Oberhausen. Wie die Krebserkrankung ihrer Tochter alles bei Familie Küppers auf den Kopf stellt. Wovon sie träumen, was sie sich für die Zukunft wünschen.
Wer Ida sieht, erkennt nicht gleich, was mit ihr los ist. Fröhlich kommt sie vom Spaziergang mit Papa zurück und schiebt den rosa Puppenwagen auf die Terrasse. „Haaallo, Mamaaa!“ ruft sie und plappert gleich los. Bis sie den fremden Gast bemerkt, innehält und ihn neugierig anstarrt. Genau so, wie alle Vierjährigen es machen würden.
Trotzdem ist Ida anders: Dass sie unter ihrer Wintermütze kaum Haare hat, sieht man nicht. Auch die Orthesen, die orthopädischen Hilfen, fallen nicht gleich auf. Sie ist schwer krank, seit zwanzig Monaten schon. Das ist fast die Hälfte ihres ganzen Lebens. Seitdem der Tumor in Idas Kopf gefunden wurde, musste sie ziemlich viel ertragen – und mit ihr auch Mama, Papa, Ben und Linus. Sie haben es geschafft, irgendwie. Doch sie sind längst noch nicht so weit, dass sie sich darüber freuen könnten.
„Es fühlt sich an wie in einer Schneekugel, die auf den Kopf gestellt und durchgeschüttelt wird.“ Esther Küppers sitzt auf einer Holzbank in ihrem Garten, über ihr ein Heizstrahler. Hier, an ihrem Corona-sicheren Ort, draußen und geschützt, versucht die 41-Jährige zu beschreiben, wie es sich anfühlt, wenn man erfährt, dass das eigene Kind eine Krebserkrankung hat.
Erst Diagnose, dann Filmriss: Ein Schock für die ganze Familie
Es war im Sommer 2020. Ida ging in die Kita, ihre Brüder besuchten schon die Grundschule. Esther Küppers hatte gerade eine neue Stelle als Integrationshelferin begonnen, sie war noch in der Probezeit. Ihr Mann Oliver hatte seine Stelle als Zerspanungsmechaniker gekündigt; nach jahrelanger Schichtarbeit, physisch und psychisch erschöpft, wollte er sich beruflich verändern.
In diesen Tagen begann Ida, sich merkwürdig zu verhalten. Sie wirkte unkonzentriert, oft müde. Sie rempelte den Tisch an. „Es waren nur Kleinigkeiten“, erinnert sich ihre Mutter. Und doch ging sie mit der Kleinen zur Kinderärztin. Dort fand sie Gehör, zum Glück. Sofort geht es zur Diagnose ins Krankenhaus. Ida kommt ins MRT, unter Vollnarkose. „Es sollte 45 Minuten dauern“, sagt Esther Küppers, „daraus wurden zwei Stunden.“ Ihr Bauchgefühl sei immer schlechter geworden. „Bitte lass es keinen Hirntumor sein“, habe sie gebetet.
Sie wurde nicht erhört. Der Arzt erklärt ihnen ganz nüchtern die Fakten: Der Tumor ist riesig, es gibt schon Lähmungen und Ida könnte erblinden. „Ich hatte einen Filmriss“, sagt Oliver Küppers. Den Rest kann man in seinem müden, traurigen Gesicht ablesen. „Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, dass ich nach Hause gegangen bin und gepackt habe“, sagt Esther Küppers. Doch muss sie es getan haben, denn kurz darauf waren die Jungs, heute zehn und elf Jahre alt, in Omas Obhut, sie selbst blieb mit Ida im Krankenhaus, nicht ahnend, wie viele weitere Nächte sie dort verbringen würden.
Neurochirurgen, Onkologen, Anästhesisten. Familie Küppers lernt eine Menge Mediziner kennen. Ida wird bald stundenlang operiert, kommt auf die Intensivstation. Die einzige gute Nachricht: Es ist ein langsam wachsender Tumor. Er kann beinahe vollständig entfernt werden.
Bei der Chemotherapie weint Ida und schreit: „Doofe Mama“
„Der Mensch hat gerne einen Plan“, sagt Esther Küppers. „Aber wir hatten den dann nicht mehr.“ Bei der Arbeit wurde ihr gekündigt, ihre Söhne seien „völlig durch den Wind“ gewesen und für Ida beginnt die Chemotherapie: 17 Blöcke mit 43 Gaben hatte sie schon, nur zwei Blöcke sind noch verblieben. Es hört sich einfacher an, als es ist.
