Oberhausen / Düsseldorf. Die Tochter von Sigmar Polke präsentiert in der Kunsthalle Düsseldorf neben 80 hochkarätigen Werken ihres Vaters 30 Kreationen jüngerer Künstler.

Anna Polke ist nicht gemeint mit dem „Polke-Jahr“, das am 13. November einem einzigartigen Highlight entgegenstrebt – obwohl die Schauspielerin, nach 29 Jahren im Ensemble des Theaters, in Oberhausen mindestens so bekannt sein dürfte wie ihr Vater (1941 bis 2010), der einst mit Gerhard Richter unter dem Motto „Leben mit Pop“ den Kapitalistischen Realismus erfunden hatte. Seine Tochter erfüllte sich 2018 „einen Herzenswunsch“ mit der Anna Polke Stiftung – und machte der Kunstforschung damit ein großherziges Geschenk.

Die Stiftung mit Sitz in Köln und einem Team aus fünf Kunsthistorikerinnen hat tüchtig Schwung aufgenommen. Dazu zählen nicht nur die Ausschreibungen für Stipendiaten, die das vielfältige Werk und Leben von Sigmar Polke erforschen wollen. Denn für den 13. November kündigt sich in der Düsseldorfer Kunsthalle eine spannend kuratierte Ausstellung plus Festival an, mit der die junge Stiftung nun erstmals ganz groß an die Öffentlichkeit tritt.

Sigmar Polke (1941 bis 2010): Der „Alchimist“ der Moderne konkurriert zwar mit dem Joseph-Beuys-Jahr. Doch für die Anna Polke Stiftung meint Kuratorin Nelly Gawellek: „Wir sind damit in gutem Fahrwasser.“
Sigmar Polke (1941 bis 2010): Der „Alchimist“ der Moderne konkurriert zwar mit dem Joseph-Beuys-Jahr. Doch für die Anna Polke Stiftung meint Kuratorin Nelly Gawellek: „Wir sind damit in gutem Fahrwasser.“ © Nachlass Manfred Leve | Manfred Leve

Auch für Gregor Jansen als Direktor der Kunsthalle ist es „außergewöhnlich, dass wir eine Ausstellung viele Wochen vor der Eröffnung vorstellen“. Die Stiftung habe sich schon vor zwei Jahren bei ihm gemeldet: „Und bei so einer Frage sagt man nicht nein.“ In der Wertschätzung des Kunstmarktes wie der Kunsthistoriker sind Richter und Polke, die beide von Düsseldorf aus die Malerei revolutionierten, einträchtig an der Spitze positioniert.

„Das Publikum wird auf die Knie sinken“

Da lässt ein Ausstellungstitel namens „Produktive Bildstörung“ zunächst einmal stutzen – zumal der Direktor der Kunsthalle die angekündigten Werke „anbetungswürdig“ nennt: „Das Publikum wird vor ihnen auf die Knie sinken.“ Diese „sensationellen“ Leihgaben, so Gregor Jansen, hätte die traditionsreiche Kunsthalle in der Düsseldorfer Altstadt alleine nie bekommen: ein starkes Signal für den Rang, den die Anna Polke Stiftung bereits genießt. „Es sind besondere Bilder, die kommen“, sagt auch die Stifterin.

Mit drei Festival-Tagen an der Kunstakademie

Die Kunsthalle Düsseldorf führt ihre stolze Historie über 300 Jahre zurück bis zur Sammlung des Kurfürsten Jan Wellem. Im heutigen Beton-Gebäude, direkt gegenüber der Kunstsammlung NRW am Grabbeplatz, residieren auch der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, die Kabarettbühne „Kom(m)ödchen“ sowie eine Kunstbuchhandlung.

Die Ausstellung „Produktive Bildstörung“ ist vom 13. November bis 6. Februar 2022 zu sehen, geöffnet dienstags bis sonntags 11 bis 18 Uhr. Der Eintritt kostet 6 Euro, ermäßigt 3 Euro. Zur Ausstellung erscheint ein zweisprachiger Katalog.

Während eines internationalen Festivals vom 25. bis 27. November an der Kunstakademie Düsseldorf, organisiert von der Anna Polke Stiftung, wollen Akteure verschiedener Disziplinen die Themen der Ausstellung vertiefen.

