Oberhausen. Sie sind kurzatmig, kaum belastbar: 2300 Oberhausener leiden nach überstandener Corona-Infektion am Post-Covid-Syndrom und es werden immer mehr.

Rund 2300 Oberhausener kämpfen nach einer überstandenen Covid-19-Infektion teils bis heute mit Spätfolgen wie Kurzatmigkeit, Verlust des Geruchs- und Geschmacksinns, Erschöpfung, Vergesslichkeit. Allein in der Klinik für Bronchial- und Lungenheilkunde des Johanniter Krankenhauses Oberhausen wurden bereits zirka 50 Patienten mit einem Post-Covid-Syndrom behandelt. Fast alle Betroffenen hatten nur einen leichten Corona-Infekt gehabt.

„Ein Drittel aller Covid-19-Patienten hat auch sechs Monate nach der Infektion noch Beschwerden“, weiß Klinikleiter Dr. Josef Karl Wiemann. Dabei spricht er nicht von den schweren Fällen, nicht von denen, die stationär behandelt werden mussten oder gar auf der Intensivstation landeten. „Nein, es trifft auch fast jeden Dritten, der zunächst gar nichts von seinem Infekt gemerkt oder nur ein bisschen Fieber hatte.“

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70 Prozent der Betroffenen zeigten nach ihrer Genesung plötzlich neurologische Symptome. „Missempfindungen wie Kribbeln auf der Haut, Geschmacksstörungen, Vergesslichkeit.“ Eine der Patientinnen im Johanniter Krankenhaus hatte vor ihrer Aufnahme entsetzt festgestellt, dass sie die Aktenordner im Büro nicht mehr einsortieren konnte. „Sie stellte sie weg und fand sie nicht wieder.“ Erst als die 52-Jährige alle nacheinander herausnahm, erkannte sie zwar, dass die Reihenfolge nicht stimmte. „Aber es gelang ihr trotzdem nicht, sie richtig sortiert zurückzustellen.“

Der Hausarzt hatte nichts Auffälliges feststellen können

Und dann ist da noch der junge Mann, der gerade eine neue Stelle angetreten hatte. Noch in der Probezeit war er an Corona erkrankt, ein leichter Verlauf, aber er kam danach einfach nicht mehr auf die Füße – und erhielt prompt die Kündigung. „Er ist bis heute kurzatmig, kaum belastbar – das läuft leider auf eine Berufsunfähigkeit hinaus“, sagt Wiemann.

Immer wieder kommen auch genesene Covid-19-Patienten zu ihm in die Lungenklinik, bei denen der Hausarzt nichts Auffälliges feststellen konnte. „Das Blutbild war in Ordnung, die Röntgenaufnahme der Lunge ebenfalls, selbst ein erster Lungenfunktionstest verläuft oft noch vorbildlich. Trotzdem geht es den Patienten durchweg schlecht.“ Erst eine Magnetresonanzaufnahme der Lunge und ein langwieriger Lungenfunktionstest unter Belastung im Johanniter Krankenhaus bewiesen: „Ihre Lungen sind nachweisbar geschädigt.“

Dr. Josef Karl Wiemann ist Kommissarischer Leiter der Klinik für Lungenheilkunde am Johanniter Krankenhaus Oberhausen.
Dr. Josef Karl Wiemann ist Kommissarischer Leiter der Klinik für Lungenheilkunde am Johanniter Krankenhaus Oberhausen. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Wie kommt das? „Covid-19 ist eben viel mehr als Schnupfen, Husten, Fieber, Lungenentzündung“, sagt Wiemann. „Covid-19 greift die Gefäßinnenwände an und kann dadurch jedes Organ schädigen, eben auch bei vermeintlich leichten Verläufen.“ Erwischt es Herz oder Lunge kommt es zur Kurzatmigkeit, zur verminderten Belastbarkeit. Trifft es das Gehirn, folgen Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen. Chronische Müdigkeit, Missempfindungen setzen ein, wenn sich die kleinsten Gefäße des zentralen Nervensystems entzünden. „In schweren Fällen kommt es zu Thrombosen, zur Lungenembolie.“ Die leichten Fälle entwickelten erst oft schleichend, aber nachhaltig teils gravierende Spätfolgen.

