Oberhausen. Der Ukraine-Krieg beschäftigt alle Menschen. Besonders jene, die Verbindungen in die Regionen haben. Sie bewerten die Lage unterschiedlich

Nicht nur Russen und Ukrainer, die in Oberhausen leben, bewegt der Krieg, den Putins Armee mit ihrem Einmarsch ausgelöst hat. Es gibt kaum einen Menschen in der Stadt, der nicht über die Folgen des brutalen Angriffs auf einen unabhängigen Staat mitten in Europa aufgewühlt ist. Bereits am ersten Kriegstag, am Donnerstagabend demonstrieren 40 meist junge Menschen für den Frieden in Europa, symbolträchtig auf dem Oberhausener Friedensplatz gegen den von Putin ausgelösten Krieg.

Aus Protest gegen den Einmarsch der Russen in die Ukraine und gegen den Krieg demonstrieren 40 meist junge Menschen am Donnerstagabend auf dem Friedensplatz in Oberhausen. Aufgerufen dazu hatten die Oberhausener Jusos.
Aus Protest gegen den Einmarsch der Russen in die Ukraine und gegen den Krieg demonstrieren 40 meist junge Menschen am Donnerstagabend auf dem Friedensplatz in Oberhausen. Aufgerufen dazu hatten die Oberhausener Jusos. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Menschen aus vielen anderen Heimatländern haben zudem enge Beziehungen zum Osten, sprechen die russische Sprache, haben Verwandte und Freunde im Kriegsgebiet. Usbeken, Kirgisen, Polen, Bulgaren, Rumänen und Kasachen – sie und viele andere stillen ihr Heimweh in Geschäften mit osteuropäischem Sortiment. Wir haben zwei davon besucht.

Buntes Sammelsurium: „Progress“, ein kleiner osteuropäischer Laden an der Bergstraße.
Buntes Sammelsurium: „Progress“, ein kleiner osteuropäischer Laden an der Bergstraße. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

„Das ist eine Katastrophe“, sagt Alexandra Michailova über die derzeitige weltpolitische Situation. „Ich habe Angst“, ruft die temperamentvolle Besitzerin eines kleinen Ladens im Tante-Emma-Stil an der Bergstraße in Osterfeld. Sorgen mache ihr jedoch nicht das, was in Russland oder in der Ukraine geschehe, obwohl einige ihrer Produkte und auch ihrer Kunden von dort stammen: „Ich habe Angst um Deutschland“, sagt sie. „Alles wird teurer und teurer.“

Gestern erst habe sie Waren bekommen. Käse, Wurst, Süßigkeiten stehen in Regalen aufgereiht. Auch Handcreme und Shampoo neben Plastikspielzeug, Heiligenbildern und den typisch russischen Matrjoschkas – die aus Holz gefertigten, bunt bemalten Puppen, die ineinander verschachtelt werden. „Neuerdings muss ich auch für den Transport bezahlen“, sagt sie verzweifelt. Weil Öl und Benzin so teuer geworden seien, müsse sie auch größere Mengen abnehmen als bisher – 500 Kilo Käse statt 250. „Aber wie soll ich das denn alles bezahlen? Es kommen doch kaum Kunden. Die Leute haben nicht mehr genug Geld, weil alles plötzlich mehr kostet.“

Ein Leben voller ineinander verschachtelter Kulturen

Nicht nur das vollgestellte, kleine Geschäft von Alexandra Michailova gleicht den eiförmigen Holz-Püppchen, deren überraschendes Innenleben Kinder aller Kulturen staunen lässt. Auch Herkunft und Alltag der 59-Jährigen ähnelt einer Matroschka. „In den Adern meiner Tochter fließen vier verschiedene Sorten Blut“, sagt sie lachend. Ihr Mann sei ein Tartare aus Sibirien, ihre eigene Mutter russische Kasachin, der Vater Wolga-Deutscher. Ihre besten Freundinnen Polinnen, ihre nettesten Nachbarn Türken, ihr Schwiegersohn („Der ist toll“) ein Deutscher – die Ladeninhaberin kann nicht verstehen, wie ein Volk das andere bekriegen kann. „In meiner Heimat Kasachstan leben so viele Völker friedlich zusammen“, sagt sie.

Das wünsche sie sich auch für ihre neue Heimat, Deutschland, wo sie seit 22 Jahren lebt, inzwischen mit Kind und Enkeln. Was den Krieg angeht, interessieren sie die Auswirkungen der Beziehungen zu Russland für ihr eigenes Leben hier. Vor allem: Was passiert mit der Energieversorgung?

