Oberhausen. Owen McCaffertys Belfast-Drama „Mojo Mickybo“ ist viel mehr als ein Jugendstück für Zwölfjährige: Zwei Straßenkids stemmen sich gegen den Hass.
Bedrohlich dunkles Wummern wie von Hubschraubern füllt das Halbdunkel im Saal 2 des Theaters. Lichter flackern auf, während das Publikum auf den beiden kleinen Tribünen vis à vis Platz nimmt. Dabei beginnt Owen McCaffertys Jugenddrama „Mojo Mickybo“ nach dieser beklemmenden Einstimmung im Belfast des heißen Sommers 1970 ganz anders: als eine mit Hingabe und voller Energie ausgespielte Ode an die Freundschaft.
Beim Kennenlernen zucken beide kurz, denn Mojo kommt „die Straße hoch“ und Mickybo „über die Brücke rüber“ – also von der jeweils anderen Seite. Doch dann schiebt Mojo den etwas älteren Mickybo an die Kinokasse, und tatsächlich „erpresst“ er für die beiden den Einlass zu „Butch Cassidy and the Sundance Kid“: Jetzt sind sie eine Gang, mindestens so cool und unbesiegbar wie Paul Newman und Robert Redford in dem ironischen Spätwestern mit der flott gepfiffenen Musik von Burt Bacharach.
Wie eine städtisch-toughe Version von Saltkrokan
Wie Lise Wolle als Mojo und Burak Hoffmann als Mickybo sich voller Elan und Wucht in ihre Rollen schmeißen und wie Emel Aydoğdus Regie das Noch-Kindliche der beiden Tagträumer in Dauerbewegung hält – das ist begeisternd mitzuerleben. Nur für kurze Momente lässt die Inszenierung zunächst den Hintergrund des ersten nordirischen Bürgerkriegsjahres aufflackern: etwa wenn die beiden „Westernhelden“ mit den großen Gesten von Desperados ins Publikum zielen.
Die fast permanente Action präsentiert nicht nur physisches Theater in Hochform, sondern lässt das Spiel der beiden auch stetig flackern zwischen satter kindlicher Lebenslust und angespannter Nervosität. Zudem übernehmen Lise Wolle und Burak Hoffmann auch jeweils vier weitere Rollen in ihrem Powerplay – springen förmlich von Mojo zu Trix und von Mickybo zu Fuckface, ihren Gegnern im Kleinkrieg der Straßenkids. Das sind dann – schon damit die Zuschauer sie unterscheiden können – mit schiefen Grimassen und Posen samt spuckendem Akzent köstlich überzeichnete Karikaturen. Für Minuten könnte man immer wieder meinen, dieses Belfast sei bloß eine städtisch-toughe Version von Astrid Lindgrens Saltkrokan.
Wie Nordirland in den Bürgerkrieg stolperte
Der Sommer 1970, in dem Owen McCafferty sein Drama „Mojo Mickybo“ spielen lässt, gilt Historikern als erstes Jahr des nordirischen Bürgerkriegs. Die Ouvertüre waren soziale Proteste gegen Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot. In den 1960ern war ein Fünftel des Häuserbestands in Nordirland noch ohne Wasser- und Toiletten-Anschluss. Die Bürgerrechtsbewegung nach US-Vorbild startete mit Hausbesetzungen.
Die Polizei-Milizen der gefürchteten „B Specials“ reagierten wie Schlägertruppen: mit Knüppeln und Tränengas. In der Schlacht um das katholische Viertel Bogside in Londonderry verbarrikadierten sich die Bewohner im August 1969. Die irische Regierung rief nach UN-Friedenstruppen – stattdessen kam die britische Armee. Die „B Specials“ mussten abrücken.
Im folgenden Sommer 1970 hatte protestantischer Mob in Belfast bereits 200 Wohnhäuser ihrer katholischen Nachbarn niedergebrannt, als die Irisch-Republikanische Armee wieder auftauchte. 1962 hatte sie den Kampf in Nordirland aufgegeben – doch jetzt verteidigten „Provisionals“ der IRA die kleine katholische Enklave Short Strand: Die Untergrundarmee hatte ihren Nimbus – der Bürgerkrieg war losgetreten. Ihn beendete erst 1998 das Karfreitagsabkommen, vermittelt durch US-Sonderbotschafter George J. Mitchell.
Poetisch, wo man Politisches erwarten würde
Wären da nicht die Szenen mit den Erwachsenen: Mojos Mutter (also Burak Hoffmann) klebt fahrig an ihrer Zigarette, und Mickybos Mum (Lise Wolle) erzählt skurril-verdrehte Geschichten von der Armut und ihrer Hoffnung, dass „Aliens uns abholen und dahin bringen, wo es Bier vom Himmel regnet“. Owen McCaffertys Text ist eben dort poetisch, wo man Politisches erwarten würde. Wenn Mojos Dad in der City gleich drei Eis spendiert und für „wichtige Besorgungen“ verschwindet, mag man misstrauisch werden. Doch die Zuschauer wissen bis zu diesem Moment nicht einmal, wer zu welcher Gang – oder vielmehr Konfession – gehört.
Mojo und Mickybo verziehen sich in ihre „Hütte“ am Boden der wie eine Wendeltreppe angelegten spartanischen Bühne von Debo Kötting. Schwarz-Weiß flackern Nachrichtenbilder auf der Wand; der Sprecher berichtet von „31 Toten an drei Tagen der Gewalt“. Für Mojo und Mickybo zählt nur der Kampf gegen Trix und Fuckface – grandios gespielt.
Extra-Applaus für die krumm grinsenden Fieslinge
Doch dann kehrt Mickybo ins ungeliebte Zuhause zurück und blickt seinem Vater (also Lise Wolle) ins Gesicht: „Bist du tot, Papa?“ – „Das bin ich, mein Sohn.“ Damit sind die Fronten geklärt: Schmerzlich genau zeigt die vorletzte Szene, wie nun der geifernde Fuckface für Mickybo spricht, der Mojo eine Waffe entgegen streckt: „Du Protestantenschwein!“
Es gibt eine letzte Szene, doch die beginnt mit „Jahre später“. Anhaltender Jubel für eine in jedem Sinne kraftvolle Produktion, die viel mehr ist als ein „Jugendstück“, empfohlen ab zwölf Jahren. Lise Wolle und Burak Hoffmann nehmen sogar als krumm grinsende Trix und Fuckface noch einen Extra-Applaus entgegen.
Weitere Aufführungen am Mittwoch, 5. Februar, um 19.30 Uhr, Donnerstag, 6., um 11 Uhr, Samstag, 15., um 18 Uhr, Dienstag, 18., um 11 Uhr und Freitag, 28., um 18 Uhr, , theater-oberhausen.de