Oberhausen. Was sind die Auswirkungen der Corona-Krise und wie können Wege aus dieser Krise aussehen? Wego-Chef Daniel Lübbe antwortet im großen Interview.

Mehr als 60 Prozent der innerstädtischen Betriebe fürchten um ihre Existenz, warnt der Handelsverband HDE mit Blick auf die Situation in Deutschland. Die Corona-Krise hinterlässt tiefe Spuren auch im lokalen Wirtschaftsleben. Auch in unserem Corona-Check wird deutlich, dass den Oberhausenern das Shopping-Erlebnis fehlt. Vor allem die bis zu 40-Jährigen geben in unserer Umfrage an, dass sie besonders das Einkaufen im Alltag vermissen. Das sagt Daniel Lübbe (37) als Vorsitzender der Werbegemeinschaft Osterfeld (Wego) zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie und zu möglichen Wegen aus der Krise.

Mehr als ein Jahr Corona-Pandemie mit all ihren Folgen für Geschäftsleute und Einzelhandel – wie ist die Stimmung in den Osterfelder Unternehmen und Geschäften?

Daniel Lübbe: Die Stimmung ist sehr durchmischt und durchwachsen. Verständlich, wir leiden in Deutschland seit über einem Jahr unter der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Es gibt nach wie vor Unternehmen, die von der Krise kaum betroffen sind, aber bei den meisten sind schwerwiegende Auswirkungen schon zu spüren. Ob direkt, etwa durch Schließungen, oder indirekt – zum Beispiel wegen Lieferschwierigkeiten.

Wie schlägt sich Osterfeld bislang in der Corona-Krise?

Osterfeld ist sehr tapfer, alle machen das Beste draus. Die regelmäßigen neuen Corona-Regeln machen das Leben nicht einfach, aber der möglichst pragmatische Umgang mit den Bestimmungen kann nur dabei helfen, die Krise bestmöglich zu meistern.

Welche Strategien haben Einzelhändler und Geschäftsleute entwickelt, um trotz der zahlreichen Unwägbarkeiten erfolgreich für die Kundinnen und Kunden präsent zu sein?

Jeder hat da sein eigenes Konzept, aber solange Abstand, Rücksichtnahme, Desinfektion und Masken genutzt werden sind die Konzepte gut. Die Umsetzung und Kontrolle der Maßnahmen sind das Wichtigste. Die pragmatische Umsetzung von Regeln hat mich sehr beeindruckt. Ebenso ist es schön zu erkennen, dass die Kunden treu bleiben. Klar, bestimmt wird auch auf das Internet ausgewichen, aber viele Bürgerinnen und Bürger nutzen nach wie vor das Nachversorgungsziel Osterfeld und auch den Osterfelder Markt für den Lebensmitteleinkauf. Das freut mich natürlich sehr.

Wird es nach Ihrer Einschätzung trotzdem noch zu zahlreichen Geschäftsaufgaben und Pleiten kommen?

Seit langem in der Wego präsent

Daniel Lübbe ist seit 2008 Vorstandsmitglied der Werbegemeinschaft Osterfeld (Wego). Im August 2020 wurde er als Nachfolger von Hans-Georg Gosda zum 1. Vorsitzenden gewählt.

Als Geschäftsführer der Cardoc-Autoklinik an der Heinestraße ist Daniel Lübbe im Stadtteil und weit darüber hinaus bekannt.

Eine solche Krise wird auch Verlierer haben, und das sind bestimmt nicht nur einzelne. Ja, ich glaube schon, dass es für die Unternehmerinnen und Unternehmer eine sehr schwierige Zeit ist. Gerade dann überlegt man sich, ob es sich überhaupt lohnt, das Risiko einer Selbstständigkeit auf sich zu nehmen. Viele mussten in den letzten Monaten auf Ersparnisse, Rücklagen oder auch Lebensabsicherungen zurückgreifen, um den Geschäftsbetrieb künftig aufrechterhalten zu können. Hoffentlich haben sich die Mühen und auch die finanziellen Investitionen dann bei jedem gelohnt und führen den Selbstständigen nicht selbst in Existenznöte.

Gibt es Austritte aus der Wego, weil Mitglieder ihr Geschäft aufgeben müssen?

Ja, leider haben wir im Kreise der Wego bereits erste Austritte wegen Corona zu verzeichnen. Um jeden, der in Osterfeld selbstständig war, und dies nicht mehr ist, ist es sehr schade. An jedem Betrieb hängt immer so viel: Kunden, Waren, Knowhow, Lieferanten – aber viel wichtiger: Personal und Menschen, die davon gelebt haben.

Was zählt jetzt am meisten, um das Geschäftsleben wieder in Schwung zu bringen?

Testen und Impfen! Durch Tests und die Möglichkeit, mit einem negativen Testergebnis dann einkaufen gehen zu dürfen, kann es dazu kommen, wieder eine neue und veränderte Normalität in den Alltag zu holen. Durch die Immunisierung kann die Normalität noch weiter in unser Leben zurückkommen. Ich glaube schon, dass Schutzmaßnahmen wie Spuckscheiben und Masken noch lange zum Alltag gehören werden, aber menschliche Nähe, Kontakte und Erlebnisse sind nicht dauerhaft einstellbar.