Jedes Mal muss Ida gestochen werden für den Zugang, es ist eine Tortur. „Sie macht ein Riesen-Theater, sie weint und schreit ,Doofe Mama’. Es tut mir in der Seele weh.’’ Doch es ist nicht nur die Chemo, die Nebenwirkungen, das Erbrechen, das Fieber und immer wieder Tage in der Klinik. Ida muss auch absolut geschützt werden. Vor dem Coronavirus sowieso, aber auch vor allen anderen Viren. Die Eltern bauen einen kleinen Spielplatz für sie in den Garten, mit Nestschaukel und einem abdeckbaren Sandkasten. Mit anderen Kindern darf Ida nicht spielen – viel zu gefährlich.
Gute Überlebenschancen
Ida hat Glück im Unglück: Was bei ihr gefunden wurde, ist ein niedriggradig malignes Gliom, das heißt ein geringgradig bösartiger Tumor des Zentralnervensystems (ZNS). Entstanden ist er laut Erklärung auf der Seite der Kinderkrebsstiftung infolge einer Entartung von Zellen des Gehirns oder Rückenmarks.
Niedrigmaligne Gliome kommen am häufigsten im Kleinhirn und in den zentralen Anteilen des Großhirns vor. Meist wachsen sie sehr langsam. Sie machen die größte Gruppe der ZNS-Tumore bei Kindern und Jugendlichen aus. In Deutschland erkranken pro Jahr über 250 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren neu an einem niedrigmalignen Gliom. Das durchschnittliche Erkrankungsalter liegt bei fünf bis sieben Jahren.
Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit einem Gliom niedriger Malignität hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten stark gewandelt. Die meisten Patienten haben sehr gute Überlebenschancen.
„Ich habe keine Wünsche mehr“, sagt Esther Küppers. „Nur ein gesundes Kind. Aber das werden wir nicht mehr haben.“ Zehn Jahre lang muss Ida jetzt alle drei Monate ins MRT. Mit ganz viel Glück wächst der Tumor ganz langsam oder sogar gar nicht mehr. „Wenn so etwas passiert“, sagt Esther Küppers, „dann sieht man viele Dinge klarer. Vieles, über das ich mich früher geärgert hätte, ist mir heute egal.“ Vielleicht habe sie auch deshalb dem Vorschlag ihres Mannes zugestimmt, eine Spendenkampagne im Internet zu starten. „So etwas hätte ich früher niemals gemacht.“ Sie hätte sie sehr geschämt. „Wer gesteht sich schon gerne ein, dass er in einer Sackgasse ist?“
Wenn es zum MRT geht, kommen alle Ängste wieder hoch
Doch sind sie nun zwei arbeitslose Eltern in einem noch nicht abbezahlten Haus, mit pflegebedürftiger Oma im Obergeschoss, drei Kindern, von denen zwei auf ziemlich viel verzichten mussten und eines rund um die Uhr Unterstützung braucht. „Wir haben Sorge, dass wir blöd angeguckt werden“, sagt Oliver Küppers über das Crowdfunding, seine Online-Spendensammelaktion. „Aber wir müssen was machen, sonst gehen wir daran kaputt.“ Um in ihrem Zuhause wohnen bleiben zu können, um Ida eine Reittherapie zu ermöglichen, einen Treppenlift einbauen zu können, einen dringend benötigten Familienurlaub zu machen – für all das brauchen sie Geld. Auf der Seite gofundme.com (Suchbegriff „Ida Oberhausen“) ist schon einiges zusammengekommen.
„Es ist alles eine unheimliche Zerreißprobe“, sagt Esther Küppers über ihr neues Leben mit einem schwer kranken Kind. Wenn die Chemo Ende Februar zu Ende ist, geht es mit Physiotherapie, Ergotherapie und Frühförderung weiter. Im Mai steht das nächste MRT an: „Da kommen alle Ängste wieder hoch.“
Aber es sei schön, zu sehen, wie fürsorglich die großen Brüder sich um ihre kleine Schwester kümmern. Wie sie Ida trösten und es ihr nicht übelnehmen, wenn sie schon zum Frühstück ein Eis essen darf und sie nicht (weil sie vorher die ganze Nacht gebrochen hat und auf nichts anderes Lust hat). Esther Küppers denkt nur noch in kleinen Zeitabschnitten. Sie freut sich auf die Familien-Reha im Juni und darauf, dass Ida danach wieder in die Kita gehen darf. „Und dann“, sagt sie, „gucken wir einfach weiter.“
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