Und der Titel? „Produktive Bildstörung“ verweist zum einen auf den explodierenden Bilderkosmos des 21. Jahrhunderts mit immer mehr Bilddateien dubioser Herkunft – „Übertragungsfehler, Qualitätsverluste, Hacks und andere Störungen inbegriffen“. Zum anderen hatte Sigmar Polke schon vor einem halben Jahrhundert mit seinen Rasterbildern, mit Collagen und der Übernahme scheinbar beliebiger (Foto-) Motive gewitzt Zweifel geweckt am Heiligen Gral der Authentizität: Der produktiv forschende Maler liebte das Prinzip der „Bildstörung“. Das weise weit hinaus über die gerne genutzten Etiketten, welche die Nachwelt auf Sigmar Polke münzte: „Witzbold, Ironiker, Alchimist“.

Sigmar Polkes Gemälde „Hüter der Schwelle
Sigmar Polkes Gemälde „Hüter der Schwelle" und „Primavera", das auch in der Ausstellung „Produktive Bildstörung“ zu sehen sein wird. © dpa | Fredrik von Erichsen

Die jungen Kuratorinnen der Anna Polke Stiftung, Nelly Gawellek und Kathrin Barutzki, zählen die Klischees auf, um sie zu widerlegen: „Sigmar Polke hat nach wie vor großen Einfluss auf die aktuelle Kunstproduktion.“ Und genau darin besteht der Coup der Ausstellung „Produktive Bildstörung“: Sie darf viel mehr sein als ein „Best of“ zum 80. – indem sie 80 hochkarätigen Werken Polkes 30 aktuelle Werke jüngerer Künstler gegenüberstellt. Werke, aus denen ein verwandter amüsiert-kritischer Geist spricht.

Höchstes Lob investigativer Fachjournalisten

Und diese 30- bis 40-Jährigen müssen schon Klasse aufbieten, denn der Polke-Part der Ausstellung glänzt mit Gemälden wie „Pasadena“, entliehen vom Centre Pompidou in Paris. Allerdings schoss Trevor Paglen – der international wohl prominenteste unter den acht jüngeren „produktiven Bildstörern“ – bereits Kunst in die Erdumlaufbahn. Der 47-Jährige fing sich dafür heftige Kritik von Astronomen ein, die Paglens spiegelnden Satelliten als „Lichtverschmutzung“ geißelten. Dafür erntet der Künstler und studierte Geograf höchstes Lob investigativer Fachjournalisten für seine aufwendigen Recherchen zu behördlicher Datensammelwut und Überwachungs-Perfidie.

Wie ein kosmisches Lichtschwert wirkt in dieser Grafik der „Orbital Reflector
Wie ein kosmisches Lichtschwert wirkt in dieser Grafik der „Orbital Reflector", ein von US-Künstler Trevor Paglen gestalteter Satellit. Der 47-Jährige ist der strahlendste Name unter den Jüngeren der „Produktiven Bildstörung“. © Nevada Museum of Art / dpa

Schließlich war auch Sigmar Polke selbst ein wacher politischer Kopf: Das für die Ausstellung ausgewählte Gemälde „Amerikanisch-mexikanische Grenze“ könnte aus der tagesaktuellen Debatte um das Flüchtlingsdrama am Trump’schen Bollwerk entstanden sein – stammt aber aus dem Jahr 1984. Bei den anderen jüngeren Kunst-Stars liegt die relative Nähe zu Polke dann aber doch eher im Forschergeist, den der Schweizer Raphael Hefti explizit „im Licht von Murphys Gesetz“ aufblitzen lässt. Übersetzt: Was schiefgehen kann, darf schiefgehen.

Wie die „Schatzkabinette“ des Barock

Camille Henrot, die in Berlin und New York heimische Pariserin, bedient sich einer Fülle künstlerischer Medien von Malerei und Zeichnung, bis zu Skulptur und Film. Die Säle füllenden Installationen der 43-Jährigen – wie „Cities of Ys“ über die legendäre versunkene Stadt an der bretonischen Küste – sind so reich ausgestattet wie einst die „Kunstkabinette“ fürstlicher Sammler aus Renaissance und Barock.

„Es geht uns wirklich um einen Impuls für neue Generationen“, betont Anna Polke, die Stifterin. Mit einem Aufgebot wie bei dieser „Produktiven Bildstörung“ dürfte ihr das souverän gelingen.