Oberhausen. Norbert Axt, Oberbürgermeister-Kandidat der Oberhausener Grünen, äußerst sich erstmals in einem großen Interview zu den Zukunftsfragen der Stadt.
Eigentlich hatten die Oberhausener Grünen unbedingt eine Frau zur Oberbürgermeister-Kandidaten machen wollen, doch am Ende sagten die angefragten Politikerinnen ab – und der erfahrene Ratsherr und Grünen-Kreisverbandschef Norbert Axt übernahm die Aufgabe, sich den Wettbewerb der Oberbürgermeister-Kandidaten bei dieser Kommunalwahl zu stellen. Hier präsentieren wir das erste große Interview mit dem Gymnasiallehrer.
Herr Axt, die Forderung der Grünen, Tempo 40 im gesamten Stadtgebiet einzuführen, hat viele Autofahrer erbost. Können Sie deren Wut verstehen?
Teils Ja, teils Nein. Wenn ich nachts auf der Duisburger Straße fahre und 40 statt 50 fahren muss, dann ist das ärgerlich und nicht nachvollziehbar. Aber insgesamt macht es doch im Stadtgebiet keinen Unterschied, ob man als Autofahrer 40 oder 50 Stundenkilometer fährt, um ein Ziel zu erreichen. Meistens fährt man in der Stadt doch schon heute nicht schneller als 40 – auf einer belebten Straße schon aus Vorsicht. Tempo 40 bedeutet weniger Lärm, weniger Abgase und mehr Sicherheit für alle.
Wollen die Grünen den Menschen das Autofahren vermiesen, damit mehr Bürger umweltfreundlicher unterwegs sind – durch strengere Tempogrenzen, höhere Parkgebühren?
Vermiesen ist der falsche Ausdruck. Unsere Städte werden doch von Autos beherrscht, weil sich unsere ganzen Planungen nach dem Auto richten. Wenn irgendwo Wohnungen gebaut werden, wird erstmal darüber nachgedacht, ob es genug Parkplätze gibt. Zu bestimmten Zielen kann man sogar nur mit dem Auto gelangen. Das wollen wir ändern. Wir möchten, dass die Menschen bewusster nur in wirklich notwendigen Fällen Auto fahren und ihnen besser ermöglichen, mehr Wege mit dem Rad oder zu Fuß zu erledigen.
Die Grünen haben das Image einer Verbotspartei, die oberlehrerhaft den Bürgern ihren Lebensstil vorschreiben wollen. Haben die Grünen daran nicht selbst schuld, weil sie immer mehr Regeln fürs Essen oder für Mobilität erfinden?
Tatsächlich gab es ein paar Punkte aus der Vergangenheit, die uns heute noch nachhängen: Fünf Mark für den Liter Benzin, ein fleischloser Tag in Kantinen. Aber wir wollen die Menschen nicht durch mehr Vorschriften gängeln, sondern setzen auf Freiwilligkeit und einen Bewusstseinswandel. Auch ohne Gesetze essen heute zunehmend mehr Menschen weniger Fleisch – vor allem, wenn ihnen die Zustände in den Fleischfabriken gewahr werden. Aber einige Vorhaben funktionieren nicht, wenn man auf Freiwilligkeit setzt – etwa bei Tempo 40.
Chemie- und Biologie-Lehrer am Gymnasium in Marxloh
Der 60 Jahre alte Grünen-Ratsherr Norbert Axt, Umweltexperte der fünfköpfigen Fraktion seit 2014, ist überraschend Oberbürgermeister-Kandidat seiner Partei in Oberhausen geworden. Eigentlich hatten die Grünen unbedingt eine Frau als Bewerberin für das höchste Amt im Stadtgebiet aufstellen wollen.
Norbert Axt kommt aus Hessen, hat dort Chemie und Biologie auf Lehramt studiert. Bereits seit 1986 lebt er in Oberhausen und arbeitet als Chemie- und Biologie-Lehrer am Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium Duisburg-Marxloh. Seit fast 30 Jahren ist er in verschiedenen Funktionen bei den Oberhausener Grünen tätig, war sachverständiger Bürger im Umweltausschuss, bevor er bei der Kommunalwahl vor sechs Jahren erstmals über die Rats-Reserveliste der Grünen ins Stadtparlament einzog.
Axt ist mit der Arzthelferin Birgit Axt verheiratet, die in der Bezirksvertretung Sterkrade politisch die Grünen vertritt. Es kann durchaus sein, dass das Ehepaar gemeinsam in der künftigen Grünen-Ratsfraktion sitzt: Er ist auf Listenplatz 4 abgesichert, seine Frau hat den aussichtsreichen Listenplatz 7 inne. Norbert Axt hat neben seinem Beruf und der Politik nur wenige Hobbys: Gartenarbeit und Fahrradfahren.
Sie sind viele Jahre Gymnasiallehrer und wollen nun eine Großstadt wie Oberhausen mit 2500 städtischen Beschäftigten und 210.000 Bürgern führen. Warum trauen Sie sich diese schwierige Aufgabe zu?
