Oberhausen. Hölderlin erwacht hier sozusagen zu neuem Dasein: Franziska Dannheim bringt das Leben und Leiden des Dichters dem Publikum eindrucksvoll näher.
Von der Weinstube zum Kolonialwarenhändler, so könnte man die kurzfristige Verlegung der Geburtstagsfeier eines großen Dichters gar trefflich nennen. War doch das Literaturhaus für Franziska Dannheims Spurensuche „Wem sonst als Dir“ zum 250. Geburtstag von Friedrich Hölderlin in den attraktiven Saal der „Löwenzahn Erziehungshilfe“ an der Falkensteinstraße umgezogen.
Wo eine wuchtige Waage erst die Frage aufwarf, für welche Kolonialwaren man wohl 1500 Kilo Kapazität brauchte. Und einen dann unwillkürlich an das berühmte „Menetekel“ erinnerte. Sie wissen schon: gewogen und für zu leicht befunden. Natürlich ein schwerer Irrtum, denn selbstmurmelnd erwies sich die auch als Erzählerin glänzende Sängerin Franziska Dannheim mit ihrem eindrucksvollen Begleiter, dem Cellisten Daniel Brandl, als imposantes Schwergewicht in Sachen leichtgängiger Hölderlin-Vermittlung.
Was nicht zuletzt deshalb sehr unterhaltsam geriet, weil die exakt 200 Jahre jüngere Künstlerin mit dem bedeutendsten Lyriker seiner Zeit die schwäbische Heimat teilt. Was in ihrem heiteren, warm timbrierten Parlando über den Lebensweg des kleinen Holunders – so die etymologische Auflösung seines Namens – sprachlich immer mal wieder hübsch pointiert aufblitzte. Etwa als sie erklärte, ihr liebster schwäbischer Ausdruck sei „Hund abschaffe, selbe kläffe“ – schallendes Gelächter im fast ausverkauften Saal.
Mal filigran, mal aufbrausend
Musikalisch umrahmt von kleinen Fragmenten des Brahms’schen „Schicksallieds“ (für Chor und Orchester), deren Bearbeitung Daniel Brandl in sonorer Farbigkeit mal auf seinem Cello filigran zupfte, mal streichend aufbrausen ließ, brachte Franziska Dannheim den gebannt lauschenden Zuhörern im Laufe ihres lebendigen Vortrags den Werdegang von Johann Christian Friedrich Hölderlin näher.
Facettenreiche Künstlerin
Franziska Dannheim wurde 1970 in Tübingen geboren und wuchs in Bad Cannstatt auf. Die studierte Sopranistin lebt seit 1993 in Essen.
Bekannt wurde sie mit der Titelpartie der deutschen Erstaufführung von Astor Piazzollas Tango-Oper „Maria de Buenos Aires“ 1997 durch die Neue Ruhrphilharmonie in Bottrop.
Seit 2007 präsentiert sie mit der Pianistin Jeong-Min Kim unter dem Titel „Oper légère – eine Stimme · ein Piano · eine Oper“ solche Werke wie Don Giovanni, Carmen oder La Traviata in kompakter Form. Daneben hat sie weitere künstlerische Projekte.
Am 30. Oktober ist sie mit „Oper légère – Fidelio“ im Alten Bahnhof, Essen-Kettwig (www.bahnhof-kettwig.de) zu Gast.
Dem war von der dominanten Mutter, der er auch seine weniger bekannten Vornamen verdankte, eine für das pietistische Schwaben gemäß ihres Standes der „Ehrbarkeit“ typische Karriere als Pfarrer zugedacht. Dass er die nach einschlägiger Ausbildung, so in Maulbronn und einem Studium als Stipendiat im Tübinger Stift, ausschlug, traf die inzwischen zweifache Witwe hart. Aus finanziellen Gründen – die Mutter, von der er zeitlebens abhängig sein wird, enthält ihn des väterlichen Erbes – wird er Hauslehrer für Kinder wohlhabender Familien.
Nach einem Intermezzo in Jena, wo er Goethe, Novalis und den verehrten Schiller kennenlernt, tritt Hölderlin 1796 in den Haushalt des Frankfurter Bankiers Jakob Gondard ein. Dessen Ehefrau Susette wird die große Liebe seines Lebens, was er in seinem berühmten Briefroman „Hyperion“ poetisch thematisiert. Natürlich gab es davon Ausschnitte zu hören, worauf Franziska Dannheims lyrischer Sopran mit der frühen Vertonung „Rückkehr in die Heimat“ von Theodor Fröhlich zu eben dieser nach Tübingen überleitete.
Irre Zwangsbehandlung
Dort wurde der von Susettes Tod zerrüttete Dichter einer irren Zwangsbehandlung mit Quecksilber-haltigen Mitteln unterzogen, die genau jene Symptome hervorriefen, die sie eigentlich heilen sollten. Um es kurz zu machen: Den Rest seines Lebens von 1807 bis 1848 verbrachte der hypersensible und menschenscheue Hölderlin in dem später nach ihm benannten Tübinger Turm, wo er, inspiriert von dem griechischen Lyriker Pindar, seine oft rätselhaften, hymnischen Gedichte verfasste, mit denen er erst posthum berühmt werden sollte.
Stürmischer Jubel
Es war ein bewegendes Erlebnis, wie empathisch Franziska Dannheim an diesem Abend in nur 70 Minuten das tragische Leben des kleinen Holunders zum Blühen brachte. Wofür ihr, „Wem sonst als Dir“, mit Daniel Brandl denn auch angemessen stürmischer Jubel zuteil wurde.