Oberhausen. In Oberhausen bleibt es beim zwölfwöchigen Abstand für die Zweitimpfung mit Astrazeneca. Ist die Impfung mit Johnson & Johnson nun die Lösung?

Die Impfabstände von Astrazeneca jetzt zu verkürzen, „nur weil Jan und Jupp in den Urlaub fahren wollen, davon halten wir gar nichts“, erteilt Dr. Heinrich Vogelsang, Ärztlicher Leiter des Impfzentrums in Oberhausen, dem entsprechenden Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) eine klare Abfuhr. Immer mehr niedergelassene Ärzte kritisieren: Die Impfstrategie von Bund, Land und Kassenärztlicher Vereinigung ist von sprunghaften Entscheidungen, einer unkalkulierbaren Impfstoffverteilung und technischen Pannen geprägt. Die Gesundheitsministerkonferenz reagierte nun mit der Freigabe des Einmal-Impfstoffes von Johnson & Johnson.

So sagt etwa der niedergelassene Internist und Palliativmediziner Dr. Christof Emschermann: „Ich fühle mich verschaukelt.“ Emschermann impft in seiner Praxis mit den Impfstoffen von Astrazeneca und Biontech und führt seitdem „unerträgliche Diskussionen über die gerechte Verteilung der Impfstoffe“. Bei jeder Patientin, bei jedem Patienten prüfe er zeitaufwendig, ob Kontraindikationen gegen einen der Impfstoffe bestehen. „Aber all unsere Bemühungen, die Bevölkerung schnellstmöglich zu impfen, werden nun schon wieder konterkariert, weil viele Impfzentren auch alle über 60-Jährigen munter weiter mit Biontech impfen, anstatt diese auf Astrazeneca umzustellen.“ Die örtlichen Praxen gerieten dadurch permanent in Erklärungsnot. „Außerdem fallen für uns auch die Lieferungen mit dem Impfstoff von Biontech, den wir dringend für die unter 60-Jährigen bräuchten, immer geringer aus.“

Da es in den Impfzentren nun also den vermeintlich besseren Impfstoff gibt, nahmen die Buchungen dort zu, die Praxen aber blieben viel zu lange auf Astrazeneca sitzen. Ein Dilemma, auf das Bund und Länder soeben mit der Freigabe des Vektorimpfstoffes für alle reagierten und die Priorisierung bei der Impfung mit dem Vakzin kippten. Alle die möchten, sollen sich nun an ihre Hausärzte wenden.

Großer Zuspruch für Freigabe von Astrazeneca für alle

Die Freigabe selbst befürwortet Emschermann zwar durchaus. „Denn was bei allen Diskussionen über die sehr seltenen thrombotischen Nebenwirkungen von Astrazeneca meist unter den Tisch fällt – dieser Impfstoff kann schwere und tödliche Covid-19-Verläufe zu 100 Prozent verhindern.“ Doch plötzlich und unerwartet seien die niedergelassenen Ärzte in Oberhausen jetzt mit Astrazeneca-Lieferungen geradezu überschwemmt worden. Dazu kommt: Darunter seien viele Dosen, die bereits im Mai und Juli 2021 ablaufen. „Haltbar sind diese Impfdosen rund fünf Monate lang – da fragen wir uns ernsthaft, wer diese Lieferungen seit Januar 2021 blockiert hat und warum diese Chargen nicht schnellstmöglich längst in den Impfzentren verimpft wurden?“

Der niedergelassene Oberhausener Internist und Palliativmediziner Dr. Christof Emschermann fühlt sich durch eine für ihn unkalkulierbare Impfstrategie von Bund und Land zunehmend verschaukelt.
Der niedergelassene Oberhausener Internist und Palliativmediziner Dr. Christof Emschermann fühlt sich durch eine für ihn unkalkulierbare Impfstrategie von Bund und Land zunehmend verschaukelt. © Emschermann

Statt dessen verursache die Spontanaktion von Bund und Land nun einen Ansturm auf die Arztpraxen, die diese kaum bewältigen könnten. „Erst telefonieren wir den Patienten mit einem enormen Arbeitsaufwand hinterher, jetzt bestürmen die Patienten selbst unsere Praxen.“ All dies hätte durch klare Vorgaben im Vorfeld längst so geregelt werden können: „Astrazeneca für alle über 60 Jahren, Biontech und Moderna für alle anderen – auch in den Impfzentren“, sagt Emschermann.