Zum einen erledigt ein Oberbürgermeister die Arbeit nicht alleine und er behandelt Beschäftigte nicht wie Marionetten, sondern die Stadtverwaltung hat ja genug eigenständig denkende und handelnde Menschen, die ihre Arbeit insgesamt betrachtet gut bis sehr gut machen. Die Corona-Pandemie wurde bisher gut bewältigt – ebenso die Integration der Geflüchteten. Aber dass man zum anderen als Oberbürgermeister auch Mitarbeiter auf Dinge hinweisen muss und notfalls auch Arbeiten anweist, das ist klar – und dies traue ich mir auch zu. Ich bin zwar ein geduldiger Mensch, aber auch sehr zielorientiert. Als Lehrer muss man genügend organisatorische und team-orientierte Fähigkeiten beweisen, sonst klappt das in einer Schule nicht. Meine bisherige politische Erfahrung hilft natürlich auch sehr.
Sollten Sie die Mehrheit der Bürger erringen: Was würden Sie in ihrem ersten Amtsjahr angehen, um die Lebensqualität in Oberhausen zu verbessern?
Ich würde die Mobilitätswende voranbringen – deutlich mehr als bisher muss sich die Stadtplanung nach Fußgängern und Radfahrern ausrichten. Wir müssen die Radwege ausbauen, indem wir relativ einfach auf den Straßen Sicherheitsstreifen einrichten – das ist schnell gemacht und kostet nicht so viel. Ein Zweites wären die Kita-Plätze für alle Kinder, auch um die Vereinbarkeit von Kindern und Beruf zu gewährleisten.
Wo sehen Sie Verbesserungsbedarf in der Kernverwaltung der Stadt, also im Rathaus?
Vom Rat aus fehlt tatsächlich seit Jahren eine Überprüfung von Ergebnissen. Was ist eigentlich mit dem Beschluss passiert, den wir vor einem Jahr gefasst haben? Wenn der Rat Prüfaufträge erteilt, dann werden diese zwar in der Regel erledigt, aber wenn der Rat bestimmte Vorhaben beschließt, dann sind schon einige irgendwo im Rathaus versackt. Insgesamt arbeitet die Stadtverwaltung aber sehr ordentlich, da gibt es nicht zu viel Personal, sondern in einigen Abteilungen eher zu wenig. Wenn nur eine einzige Kraft den gesamten Baumbestand der Stadt betreut, dann ist das nicht ausreichend.
Als Gymnasiallehrer haben Sie ja eine besondere Expertise: Wie müssen sich die Oberhausener Schulen verändern?
Wir benötigen eine grundsätzliche Modernisierung der Schulen, an einigen stehen schon seit Jahrzehnten Container als Klassenzimmer herum. In die Sanierung der Schulgebäude sind zwar schon viele Förder-Millionen geflossen, doch das reicht bei weitem nicht. Und die Digitalisierung der Schulen ist an vielen Stellen praktisch nicht existent.
Dabei hat doch der Stadtrat gerade zu diesem Thema sehr viele Beschlüsse gefasst. Wer hat da versagt – oder ist das organisierte Verantwortungslosigkeit?
Tatsächlich haben wir schon vor fünf Jahren Beschlüsse zur Digitalisierung gefasst, etwa die Anbindung der Schulen an ein eigenes schnelles Glasfasernetz der Stadt. Die Idee ist genial, aber dann haperte es immer wieder an der Umsetzung, auch weil nicht die richtigen Fördergelder zur Verfügung standen. Von Schuld oder Versagen eines Einzelnen kann man da allerdings nicht sprechen.
Die VW-Tochter MAN Energy Solutions will im Oberhausener Werk einen erheblichen Teil der Belegschaft abbauen. Können Oberbürgermeister hier handeln?
Das ist objektiv schwierig. Die Entscheidungen werden ja von weltweit operierenden Konzernen außerhalb von Oberhausen getroffen. Oberbürgermeister können allerdings die Rahmenbedingungen für Unternehmen in der Stadt optimieren. Vieles ist hier passiert: Oberhausen ist heute eine wirtschaftsfreundliche Stadt – macht gute Angebote an Investoren und kümmert sich um Betriebe.
Was halten Sie von der Edeka-Investition für ein neues Zentral-Logistikzentrum Rhein-Ruhr?
Das Lager verbraucht viel Fläche im Norden, durch Oberhausen fahren künftig mehr Lkw und das große Dach wird noch nicht einmal begrünt. Wir haben für den Bebauungsplan gestimmt, weil Edeka versprochen hat, hier bis zu 1500 Arbeitsplätze hinzubringen. Wenn man ein Logistikunternehmen ansiedelt, dann ist klar, dass Lkw-Verkehr nicht zu vermeiden ist – der gesamte Einzelhandel funktioniert in Deutschland mit großen Warenverteilzentren. Wenn man grundsätzlich gegen solche Logistik ist, dann dürfte man ja auch gar nicht mehr bei großen Lebensmittelhändlern einkaufen gehen. Mit dem Bebauungsplan haben wir allerdings nicht entschieden, wie der Bau genau aussieht – ob er eine Dachbegrünung oder eine Solaranlage hat oder nicht. Dass diese fehlen, ist bedauerlich.
