Oberhausen. Die Schau „Einige waren Nachbarn“ um die Nazi-Mitläufer stammt aus Washingtons Holocaust Memorial Museum. Die Gedenkhalle zeigt die Ausstellung.
Erst war die Gedenkhalle ganz nah dran an einem Thema, das vor der eigenen Haustür im Schloss Oberhausen aufragte. Jetzt holt sie eine Ausstellung aus weiter Ferne – vom United States Holocaust Memorial Museum. „Risse im Stein“ erzählte anhand der monumentalen Skulptur der „Trauernden“ von den Verstrickungen des Bildhauers Willy Meller ins NS-System. Die Wanderausstellung „Einige waren Nachbarn“ nimmt nun das Mitläufertum unter der Tyrannei in einen europaweiten Blick und bleibt bis zum 28. Juni in der Gedenkhalle zu sehen.
Die Münsteraner Gedenkstätte Villa ten Hompel vermittelt die deutschsprachige Version dieser Ausstellung aus dem mit enormen Ressourcen arbeitenden Museum in Washington, das alljährlich auch an kleinere Häuser entleiht. In 200 Quadratmetern Gedenkhalle, erklärt Clemens Heinrichs, „können wir nur eine Light-Version mit 20 Tafeln zeigen“. Schließlich ist die Dauerausstellung unverrückbar – doch nicht zuletzt dank des amerikanischen Sinnes für Didaktik argumentiert „Einige waren Nachbarn“ überaus schlüssig und nachdrücklich.
„Ohne die Schaulustigen würde die Demütigung nicht funktionieren“
Wie der Leiter der Gedenkhalle betont, war die deutsche Gesellschaft seit 1933 „in großen Teilen eine Zustimmungs-Diktatur“: Man profitierte von der Ausbeutung der Entrechteten unter dem NS-Regime. Vorzeichen gab es schon während der rückblickend „vergoldeten“ 1920er Jahre, wie Clemens Heinrichs aufzählt: „Es gab vereinzelte Pogrome und viele politische Morde. Der Weimarer Staat wurde seiner Schutzfunktion nicht gerecht.“ Stattdessen verbreitete sich „die große rechtsradikale Subkultur“.
Am Anfang der mit teils überraschenden und noch nicht oft gezeigten Foto-Reproduktionen aufwartenden Schau stehen Bilder mit Gaffern: SA-Männer haben einer jungen Frau ein beleidigendes Schild umgehängt. „Ohne die Schaulustigen“, sagt Clemens Heinrichs, „würde die Demütigung nicht funktionieren“. Bei weiteren Aufnahmen lenken die Ausstellungsmacher den Blick, indem sie etwa zustimmend grinsende Gesichter in der Menge rot einkreisen. Die Bildquellen sind natürlich genannt – doch der Leiter der Gedenkhalle wünschte sich zu manchen Aufnahmen noch mehr Informationen: Wer hat hier für wen fotografiert, waren es teils Inszenierungen?
„Es waren Einzelne, die dieses Spiel nicht mitmachten“
Die Ausstellung heißt im Untertitel „Täterschaft, Mitläufertum und Widerstand“ – zeigt aber von der Auflehnung gegen die Tyrannei nur wenige Beispiele. Stattdessen widerlegen jene Bilder von Deportationen, auf denen auch Passanten und Zuschauer zu sehen sind, das Mantra der Nachkriegszeit, man hätte „von all dem nichts gewusst“. Es waren „Einzelne, die dieses Spiel nicht mitmachten“, sagt Claudia Stein. Die Lehrerin für Geschichte und Englisch ist neu im kleinen Team der Gedenkhalle – zuständig vor allem für jene pädagogische Arbeit, die derzeit Corona-bedingt brachliegen muss.
Claudia Stein sinniert, welche Aufnahme diese Wanderausstellung derzeit wohl im nationalistisch gewendeten Polen fände: Denn auch die Kollaboration bis zur Beteiligung am Holocaust in den von der Wehrmacht besetzten Ländern ist Thema der kompakten Schau. Auch vom Baltikum bis zur Ukraine, so Clemens Heinrichs, „sah man die Deutschen zunächst als Befreier von der Sowjetunion“.
Der Leihgeber: ein Museum der Superlative
Die Ausstellungsmacher vom United States Holocaust Memorial Museum (USHMM) arbeiten in einem Museum der Superlative: Vor dem Corona-Ausbruch besuchten jährlich über anderthalb Millionen Menschen das Museum an Washingtons National Mall, umgeben von den wichtigsten Institutionen der Vereinigten Staaten. Das USHMM arbeitet mit einem jährlichen Budget von 120 Millionen Dollar, 400 Mitarbeitern und 650 Freiwilligen.
Sowohl die Kosten für den Bau des 1993 eröffneten Museums als auch für den Unterhalt und die vielen Forschungsprojekte wurden und werden zum weit größeren Teil von Mäzenen und privaten Spendern aufgebracht. Der mit tausenden Porträts und Familienfotos bestückte „Tower of Faces“ dürfte inzwischen zu den meistfotografierten Orten an Washingtons Prachtmeile zählen.
Wanderausstellungen gestaltet das USHMM schon seit 1991, also vor der Eröffnung des eigentlichen Museums: Mit Themen wie „Die Nazi-Olympiade: Berlin 1936“ erreichte man ein Publikum in bis zu 100 Städten.
Gerne hätte das Team der Gedenkhalle auf seiner Internet-Seite gedenkhalle-oberhausen.de mehr zu „Einige waren Nachbarn“ angeboten: „Wir wollten die Kollegen in Washington erreichen“, erzählt Clemens Heinrichs – doch dort herrschen gerade Lockdown und Homeoffice. Doch die mit Bedacht ausgewählten Bilder und pointierten Texte mit vielen Zeitzeugen-Zitaten sprechen für sich – und der Eintritt in die Gedenkhalle ist frei.