Singapur/Elspe/Essen. Mit einem neuen Bluttest will das deutsch-asiatische Start-up X-Zell die Krebsdiagnostik verbessern. Nun will die Firma in Europa wachsen.
Rund zehn Millionen Menschen sterben weltweit an Krebs – jedes Jahr. Das deutsch-asiatische Start-up X-Zell möchte diese Zahlen deutlich drücken: mit einem neuen kostengünstigen Bluttest, der Krebszellen in einem sehr frühen Stadium sichtbar macht. Nun will das junge Unternehmen auch den mitteleuropäischen Markt erobern – aus Elspe im Sauerland und mit Unterstützung aus Essen.
Wenn Dr. Sebastian Bhakdi in sein Mikroskop schaut, dann sieht er Zellen. Sogenannte atypische Zellen. Gewonnen aus Blut. Zehn Milliliter reichen für die Diagnose. Bhakdi macht Krebserkrankungen sichtbar. Das rettet Leben. Das verhindert Leid.
Mit Malariaforschung begonnen
Der Arzt stammt aus Marburg, er studierte in Freiburg und Barcelona, bevor ihn die Deutsche Forschungsgesellschaft 2006 mit einem Stipendium nach Thailand schickte. In der Heimat seines Vaters entwickelte er eine effiziente Methode, mit Malaria infizierte Zellen aus kleinen Blutproben zu isolieren.
Weil das gut funktionierte, setzte Bhakdi die Technologie bald danach auch für das Blut von Krebspatienten ein – mit Erfolg. Er gründete das Unternehmen X-Zell. Kurz darauf stieß der Sauerländer Johannes Hille als Investor und treibende operative Kraft dazu. Beide waren sich zufällig in Asien über den Weg gelaufen. Heute lebt Bhakdi in Singapur; dort befindet sich auch die Firmenzentrale.
Und Hille kümmert sich als Geschäftsführer um das operative Geschäft. Weil der 38-Jährige aus dem Lennestädter Ortsteil Grevenbrück stammt, steht der Name Elspe in der Nachbarschaft nun nicht mehr nur für Karl-May-Festspiele, sondern auch für die erste kleine Filiale von X-Zell in Deutschland. Sie wurde Anfang Februar eröffnet.
Zusammenarbeit mit Uni-Kliniken
„Wir wollen X-Zell weiter internationalisieren“, sagt Hille. „In Deutschland werden wir in den kommenden zwei, drei Jahren einen siebenstelligen Euro-Betrag investieren.“ Der Schwerpunkt liegt auf der weiteren Entwicklung medizinischer Geräte, mit denen das Blut getestet werden kann, und dem Aufbau einer Vertriebsstruktur.
Mit den Uni-Kliniken in Mainz und Kiel arbeitet X-Zell bereits zusammen. „Wir suchen in Deutschland aber weitere universitäre Kooperationspartner, auch um ein Referenzlabor einzurichten“, sagt Sebastian Grote, der bei dem Unternehmen für das Marketing verantwortlich ist. Er stammt übrigens aus Hagen und ist Johannes Hille in Asien erstmals begegnet – ebenfalls zufällig.
Gleichzeitig arbeitet X-Zell am Einsatz künstlicher Intelligenz, um die Diagnosen zu automatisieren und zu beschleunigen. Mit den zwei größten Krankenhäusern von Singapur wird der Test für Prostatakrebs gerade validiert; ab Juli wird er dort routinemäßig eingesetzt. In Zukunft soll eine Übertragung auf Krebserkrankungen möglich werden.
Viel Geld eingesammelt
Die erforderlichen Mittel hat X-Zell in mehreren Finanzierungsrunden bei Investoren eingesammelt, insgesamt mehr als vier Millionen US-Dollar. Größter Geldgeber ist die Deutsche Industrieanlagen GmbH (Diag) aus Essen, Spezialist für Industriedienstleistungen.
X-Zell sei eine besondere Investition für die Diag, sagt Geschäftsführer Martin Wiechers, „nicht nur weil das Konzept selbst überzeugend ist, sondern auch, weil es unseren Fokus auf Zukunftstechnologien unterstreicht“. Anspruch der Diag sei es, früh in Technologien zu investieren, die einen nachhaltigen, positiven Einfluss auf unsere Gesellschaft haben. Wiechers: „X-Zells neuartige Herangehensweise an die Krebsfrüherkennung ist eine solche Lösung.“
Offenbar hat die Corona-Pandemie bei Investoren ein neues Bewusstsein geschaffen. Geld wird nicht einseitig in die Virus-Forschung gesteckt, sondern in den medizinischen Fortschritt insgesamt. Covid-19 mache deutlich, wie wichtig die Früherkennung von Krankheiten sei – und wie groß der Nachholbedarf, sagt Wiechers. „Das trifft natürlich auch auf die Volkskrankheit Krebs zu. Denn auch sie trifft mitten ins Herz der Gesellschaft: Die meisten haben Betroffene im Familien- oder Freundeskreis, und niemand ist vor der Diagnose gefeit. Je früher wir hier intervenieren, desto größer der Unterschied, den wir machen können.“
Der Traum aller Mediziner
Es sei der Traum aller Mediziner, Krankheiten vorherzusehen, ohne mit großem Aufwand in den Körper eindringen zu müssen, sagt Grote. „Wir schaffen das, indem wir das Blut auf atypische Zellen untersuchen, diese Zellen isolieren und digitalisieren.“ Schnitte ins Gewebe können im besten Fall vermieden werden. Damit könne der Pathologe entscheiden, wie er weiter vorgehen soll. X-Zell hat die Hardware, etwa einen automatisierten Zellscanner, und die nötigen Reagenzien selbst entwickelt.
Die Vision: Irgendwann soll der Test für die fünf bis sechs wichtigsten Krebsarten anwendbar sein. Und er soll mit Kosten in Höhe von 30 bis 40 US-Dollar erschwinglich sein.
„Ziel muss es sein, unsere Gesundheit aktiv zu managen, anstatt nur auf Symptome zu reagieren“, sagt Dr. Sebastian Bhakdi. „Im Bereich der Onkologie wird X-Zell diesen Paradigmenwechsel konsequent vorantreiben.“
Bisher arbeiten gut drei Dutzend Mitarbeiter für X-Zell. Darunter Iren, Deutsche, Belgier, Engländer, Thailänder, Inder, Singapurer sowie eine Laotin. Neu dabei ist zum Beispiel John Lea, ehemaliger Design-Direktor von Microsoft. „Wir werden weiter aufstocken“, sagt Johannes Hille. Vielleicht auch im Sauerland.