Die Grünen sind Ende 2018 aus der Ratskoalition mit der SPD und mit der FDP ausgeschieden. Was war eigentlich so schlimm an der SPD?
Schlimm war, dass wir bei bestimmten Themen sehr lange verhandeln mussten, um nur kleine Schritte vorwärts zu kommen. Zum Beispiel wollten wir die Fahrspuren an der Bebelstraße zugunsten von Radlern reduzieren. Doch die SPD argumentierte immer wieder, dass dann die Autos nur noch im Stau stehen würden, und das Ganze sowieso nicht funktioniert.
Sie waren ja gegen den Ausstieg, weil die Grünen mit ihren fünf Ratspolitikern danach kaum ihre Vorhaben durchbringen konnten. War der Koalitionsbruch ein Fehler?
Das sehe ich nicht so, ein Fehler war es nicht. Ich weine der Koalition keine Träne hinterher. Wir haben ja danach noch eine ganze Menge Inhalte in den Rat eingebracht. Aber es stimmt, dass es seitdem schwierig war, einen Ratsbeschluss durchzubekommen. Damals dachte ich, dass man mit der SPD und FDP einige Ergebnisse mehr hätte erzielen können, wenn wir in der Ampelkoalition geblieben wären – denn eine Koalition ist ja immer ein Geben und Nehmen.
Dafür haben Sie jetzt mehr Beinfreiheit und können im neuen Rat eine Koalition mit ganz anderen Parteien eingehen. Welche Partei als Partner wünschen Sie sich?
Dazu bekommen Sie von mir heute keine Aussage. Denn wir warten erst einmal die Wahlergebnisse ab und prüfen dann, mit wem wir inhaltlich am meisten umsetzen können. Wir reden mit jedem; nur mit der AfD wird es keinerlei Zusammenarbeit im Rat geben.
Sie wollen ja mit Ihrer Kandidatur erreichen, dass nicht mehr Daniel Schranz von der CDU Oberbürgermeister der Stadt ist. Was hat Herr Schranz denn schlecht gemacht, was hat er gut gemacht?
Uns gefällt nicht, dass die notwendige Verkehrswende praktisch ausgefallen ist und Oberhausen weiterhin eine Auto-Stadt geblieben ist. Richtig falsch gemacht hat Daniel Schranz nichts, aber ich würde die Grundstimmung in der Ausrichtung der Stadtverwaltung ändern und die Mobilitätswende vorantreiben. In der Amtszeit von Daniel Schranz haben wir Grüne ja die Planungsdezernentin Sabine Lauxen gestellt: Sie hat doch vieles von den Projekten eingeleitet und umgesetzt, die danach der Oberbürgermeister stolz eröffnet hat – beispielsweise den Dachgarten auf dem neuen Jobcenter-Bürogebäude in der Innenstadt. Wir haben deshalb viele Projekte der Verwaltungsspitze mittragen können. Dass Frau Lauxen von der Ratsmehrheit im Juni nicht mehr wiedergewählt worden ist, ist nicht nachvollziehbar. Denn Fehler hat sie nicht gemacht.
In der politischen Debatte polarisiert sich die Gesellschaft zunehmend, die Auseinandersetzungen werden emotionaler und unsachlicher. Wie erklären Sie sich diese Hitzewallungen in unserer Demokratie?
Vor allem die sozialen Medien spielen dabei eine große Rolle. Jeder kann heute in den sozialen Medien irgendwelche Meinungen und Behauptungen veröffentlichen und eine große Menge an Menschen erreichen, ohne dass Fakten von einer unabhängigen Redaktion geprüft worden sind oder dass der Schreiber vor seinem Kommentar oder Tweet mal eine Nacht darüber geschlafen hat. Deshalb schwirren viele emotionale Texte durchs Netz – Wut wie Empörung schaukeln sich hoch. Differenziertes Denken findet in den sozialen Medien so nicht statt, weil soziale Medien Emotionalität und krasse unüberlegte Meinungen belohnen, indem sie solche Schwarz-Weiß-Ansichten stärker weiterverbreiten als andere.
Nach zwei Hitzesommern mit vielen Klimaschutz-Debatten haben wir jetzt einen ganz normal verregneten deutschen Sommer – und dazu auch noch die Corona-Pandemie, die eher den Regierenden hilft. Verlieren die Grünen deshalb bei der Wahl an Zustimmung?
Wir kommen bundesweit durch Corona in der Medienwelt seltener vor. Wir haben ja keinen Gesundheitsminister, von uns als Opposition ist in der großen Politik wenig zu hören. Corona überdeckt alles. Aber dass der normale diesjährige Sommer uns Stimmen kostet, glaube ich nicht, denn die Folgen des Klimawandels wie das Absterben von Bäumen sind schon vielen Bürgern sehr bewusst. Jedenfalls haben wir uns natürlich keinen dritten Hitzesommer gewünscht, damit wir Grüne bei der Kommunalwahl ein paar Stimmen mehr bekommen.