Bringen die Osterfelder überhaupt noch das nötige Verständnis für die Corona-Einschränkungen auf?

Es wird Zeit, dass die Menschen sich wieder treffen können, dass Gastronomie und Einkaufserlebnisse möglich sind – aber das alles geht nur, wenn das Ansteckungsrisiko minimiert ist. Gleichzeitig darf man aber nicht unbeachtet lassen, dass wir einen multikulturellen und sehr belebten Stadtteil haben. Seitdem der Wechselunterricht u.a. an der Gesamtschule Osterfeld stattfindet, erkennt man hier beispielhaft die Lebendigkeit und gleichzeitig die Risiken im Stadtteilgeschehen. Ich bin begeistert, dass die Einrichtung des Testzentrums im Café Jederman durch die Caritas realisiert wurde - nicht zuletzt auch eine Idee, die im Kreise der Wego und im Osterfelder Miteinander entstanden ist.

Welche konkreten Maßnahmen sind für die Innenstädte und Fußgängerzonen nun wichtig?

Die Zugkraft für die Händler vor Ort sind die Kunden. Es ist wichtig, dass wir gerade jetzt zusammenhalten. Einkäufe, Investitionen und Renovierungen müssen vor Ort durchgeführt werden. Die lokalen Einzelhändler, Gastronomien, aber auch Handwerker und Dienstleister müssen durch die Kunden bevorzugt werden. Ich wünsche mir für unseren Stadtteil ein noch ausgeprägteres Wir-Gefühl. Ebenso hoffe ich auf Initiativen der Kaufleute zur Belebung der Innenstadt, wir haben durch die Verfügungsfonds auch Fördermöglichkeiten.

Können Sie das noch konkreter erläutern?

Wego-Chef Daniel Lübbe.
Wego-Chef Daniel Lübbe. © Wego | Theresa_Klotz

Konkret gucken wir als Wego derzeit, wie wir ohne Veranstaltungen tätig sein können. Hoffentlich wird uns bald ein digitales Informationssystem dabei helfen. Die Plattform www.osterfeld-erleben.de und auch der neue Podcast unter dem Titel „Wir in Osterfeld“ sind kontaktlose Möglichkeiten, die wir schaffen. Im Februar und März haben wir eine kontaktlose Schnitzeljagd durchgeführt. Weiteres Spannendes wird folgen. Eine Veranstaltung wie das Osterfelder Stadtfest planen wir auch, derzeit ist der Termin des ersten Septemberwochenendes noch im Kalender eingetragen. Inwiefern wir eine Genehmigung bekommen und ob es dann Sinn macht, wird die Zeit entscheiden müssen. Zu guter Letzt freue ich mich auf das Jubiläum 100 Jahre Osterfeld als Teil der Stadt Oberhausen, welches wir in diesem Jahr begehen. Ich hoffe noch stark, dass wir das vielleicht sogar im Rahmen des Stadtfestes im September gebührend feiern können.

Was ist für Sie persönlich die prägendste Erfahrung der Corona-Krise?

Ja, da gibt es einige Erlebnisse: Noch vor dem ersten Lockdown Ende März 2020 hatte ich persönlich schon zehn Tage Quarantäne hinter mir. Auch wenn ich die Person nicht persönlich kenne, hatte ich Kontakt mit dem ersten Infizierten in Oberhausen. Wir erlebten zehn intensive Familientage in den eigenen vier Wänden. Täglich wurden wir vom Gesundheitsamt angerufen, das „Schutz“-Netz war schnell und gut aufgebaut.

Wie blicken Sie auf den ersten Lockdown damals zurück?

Von heute auf morgen wurde alles heruntergefahren. Ich war tatsächlich begeistert von der Politik, die eine neue Geschwindigkeit zeigte, die man vorher nicht kannte. Es wurden von heute auf morgen Möglichkeiten gefunden, die keiner kannte. Und dann folge eine Stille, mehr als vier Wochen lang war es ruhig. Jeder war mit sich selbst beschäftigt, das Leben wurde langsamer und an vielen Stellen wurde einiges eingefroren. Ich selbst empfand diese erste Bremse als nicht störend, sondern genoss es, so viel Zeit mit der eigenen Familie verbringen zu können. Mittlerweile ist das ganze Thema nervend und auch im wörtlichen Sinne atemberaubend. Aber in der Reflektion waren die Wochen im April eine Erfahrung wert.

Wird das Erlebnis der Corona-Pandemie den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken?

Viele Menschen haben gelernt zu schätzen, was Ihnen wichtig ist. Kontakte mit anderen Menschen, das Wir-Gefühl. Das ist auch auf digitalem Weg möglich. Ich selbst mag es weiterhin, mich vor allem persönlich mit Menschen zu treffen und auszutauschen. Ich glaube, auf Dauer wird vor allem im Beruf eine gute Balance zwischen Homeoffice und und persönlicher Präsenz der Königsweg sein.