga wird immerhin von netten Mitfahrern ein Platz zum Sitzen angeboten. Dreieinhalb Tage dauert es, bis die zwei Ukrainerinnen endlich in Oberhausen ankommen.
Den Krieg haben die beiden jedoch nicht zurückgelassen, er ist ein ständiger Begleiter in ihren Gedanken. Jeden Tag habe Valeriia Kontakt zu ihrer Familie in Saporishja, zurzeit sei es dort etwas ruhiger geworden. Doch nur wenige Kilometer weiter gibt es stark umkämpfte Gebiete, einige von Valeriias Freunden überlegen, ebenfalls zu fliehen. „Wir sind Pioniere“, meint Valeriia. Ihre deutsche Gastmutter Annette May pflichtet ihr bei: „Das stimmt, wir ebnen den Weg für andere hier. Valeriia und Olga gehören zu den ersten Geflüchteten, die hier in Oberhausen aufgenommen wurden.“
Hilfe kommt von allen Seiten
Neben der Familie May tue auch die Stadt ihr Bestes, um zu unterstützen, die Zusammenarbeit mit dem Sozialamt laufe sehr gut, meint Annette May. Besonders gefreut hätten sie sich über eine anonyme Geldspende, die im Sekretariat des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums für Valeriia abgegeben wurde. Durch die Osterfelder Wohnungsgenossenschaft GE-WO hätten sie sogar schon eine schöne Wohnung für Valeriia und Olga gefunden, die nun noch von der Stadt genehmigt werden muss. „Drei Monate dürfen sie jetzt auf jeden Fall erstmal hierbleiben, dann muss neu verhandelt werden. Herr Schranz hat gesagt, dass er sich um alles kümmern wird, darauf bauen wir jetzt“, meint Annette May.
Trotz der furchtbaren Erfahrungen von Valeriia und Olga spricht Annette May auch eine positive Sache an: „Ich habe jetzt eine ukrainische Tochter und Oma dazugewonnen. Gemeinsam weinen wir, lachen aber auch mal und machen Quatsch.“ „Ja, und du bist meine deutsche Mama“, nickt Valeriia zustimmend und umarmt ihre Gastmutter lange.
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