Oberhausen. Janina Dreyer macht Hand- und Fußabformungen von Babys, die bei der Geburt gestorben sind. Sie schenkt damit Familien eine greifbare Erinnerung.

Wenn Janina Dreyer einen neuen Auftrag bekommt, muss sie sich beeilen. Oft bleiben ihr nur wenige Stunden Zeit. „Ich lasse dann alles stehen und liegen, packe die Tasche mit meinen Materialien und fahre los“, sagt die Oberhausenerin. Dann rast sie mit dem Auto zum nächsten Krankenhaus, in den Kreißsaal oder zum Bestatter. Janina Dreyer macht kostenlose Abformungen von Sternenkindern – von Babys, die tot zur Welt kommen.

Seit zwei Jahren schenkt sie Eltern, die den Schock und den Schmerz einer Totgeburt verkraften müssen, eine bleibende Erinnerung an ihr verstorbenes Kind. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe Fotografen, die ehrenamtlich Fotos von Sternenkindern machen – würdevoll und schön. Janina Dreyers Abformungen sind das auch, aber anders: Sie sind plastisch, man kann sie anfassen, sie sind greifbar. Und sie geben einem das Gefühl, dass immer noch etwas vorhanden ist, von dem, was viel zu kurz da war. In der Regel sind es Hände und Füße, von denen sie Abdrücke nimmt. Das Ergebnis ist kunstvoll, nichts was man in der Schublade verschwinden lässt oder worüber man nicht sprechen will.

Arbeit mit Sternenkindern erfordert viel Fingerspitzengefühl


Jeder Auftrag ist für die 34-Jährige eine Herausforderung – eine, die sie gerne auf sich nimmt und für die sie viel Fingerspitzengefühl braucht. In der Klinik wird sie oft von den Hebammen empfangen, die Gesichter der Kinder sind dann meist mit einem Tuch abgedeckt. Manchmal sind aber auch die Eltern dabei. Dann versucht Janina Dreyer, selbst dreifache Mutter, die richtigen Worte zu finden: „Ich gratuliere den Eltern meist zu ihrem Kind, berühre es und erkläre nach und nach jeden meiner Arbeitsschritte.“

Angefangen hat Janina Dreyer mit Babybauchabformungen von werdenden Müttern. Vor zwei Jahren kamen die Sternenkinder dazu.
Angefangen hat Janina Dreyer mit Babybauchabformungen von werdenden Müttern. Vor zwei Jahren kamen die Sternenkinder dazu. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz


Bei ihrer Arbeit geht sie äußerst behutsam vor, streift sich Handschuhe über, taucht die winzigen Hände und Füße in eine Keramikmasse, so viel wie gerade in ein Backförmchen passt. „Während ich das mache, bedanke ich mich bei dem Kind, spreche es an. Das passiert aber alles in Gedanken. Ansonsten ist es vollkommen still“, erzählt Janina Dreyer, deren Einsätze meist nicht länger als eine Stunde dauern.

Nach der ersten Abformung konnte Janina Dreyer nicht schlafen


Beim Ablösen der Keramikmasse muss sie ganz vorsichtig sein, „damit sich nicht die Haut der Babys ablöst“. Die Künstlerin ist in solchen Situationen hochkonzentriert, aber auch angespannt. Nach ihrem ersten Kontakt mit einem Sternenkind konnte sie nicht schlafen, dachte an die betroffene Familie und wie glücklich sie sich doch schätzen kann, dass sie selbst gesunde Kinder zur Welt gebracht hat, mit denen sie jeden Tag verbringen darf.

„Es muss ein unvorstellbarer Schmerz sein, wenn man sein Kind monatelang im Mutterbauch hatte, diese enge Verbindung da war und es dann nicht leben darf“, sagt Janina Dreyer, der die Tränen kommen, wenn sie darüber spricht. Zuhause in ihrem Arbeitszimmer macht sie sich mit dem Skalpell an die Details, geht genauso behutsam vor wie auch im Krankenhaus. Am Ende wird die Plastik versiegelt. Und wenn es die Eltern wünschen, dann bringt sie ihr kleines Kunstwerk auch persönlich vorbei.

Gruppen von Künstlern aus der Schweiz, Oberhausen und Berlin

Nicht einfach nur zwei Füße: Die Abdrücke werden häufig verziert oder kunstvoll arrangiert.
Nicht einfach nur zwei Füße: Die Abdrücke werden häufig verziert oder kunstvoll arrangiert. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz



Janina Dreyer arbeitet hauptberuflich mit Kindern, gibt Turn- und Schwimmkurse. Das ehrenamtliche Engagement für Sternenkinder ist ihr deshalb wichtig, weil sie aus ihrem eigenen Umfeld zahlreiche ähnliche Schicksale kennt. Eltern, die kaum Zeit haben, Abschied zu nehmen von ihren Kindern, deren einzige Erinnerung meist ein flüchtig geschossenes Foto aus dem Krankenhaus ist. „Die schaut man sich nicht gerne an“, meint Janina Dreyer. Das Thema hat sie mittlerweile so sehr sensibilisiert, dass sie auch mal schwangeren Frauen, die an ihren Kursen teilnehmen, schon mal eher dazu rät, zum Arzt zu gehen, wenn der Satz fällt: Ich spüre mein Kind nicht.

Angefangen hat die Oberhausenerin zunächst vor rund sechs Jahren, als sie der Zahnmedizin den Rücken kehrte, sich selbstständig machte und unter dem Namen „Papos de Anjo“ (portugiesisch für „Engelsbäuche“) anfing, Abformungen von Babybäuchen anzufertigen. Mittlerweile gehört sie zu einer kleinen Gruppe von Künstlern aus der Schweiz, Bremen und Berlin, die sich den Sternenkinder-Abdrücken verschrieben haben. Elf Mal wurde sie in den vergangenen zwei Jahren gerufen. Der nächste Auftrag könnte bald kommen. Ihre Tasche mit den Arbeitsmaterialien steht dazu immer bereit.