Alexandra Michailova in ihrem Lebensmittelgeschäft „Progress“ an der Bergstraße in Oberhausen: „Das ist alles eine Katastrophe.“
Alexandra Michailova in ihrem Lebensmittelgeschäft „Progress“ an der Bergstraße in Oberhausen: „Das ist alles eine Katastrophe.“ © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Auch in der Seilerstraße werden osteuropäische Spezialitäten verkauft, in größerem Stil, in einem richtigen Supermarkt. Seit 2008 gibt es hier „Kauver“, eine beliebte Adresse für eine bunt-gemischte Kundschaft. Die meisten blicken skeptisch auf die Reporter mit Block, Stift und Kamera. Manche wollen gar nichts sagen, andere ihren Namen nicht nennen. Maya Julia dagegen vertritt vor dem Eingang des Geschäfts selbstbewusst ihre Meinung. „Putin hat keine Schuld“, sagt die Russin. „Er wurde immer provoziert.“ Ich finde richtig, was er tut.“ Die Waffen würden sich nur auf militärische Ziele richten, glaubt die 61-Jährige. „Ich denke nicht, dass viele normale Leute sterben werden.“

Graffiti-Schmiererei am Schaufenster: „Putin Mörder“

Ein anderer Oberhausener Russe, der mit Frau und Teenager-Tochter gerade Gemüse einkauft, vertritt eine ähnliche Meinung. „Russland macht alles richtig“, sagt er. „Sie hätten das schon 2014 machen sollen.“ In jenem Jahr wurde die zur Ukraine gehörende Krim von Russland annektiert, der Konflikt der beiden Länder nahm gewaltsame Züge an. Die Menschen in der Ukraine seien an ihrer Misere selbst schuld, fügt der Mann noch hinzu, der angibt, 55 Jahre alt und Lkw-Fahrer zu sein. „Oder was würden Sie machen, wenn hier Nazis herumlaufen und den Hitlergruß zeigen würden?“ Er spielt auf die propagandistische Begründung Putins an, die Ukraine mit seiner militärischen Invasion „von Nazis befreien“ zu wollen.

Opfer einer Graffiti-Attacke: Putin Mörder auf Schaufensterscheibe

Draußen begegnen wir dem Inhaber von „Kauver“. Er überprüft gerade die großen Schaufensterscheiben auf Spuren von Farbe. In der letzten Nacht ist er Opfer einer Graffiti-Attacke geworden. Er zeigt uns die Bilder auf seinem Handy. „Freie Ukraine“ und „Putin Mörder“ stand in riesigen weißen Lettern auf das Glas gesprüht. Seine Mitarbeiterinnen haben es mit viel Mühe weggeschrubbt. Der in Kasachstan geborene Geschäftsführer ist noch sichtlich schockiert. „Ich will hier nur Lebensmittel verkaufen. Ich bin neutral.“ Seine Kunden stammen aus aller Herren Länder, er will sich zu politischen Fragen nicht äußern.

„Die wollen nicht zu Russland gehören – sondern in die EU“: Das hat die Oberhausenerin Julia Rupietta bei einer kürzlichen Reise in die Ukraine deutlich gespürt.
„Die wollen nicht zu Russland gehören – sondern in die EU“: Das hat die Oberhausenerin Julia Rupietta bei einer kürzlichen Reise in die Ukraine deutlich gespürt. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Julia Rupietta hingegen will gerne sprechen über das, was gerade in der Ukraine geschieht. Sie war selbst vor kurzem erst für einen Besuch in der ukrainischen Hauptstadt Kiew, ihre Schwester arbeitet zurzeit in Moskau. Von überall erhält sie gerade Nachrichten und Videos auf ihrem Handy. Das Schicksal der Menschen beschäftigt sie sehr. Die Ukraine habe sie als toll entwickeltes Land, mit reicher Kultur und großer Verbundenheit zu allem Westlichen kennengelernt, sagt die 42-Jährige, die als Wolga-Deutsche in Kasachstan geboren wurde und seit 30 Jahren in Deutschland lebt. Es tue ihr wahnsinnig leid, dass dort nun Krieg herrscht. Verwandte seien evakuiert worden, Freunde melden sich völlig schockiert.

Aber, so sagt Julia Rupietta, sie könne auch verstehen, was in Putins Kopf vorgehe: „Er will Grenzen wahren und dass Abkommen eingehalten werden.“ Sie meint den Vorwurf des russischen Präsidenten, die Nato habe ihr angeblich gegebenes Versprechen Anfang der 90er Jahre gebrochen, sich nicht gen Osten auszubreiten. Dennoch: „Dass er in die Ukraine einmarschiert, das ist als Reaktion übertrieben.“

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