Willy-Jürissen-Halle könnte sofort eigene Impfstraße anbieten

Eine Ansicht, die auch Heinrich Vogelsang teilt, der in der Willy-Jürissen-Halle lieber heute als morgen einen eigene Impfstraße für Astrazeneca aufmachen würde, aber mangels Impfstofflieferung gar nicht kann. „Wir impfen höchstens zwei Prozent der Oberhausener mit Astrazeneca, ein Prozent über die mobilen Impfteams mit Moderna und 97 Prozent mit Biontech.“

Mediziner: Vieles spricht für Zweitimpfung mit Astrazeneca

Zurückhaltend beurteilt der niedergelassene Internist und Palliativmediziner Dr. Christof Emschermann auch das Vorhaben von Bund und Land, die Zweitimpfung bei allen mit Astrazeneca-Geimpften unter 60 Jahren nur noch mit einem MRNA-Impfstoff (und damit mit Biontech oder Moderna) durchzuführen.

„Es gibt zu einer solchen Kombi-Impfung noch keine verlässlichen Daten, niemand kann sagen, ob das erfolgreich verläuft oder welche Nebenwirkungen damit verbunden sind“, betont Emschermann. Die überwiegende Zahl aller weltweit dokumentierten Zwischenfälle bei Astrazeneca dagegen sei nach der Erstimpfung aufgetreten. Emschermann meint: „Deshalb sind alle, die Astrazeneca vertragen haben und sich auch bei der Zweitimpfung dafür entscheiden, möglicherweise sogar auf der sichereren Seite.“

Luft nach oben für die Astrazeneca-Impfungen bliebe im Impfzentrum aber jede Menge. Auch dank der technischen Pannen, die das Buchungssystem der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein mehrmals wöchentlich verursache. „Das System blockt fälschlicherweise immer wieder Termine, deshalb können wir oft genug statt über 1000 Menschen, nur 300 pro Tag impfen“, ärgert sich Vogelsang.

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Der Ärztliche Leiter des Oberhausener Impfzentrums und sein niedergelassener Kollege sind sich auch in diesem Punkt einig: „Einen verkürzten Impfabstand für Astrazeneca wird es bei uns nicht geben.“ Denn damit würde gegen alle Zulassungsstudien gehandelt. „Würden wir das Intervall für die Zweitimpfung bei Astrazeneca auf vier bis acht Wochen verkürzen, riskierten wir, dass die Menschen nur noch einen 50-prozentigen statt des 80-prozentigen Schutzes hätten“, erläutert Emschermann.

Johnson & Johnson für alle freigegeben

Eine Lösung für alle, die auf ihre Urlaubsreise nicht verzichten wollen, könnte der Vektorimpfstoff von Johnson & Johnson sein. Er funktioniert ähnlich wie Astrazeneca. Um einen vollständigen Impfschutz zu erreichen ist aber nur eine Impfung notwendig. Der Impfstoff wurde jetzt ebenfalls für alle freigegeben.

Die Ge­sund­heits­minis­ter­kon­fe­renz (GMK) verständigte sich allerdings darauf, dass das Vakzin hauptsächlich bei Menschen über 60 Jahren eingesetzt werden soll. Interessierte unter 60 Jahren könnten aber nach einer ärzt­lichen Aufklärung ebenfalls geimpft werden. Auch für diese Impfung sollen hauptsächlich die niedergelassenen Arztpraxen zuständig sein. Nach Impfungen von Johnson & Johnson war es ebenso wie bei Astrazeneca in sehr seltenen Fällen zu Thrombosen im Gehirn gekommen.

Das sagt die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein

Probleme bei der Terminvergabe durch die Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein kann KV-Sprecher Christopher Schneider dagegen nicht bestätigen: „Die Termin-Kapazitäten liefen in den letzten Wochen laut Auskunft unserer Experten immer unter Volllast bzw. wurden maximal ausgenutzt.“ Das bedeutet: „820 über die KV buchbare Impfungen am Tag im Oberhausener Impfzentrum.“ Neue Erstimpfungen mit Astrazeneca seien durch das NRW-Gesundheitsministerium derzeit in den Impfzentren aber nicht geplant.

Die Entscheidung, ob Impfabstände verkürzt oder verlängert werden können, obliege dem impfenden Arzt. „Dieser Aspekt ist aus unserer Sicht wichtig und sollte auch bei der entsprechenden Flexibilisierung weiterer Impfstoffe angewendet werden“, betont Schneider.

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