Oberhausen. Skizze eines nach wenigen Minuten abgebrochenen Theaterbesuchs: Pietät ist ein zu persönliches Empfinden für diese „Trauerfeier für Lebende“.

Pietät ist ein zutiefst persönliches Empfinden. So kann es auch einem Theaterkritiker passieren, dass er eine Premierenaufführung nach weniger als zehn Minuten verlässt. „Wer seine Wunde zeigt, wird geheilt“, dieses Beuys-Zitat steht zwar als Motto neben einem durchgestrichenen Omega (dem letzten Buchstaben des griechischen Alphabets) auf dem Programmblatt zu „Sterben in Oberhausen“. Doch ob und wie man an welche Wunden rühren lassen will, sollte einem jederzeit selbst überlassen bleiben.

Die Premiere jener „Trauerfeiern für Lebende“ von Saskia Kaufmann und Raban Witt, dem Dramaturgen des „Schlingensief 2020“-Wochenendes, begann schon unschön mit einer kleinen Posse unwillentlicher, aber aktiver Publikumsvertreibung: Die Kasse verwies, allerdings auf gut Glück, auf den Eingang neben der Theaterkneipe Falstaff. Doch kaum drinnen, wurde man deutlich zurück auf den (noch verschlossenen) Eingang am Will-Quadflieg-Platz verwiesen. Draußen hängen Plakate im bunten Dutzend – aber keine gut sichtbare Info, wie man überhaupt ins Theater kommt: bitte schön knubbeln bei der Suche!

Bunter Sterben: Vor einem Regalturm wie im Devotionalienhandel ergreift Julius Janosch Schulte vom Ensemble das Mikrofon.
Bunter Sterben: Vor einem Regalturm wie im Devotionalienhandel ergreift Julius Janosch Schulte vom Ensemble das Mikrofon. © Theater Oberhausen | Katrin Ribbe

Der Prolog – nein, nicht „im Himmel“ – sondern im Rangfoyer vertiefte das mulmige Gefühl. Jedenfalls wenn man inzwischen darauf gedrillt ist, flugs und still und maskiert seine Plätze einzunehmen. Stattdessen ein Stehempfang mit Iris Minich zwischen zwei Leuchtkästen: links „Nutze den Tag“, rechts „Verschwende Deine Zeit“. Im von den Theaterleuten so genannten „Aquarium“, dem gläsernen Nebenraum, droht ein Kleiderständer, behangen mit zehn beigefarbenen Walleumhängen. Schon dieses Entree hat die salbungsvoll pietistische Aura einer evangelikalen Sekte US-amerikanischer Machart.

Im Zeremonienraum: der zu Betrauernde

Beim aus den Boxen donnernden „Halleluja“, das (kurz vor Corona) im benachbarten Ebertbad Gerburg Jahnke als „Frau Gott“ immer wieder angenervt abzuwinken hatte, fühlte ich mich ungleich wohler. Der lebend zu Betrauernde, der Tage zuvor im Trauerbüro am Altmarkt ein Interview absolviert hatte, „bereitet sich im Zeremonienraum vor“, raunte Iris, die alle beim Vornamen nennen möchte. „Es ist die Sterblichkeit, die uns alle vereint“.

Doch der Punkt, an dem ich zu angefasst bin, um mir diese gruppendynamische Vorhölle in pudrigen Farben weiter anzutun, ist allzu schnell erreicht. Bereits als Iris von „Spielchen“ spricht. Klar doch, man darf im Theater auch weinen wollen. Aber das Wort „Trauerspiel“ hat nun mal zwei Bedeutungen. Dankbar trete ich vorzeitig an die frische Luft – dankbar, dass bei jenen Trauerfeiern, die ich bisher erleben musste, Geistliche sprachen, die wussten, was sie sagten.