Oberhausen. In Wolfram Hölls Drama „Nebraska“ tauchen die Songs vom Boss in den Dialogen auf. Die Bühnenmusik aber stammt von einer Stadionrock-Verächterin.
Für Verehrer des Cinemascope-Sounds der „E Street Band“ war’s ein Schock, als Bruce Springsteen im Herbst 1982 sein erstes Solo-Album „Nebraska“ veröffentlichte: keine Klangpracht, kaum ein Anflug des knackigen Rock’n’Roll – stattdessen düsterste Folksongs, aufgenommen in entschiedenem Lo-Fi mit einem Vier-Spur-Tonbandgerät. „Nebraska“ als Schauspiel von Wolfram Höll ist da schon mal entschieden bunter als das 39 Jahre alte Albumcover mit grauer Prärie unter bleischwerem Himmel. Am Samstag, 15. Mai, um 19.30 Uhr streamt das Theater Oberhausen die Uraufführung aus dem Großen Haus.
Als Erzähler seiner eigenen Lebensgeschichte hatte der „Born to Run“-Poet ein ganzes Jahr am Broadway bestritten. Das dürfte sein Verständnis erhöhen für den ganz anderen Ansatz, mit dem Elsa-Sophie Jach die sehnsuchtsvollen bis bitteren Verse des Rockbarden aus Freehold, New Jersey, inszeniert. „Wir haben seine Texte als Folie verstanden“, sagt die Regisseurin der Uraufführung – und schickt einige Fragen hinterher: „Sind die Sehnsüchte des American Dream schon verkauft und zum Zitat geworden? Ist das nur noch ein Abziehbild?“
Das Amerika dieses bröckelnden Traums passe ganz gut nach Oberhausen, meint Elsa-Sophie Jach. „Born in the USA“ oder „Johnny 99“ erzählen von „Fabriken, die zumachen“ und den ziellos Verzweifelten, die sich nur noch ins Auto schwingen können. „Das kann man durchaus auch hier verorten.“ Wie einen Steinbruch nutze Wolfram Höll einzelne Songzeilen oder ganze Refrains – und macht Springsteen so zum Co-Dramatiker. „Der Text funktioniert wie Songs“, bestätigt Stella Sommer.
Düsterer als der Boss: „Die Heiterkeit“
Die Musikerin der Inszenierung betont allerdings auch, dass sie mit dem Stadionrock einer E Street Band „überhaupt nichts anfangen kann“. Ihre eigenen Indie-Songs seien „düsterer“. Mit ihrem Quartett „Die Heiterkeit“ (Vorsicht: Ironie) bespielte sie in Oberhausen schon das Druckluft – noch nicht das Theater. Welch ein produktiver Affront: Den Text eines Dramatikers, der sich auf seiner Homepage stolz neben den jungen „Boss“ und seinen bollernden Boliden montiert – aber keine einzige Note aus Springsteens wahrlich düsterer Rostgürtel-Elegie. „Ent-stadionisiert“ nennt Stella Sommer dieses Vorgehen.
Das für ein Theater immer etwas heikle Motiv des „Road Movie“ übersetzt Bühnenbildnerin Marlene Lockemann mit beweglichen Kulissen, die sich vom Ensemble falten und ineinander schachteln lassen. „Einen aktiven Mitspieler“, nennt Regisseurin Jach diese mit falscher Idyllik auftrumpfenden „Abziehbilder“ des amerikanischen Traums. Und die mit Rüschen und Glitzerkram wuchernden Kostüme von Elisabeth Weiß verweisen auf die US-typischen Highschool-Bälle als „ultimativen Moment des Versprechens“.
Live auf der Bühne und etwas später im Stream
So funktioniert’s: Die Inszenierung wird live gefilmt und zwei Stunden später als Stream übertragen. Den Zugangslink verschickt das Besucherbüro nach Anmeldung, zu erreichen unter 0208 - 8578 184, montags bis freitags von 10 bis 15 Uhr. Am Samstag, 15. Mai, um 19.30 Uhr beginnt der Stream der Uraufführung von „Nebraska“ – mit anschließendem Premierenzoom. Karten gibt’s zu 15 Euro, ermäßigt 5 Euro – und zum „Sehnsuchtspreis“ von 25 Euro.
Der zweite Cruise von Mary und Max gen Westen folgt am Samstag, 22. Mai, um 19.30 Uhr.
„Jeder will den Hauptgewinn“, sagt Dramaturgin Simone Sterr mit durchaus herber Note – „oder will ein Hauptgewinn sein“. Zum American Nightmare passt dann „diese Wunde“, wie Elsa-Sophie Jach den leeren Zuschauerraum nennt. Die bewegte Kamera des zeitversetzt ins Netz übertragenen Streams soll auch ihn ins Bild nehmen. „Dieser verlassene Ort soll spürbar sein.“ Für die Musikerin jedenfalls ist der Auftritt vor Kameras kein Ersatz in der Not der Pandemie, sondern schlicht „ein anderes Medium, aber nicht weniger spannend“. So kann’s losgehen mit dem jungen Paar Mary und Max und ihrer abgründigen Reise zu skurrilen Begegnungen.