Middlesbrough/Oberhausen. Die Jugendpflege in Oberhausens britischer Partnerstadt hat eine vernichtende Bewertung erhalten und wurde unter Regierungsaufsicht gestellt.

Europaweit äußerten nach den ersten Wochen des Corona-Lockdowns engagierte Sozialarbeiter und Jugendpfleger ihre Sorge: Kinder in schwierigen Familienverhältnissen sind jetzt besonders gefährdet – und in der Isolation wissen sie nicht, wie Hilfe sie erreichen soll. In Oberhausens nordenglischer Partnerstadt Middlesbrough ist diese Gefahr gleich doppelt verschärft.

Zum einen ermittelte eine Studie für die Bürger der 175.000-Einwohner-Stadt am Tees ein besonders hohes Todesrisiko bei Corona-Infektionen (wir berichteten). Noch gravierender: Ein Regierungs-Report stellt der städtischen Jugendpflege ein vernichtendes Zeugnis aus: „ungenügend“ in allen bewerteten Aspekten von der Sozialarbeit bis zur „Effektivität“ des Geleisteten – oder vielmehr nicht Geleisteten.

„Kinder leben zu lange in chronischer Vernachlässigung“

Während dreier Wochen im November und Dezember des Vorjahres hatte sich ein Team des „Ofsted“ genannten Staatlichen Büros für Standards in Erziehung, Kinder- und Jugendhilfe in Middlesbrough umgesehen und seinen Bericht – zwölf Seiten Klartext – allgemein zugänglich gemacht. Die Fachurteile könnten harscher kaum formuliert sein: Seit der letzten Inspektion 2015 habe sich die Qualität in der Arbeit der städtischen Kinderschützer deutlich verschlechtert.

Der Ofsted-Report konstatiert „ernsthaftes und weit verbreitetes Versagen“. Ohne Umschweife heißt es bereits im ersten Absatz des Berichts: Das Behördenversagen lasse viel zu lange „Kinder in für sie gefährlichen Umständen zurück“. Die zuständigen Stadtbediensteten handelten viel zu zögerlich, wenn es gälte, „Kindern zu helfen und sie zu beschützen“.

Für bedürftige Familien und Kinder seien die Schwellen zu hoch, so die Ofsted-Autoren, um überhaupt Zugang zu Sozialarbeitern zu finden. Statt zu handeln, habe sich bei den Zuständigen in Middlesbrough „eine hohe Risikotoleranz“ eingeschlichen. Entsprechend schwach ausgeprägt sei das Sicherheits-Profil. So heißt es wörtlich im Ofsted-Report: „Kinder leben zu lange in chronischer Vernachlässigung, ehe etwas unternommen wird, um ihnen zu helfen.“

„Es gibt keine Ausflüchte für unser Versagen“

Der alarmierende Befund blieb nicht folgenlos: Der erst im Mai vorigen Jahres gewählte Bürgermeister Andy Preston – der erste Parteiunabhängige nach jahrzehntelanger Labour-Herrschaft in Middlesbrough – setzte seinen Stellvertreter Antony High an die Spitze der Jugendbehörde: Der ebenfalls parteiunabhängige High gelobte gegenüber der BBC entschlossenes Handeln.

Die britische Regierung ließ unterdessen durch Gavin Williamson, ihren Staatssekretär für Erziehung, erklären, man sehe „einige Verbesserungen“. Doch die Verwaltung in Middlesbrough habe noch nicht den erforderlichen Standard erreicht. Für ein Jahr steht die städtische Jugendbehörde unter Regierungsaufsicht.

Pro-Europäer im Rathaus der Brexit-Hochburg

Oberhausens nordenglische Partnerstadt Middlesbrough zählt zu jenen (zumeist größeren) britischen Städten mit einem direkt gewählten Bürgermeister, der zudem an der Spitze der Stadtverwaltung steht. Dieses für England neue Modell entstand erst 2000 mit dem neuen Amt des „Mayor of London“ als Stadtoberhaupt für die gesamte Hauptstadt.

Andy Preston gewann als entschiedener Pro-Europäer am 2. Mai 2019 die Bürgermeisterwahl – obwohl Middlesbrough als Hochburg der Brexit-Befürworter bekannt ist. Der aus 46 Councillors bestehende Rat der Partnerstadt zählt seitdem 23 Unabhängige, 20 Labour-Ratsmitglieder und drei Konservative.

Verbreitet ist in britischen Städten nach wie vor die „Doppelspitze“ mit einem Stadtdirektor als Verwaltungschef und einem jährlich wechselnden Bürgermeister, der überwiegend repräsentiert.

„Es gibt keine Ausflüchte für unser Versagen“, sagte Bürgermeister Andy Preston der BBC – und zeigte sich doch erleichtert, dass Westminster seiner Stadt nicht gleich die Zuständigkeit für die Jugendpflege entzogen hat. Für seine Verwaltung bedeute dies „einen langen Weg der Bewährung“.