Oberhausen. Krankenkassen wollen PSA-Tests für die Prostatakrebs-Vorsorge nicht zahlen. Betroffene und Experten aus Oberhausen finden das fatal.

Günter Claßen mag sich nicht vorstellen, was passiert wäre, hätte man seinen Prostata-Tumor damals nicht so früh erkannt. Schon mit 55 Jahren ging der heute 85-Jährige regelmäßig zur Vorsorge. „Es ist alles wohl dem PSA-Test zu verdanken, dass bei mir alles gut gelaufen ist“, glaubt der Sterkrader.

PSA: Das steht für Prostata-spezifisches Antigen. Je höher die per Bluttest nachgewiesene Konzentration dieses Eiweißes ist, umso höher liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Tumor. Nur: Dass dieser Test auch von den Krankenkassen bezahlt werden soll, wurde erst jüngst wieder abgelehnt.

„Dabei ist dieser Test ganz elementar“, sagt Prof. Dr. Jan Fichtner, Chefarzt der Klinik für Urologie am Johanniter Krankenhaus Oberhausen. „Er ist letztlich die einzige Möglichkeit, den Prostatakrebs als häufigste Krebsform des Mannes in einem gut heilbaren Frühzustand zu entdecken.“ Dass lediglich das Abtasten des Enddarms Teil der gesetzlichen Vorsorge ist, hält er für problematisch. „Der Großteil der Tumore, die wir ertasten, hat die Kapsel der Prostata bereits erreicht. Das ist dann eigentlich keine Früherkennung mehr.“

PSA-Test weiterhin kein Teil des gesetzlichen Früherkennungsprogramms

Deswegen unterstützte auch Fichtner den Wunsch der Prostatakrebs-Selbsthilfegruppen, den etwa 25 Euro teuren PSA-Test endlich zur Kassenleistung zu machen. Auch Günter Claßen, seit Jahren aktiv in der Selbsthilfegruppe des Evangelischen Krankenhauses (EKO), kämpft seit Jahren für die Umsetzung dieser Forderung. „Bei einem früheren Test hätten viele unserer Mitglieder heute weitaus geringere Probleme“, ist er sich sicher.

https://www.waz.de/leben/prostatakrebs-warum-er-haeufig-zu-spaet-entdeckt-wird-id227413809.htmlAllerdings hat sich der Gemeinsame Bundesausschuss als oberstes Beschlussgremium der Selbstverwaltung von Krankenkassen, Krankenhäusern, Ärzten und Psychotherapeuten erst im Dezember 2020 erneut gegen kostenfreie PSA-Tests für die gesetzlich Versicherten ausgesprochen. Die Argumente: Der Test würde unnötig verunsichern und zu überflüssiger Therapie verleiten.

Sinnlose Therapie oder geringere Sterblichkeit?

Gestützt wurde die Argumentation durch ein Gutachten des „Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen“ (IQWiG). Es kam zu dem Ergebnis, dass sich die Gesamtsterblichkeit der Prostatakrebs-Erkrankten durch den Test überhaupt nicht erhöhe und er oft zu übermäßiger Therapie mit Folgen wie Inkontinenz oder Impotenz führe.

Vorsorge ab wann?

Die biologische Funktion des Prostata-spezifische Antigens dient eigentlich der Fortpflanzung: Durch das Enzym wird das Sperma verflüssigt, es kann sich dann besser im weiblichen Genitaltrakt fortbewegen. Chefarzt Dr. Jan Fichtner empfiehlt, ab dem Alter von 45 Jahren ein Mal im Jahr einen PSA-Test durchführen zu lassen. Ergibt sich dabei dann ein PSA-Wert unter eins, sei erst wieder eine Kontrolle nach vier bis fünf Jahren nötig. Bei einem Wert von eins bis zwei sollte man auch nach ein bis zwei Jahren erneut kontrollieren. Liegt der Wert über vier, müsse man weitere Maßnahmen in Erwägung ziehen.

Die Deutsche Gesellschaft für Urologie, der Jan Fichtner viele Jahre vorsaß, sieht die Bewertung der IQWiG dagegen „von der Datenlage nicht unterstützt“. Die Urologen sehen zudem eine „gesundheitspolitisch unausgewogene Versorgung der Geschlechter“: Wenn das Brustkrebs-Screening eine Kassenleistung ist, solle es auch der PSA-Test sein.

Erhöhter PSA-Wert kann auch auf Prostata-Vergrößerung zurückzuführen sein

Allerdings weiß auch Chefarzt Fichtner: Wenn der Test einen hohen PSA-Wert ergibt, muss das nicht gleich auf einen Tumor zurückzuführen sein. Der Wert könne zum Beispiel auch wegen einer Prostata-Entzündung oder -Vergrößerung, die viele Männer im fortschreitenden Alter entwickeln, erhöht sein. „Man muss sich immer im Detail anschauen, was der Wert bedeutet.“

Dr. Jan Fichtner ist Chefarzt der Urologie im Johanniter Krankenhaus Oberhausen. Er sieht den PSA-Test als „elementares Mittel“ der Krebsvorsorge.
Dr. Jan Fichtner ist Chefarzt der Urologie im Johanniter Krankenhaus Oberhausen. Er sieht den PSA-Test als „elementares Mittel“ der Krebsvorsorge. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Etwa 25 Prozent der Getesteten, die einen auffälligen PSA-Wert zwischen vier und zehn aufweisen, hätten tatsächlich einen bösartigen Tumor, 75 Prozent eine gutartige Vergrößerung der Prostata. „Man würde aber bei allen Patienten mit so einem Wert empfehlen, eine Biopsie durchzuführen.“

Aktive Überwachung: Tumor muss nicht gleich entnommen oder bestrahlt werden

Auch interessant

Bei einer von vier Biopsien finde man dann tatsächlich einen bösartigen Tumor - und wie man das bewertet, kommt in Augen von Fichtner auf die Perspektive an. „Dann kann man sagen: „Die Biopsie war überflüssig. Oder man kann sagen: Ein Glück, dass kein Tumor gefunden wurde.“ Aber selbst wenn ein Tumor entdeckt wird, müsse das nicht heißen, dass gleich eine Operation oder eine Bestrahlung stattfinden muss. „Bei etwa jedem Viertel der Patienten reicht dann eine aktive Überwachung.“ Darüber ließe sich die Krankheit auch gut managen.

Dem Sterkrader Günter Claßen konnte mit einer Brachytherapie geholfen werden. Dabei werden Stäbchen in die Prostata gepflanzt, die das Gewebe gleichmäßig und dauerhaft bestrahlen. „Vielen anderen, die ich kenne, musste die Prostata entnommen werden.“ Claßen dankt der Vorsorge mit dem PSA-Test, dass dies bei ihm bisher nicht nötig gewesen ist.