Oberhausen. Was leistet das 1,5 Millionen Euro teure, vierarmige OP-System Da Vinci? Besuch einer Prostata-Operation im Johanniter Krankenhaus Oberhausen.
Wenn das Handy klingelt, kann man ruhig rangehen. Blut ist ja nicht an den Händen. Und auch die Roboterarme bleiben genau dort im Inneren des Patienten stehen, wo Dr. Jan Fichtner sie vor dem Griff nach dem Telefon positioniert hat. „Sie imitieren die Bewegung der eigenen Hand ganz genau“, sagt der Chefarzt, barfuß sitzend am Steuergerät des OP-Roboters Da Vinci. Seit sechs Jahren werden vor allem Prostata- und Nierenoperationen am Johanniter Krankenhaus in Oberhausen-Sterkrade mit dem System vereinfacht.
Jan Fichtner, seit 2001 Chefarzt der Urologie, hat viele der rund 3000 Operationen in seinem Leben also noch auf andere Weise erlebt - mit großem Bauchschnitt, „damit man die Hände ins Körperinnere legen und in allen Freiheitsgraden operieren kann“, sagt er. Gerade bei Prostata-Entfernungen wie der heutigen sei das vor rund zehn Jahren noch der Standard gewesen. Der Da Vinci aber biete dem Operateur nun zum einen das „Freiheitsgefühl“ der offenen OP, aber auch die Vorteile minimalinvasiver Methoden. „Für den Patienten ist das sehr schonend“, betont Fichtner.
Unblutig, geruchsarm, präzise
So soll sich der 62-jährige Patient, dem hier heute die tumorbefallene Prostata entnommen wird, schon kurz nach der Operation wieder gut bewegen können. „Mit dem Kinderwunsch kann man es danach allerdings vergessen“, sagt Fichtner, während er gerade per Roboterschere die Samenleiter durchtrennt. Weil der Krebs so früh erkannt worden sei, könnten aber die Nervenstränge für den Erhalt der Potenz geschont werden.
„Deswegen ist Vorsorge ja so wichtig“, sagt der Chefarzt. Meist seien es ja nur die verheirateten Männer, die von ihrer Frau zu den Regeluntersuchungen geschickt werden. „Ehemänner leben länger.“ Heiterkeit im OP-Saal. Nicht etwa ein unpassender Ort dafür. Denn der Da Vinci entschärft das Makabre an so einem Eingriff fast gänzlich – so unblutig, geruchsarm und präzise geht man hier vor. Auch wenn es etwas martialisch wirkt, wie der Patient der vierarmigen Maschinen ergeben ist.
1200 Euro Verschließ pro OP
Chefarzt Fichtner verfolgt sein eigenes Tun nicht durch die zwei Bildschirme im OP-Saal; er blickt durch ein Visier, das ihm die zehnfach vergrößerten Aufnahmen der Kamera dreidimensional vor die Augen führt. „Es fühlt sich an, als würde man im Körperinneren schweben“, beschreibt es der Operateur. Die Kamera wird von einem der vier Da-Vince-Arme getragen, die anderen drei können mit verschiedenen Werkzeugen ausgerüstet werden. Aktuell trägt der Roboter zwei Zangen und eine Schere.
Nachteile des Da Vinci
Neben den Kosten ist auch der Zeitfaktor ein Nachteil des Da Vinci. Die Operationen dauern in der Regel länger als offene Eingriffe, die Sterilisierung der Instrumente gilt als sehr aufwendig. Außerdem müssen sich die Operateure umfassend in das System einarbeiten, 50 Simulationsstunden vor dem ersten Einzeleingriff sind üblich.
Trotz der Kosten schaffen sich immer mehr Kliniken einen Da Vinci an, in rund 100 Kliniken wird er bereits verwendet, im Umkreis unter anderem in Essen, Düsseldorf, Dortmund, Herne, Bochum, Recklinghausen, Marl, Bottrop und Münster.
Zehn Mal darf ein Instrument benutzt, danach muss es ausgetauscht werden, erklärt OP-Pflegekraft Oliver Jahnke. „Austricksen kann man den Da Vinci da nicht, der merkt sich genau, wie oft ein Instrument benutzt wird.“ Durchschnittlich müssten deswegen 1200 Euro Verschleißkosten pro Operation berechnet werden, dazu kommen die hohen Wartungskosten und der Preis der Maschine an sich: Stolze 1,5 Millionen Euro hat sich das Evangelische Klinikum Niederrhein, zu dem das Johanniter Krankenhaus gehört, ihr OP-System kosten lassen. Im Vergleich zu klassischen OP-Methoden also ein sündhaft teures System.
OP wäre theoretisch von New York nach Oberhausen möglich
„Von den Krankenkassen bekommt man trotzdem nur denselben Betrag erstattet wie bei anderen Operationen“, sagt Dr. Fichtner. Einige Kliniken würden sich die Mehrkosten einer Da-Vinci-OP deshalb von den Patienten bezahlen lassen. „Wir geben das aber nicht weiter“, so der Chefarzt. Was betriebswirtschaftlich zunächst wenig sinnvoll erscheint, gibt dem Krankenhaus in der umkämpften Oberhausener Krankenhauslandschaft ein Alleinstellungsmerkmal. Außerdem, so Fichtner, würde man in den USA fast schon an allen Kliniken mit einem Da Vinci arbeiten. Der Roboter sei also klar der Standard der Zukunft.
Wobei der Da Vinci ja viel mehr Assistenzsystem als autark arbeitende Maschine sei, merkt Fichtner an. Ob eine Prostata-OP auch irgendwann vollautomatisch ablaufen wird? „Maximal für einfache Schritte“, sagt der Chefarzt. „Jeder Patient ist so unterschiedlich, das würde ein durch Algorithmen gesteuertes System nicht schaffen.“ Auch die Vorstellung, die Maschine von einem anderen Kontinent aus zu bedienen, sei eher ein Märchen. „Theoretisch könnte man mit einer entsprechenden Verbindung auch von New York aus operieren“, sagt Fichtner. Aber es käme ja nicht nur auf den Operateur an. „Für so eine OP braucht man ein gut funktionierendes Team vor Ort.“
Es funktioniert auch heute. Die OP bleibt ohne Komplikationen. Nach zwei Stunden hat der Da Vinci die akribisch abgetrennte Prostata per Faden in einen tupperwarengleichen Behälter befördert. Und Dr. Fichtner hat nicht mal ein verpasstes Telefonat auf seiner Anrufliste.