Post-Covid-Ambulanzen und spezielle Sprechstunden

Mittlerweile gebe es Reha-Maßnahmen, ein Bewegungs- und Gedächtnistraining. „Allerdings erschwert uns die Corona-Pandemie die Nachsorge erheblich, denn die meisten Kurkliniken sind entweder noch geschlossen oder arbeiten nur mit halber Kraft.“ Josef Karl Wiemann rät seinen Patienten dringend zur Gründung einer Selbsthilfegruppe. „Weil es wichtig ist, Informationen auszutauschen, es gibt ja noch keine Literatur über das Post-Covid-Syndrom.“ Aber auch, weil es schon helfe, sich einfach mit Menschen auszutauschen, die wissen, wovon man redet.

Bundesweit entstehen mittlerweile auch Post-Covid-Ambulanzen. In Kiel, Hamburg, Hannover, Jena gibt es sie schon. Auch die Uniklinik Köln bietet eine spezielle Covid-Sprechstunde an. Eine Vorstellung dort ist aber frühestens drei Monate nach Symptombeginn möglich und nur, wenn bereits auffällige Befunde vorliegen und der behandelnde Arzt den Anmeldebogen ausgefüllt hat. Kontakt per Mail unter: infektionsambulanz@uk-koeln.de. Wer infolge der Covid-Infektion noch unter einer Riech- und/oder Schmeckstörung leidet, kann sich an die Kölner Spezial-HNO-Sprechstunde zur Riechtestung und Beratung wenden (E-Mail an: hno-corona@uk-koeln.de). Auch die Ruhrlandklinik in Essen bietet für Patienten nach überstandener Covid-19-Erkrankung eine ambulante lungenärztliche Kontrolle in Absprache mit dem Haus- oder Lungenfacharzt an. Patienten können sich dort unter 0201- 433-4002/4003 melden.

Notdienst ist rund um die Uhr im Einsatz

Die Klinik für Bronchial- und Lungenheilkunde am Johanniter Krankenhaus Oberhausen (das zum Evangelischen Klinikum Niederrhein gehört) besteht seit 1979 und betreut schwerpunktmäßig akute und chronische Erkrankungen des Atmungsorgans.

Mit dem vorhandenen Bereitschaftsdienst ist eine notfallmäßige Betreuung rund um die Uhr gewährleistet, insbesondere auch bei akut auftretenden Asthmaanfällen, schweren Lungenentzündungen oder Pneumothorax (Lungenriss).

Noch hoffen Mediziner weltweit, dass die Spätfolgen nach rund sechs Monaten abklingen oder sich zumindest bessern. „Eine Garantie dafür gibt es aber nicht“, räumt Wiemann ein. Deshalb appelliert der Klinikchef an alle impfberechtigten Oberhausener: „Nutzen Sie diese Chance. Alle bei uns zugelassenen Impfstoffe schützen vor Covid-19 und damit auch vor Folgeschäden.“

Eine Ernährungsberatung kann Symptome lindern

Auch eine Ernährungsberatung kann Patienten mit einem Post-Covid-Syndrom helfen. Darauf weist Barbara Stöckl, freiberufliche Oberhausener Ernährungstherapeutin, hin. Immer mehr Patienten kämen nach einer Covid-19-Infektion mit Geschmacks- und Geruchsstörungen, mit Durchfallepisoden und anderen Magen-Darm-Problemen zu ihr. „Bei manchen sinkt das Gewicht, bei manchen steigt es“, sagt die ausgebildete Diätassistentin. Die Ursachen seien noch nicht geklärt. „Wir entwickeln Ernährungsempfehlungen, die es den Betroffenen ermöglichen, die Magen-Darm-Problematik in den Griff zu bekommen, und vor allem haben wir leckere Rezepte, mit denen die Geruchs- und Geschmacksprobleme weniger werden.“

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Die Betroffenen müssten diese Sinne nicht „neu“ erlernen, sondern die Zeit optimal überbrücken, bis die Geruchs- und Geschmackswahrnehmungen wieder zurückkämen. In der Ernährungstherapie würden Techniken angewendet, die bereits vielen Krebspatienten während und nach Chemotherapien helfen konnten. „Es gibt etwa bestimmte Lebensmittel, die beim Beißen und Kauen Geräusche machen, und damit andere noch funktionierende Sinne nutzen, um sich an Lebensmittel zu erinnern und so den Appetit zu fördern.“

Mit einer gezielten Zufuhr von Kohlenhydraten und Fetten könnten darüber hinaus auch Beschwerden wie chronische Erschöpfung und Leistungsschwäche gemildert werden.