Oberhausen. Enrico de Pieri spricht über die Branchen-Kritik von Alexander Klaws und warum das Wolfgang-Petry-Musical „Wahnsinn“ die Revier-Seele erreicht.

Musical-Darsteller Enrico de Pieri zieht mit dem Musical „Das ist Wahnsinn“ und den Hits von Wolfgang Petry auf Tournee. Vor seinem Auftritt in der Arena Oberhausen (30. April 2020, Karten ab 47 Euro) spricht er über das Aus für das Metronom-Theater in Oberhausen und warum Schlagermusik häufig unterschätzt wird.

Wann gab es Ihr erstes Wolfgang-Petry-Erlebnis?

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Ganz ehrlich? Vor „Das ist Wahnsinn“ gab es so gut wie keinen Kontakt. Ich bin eigentlich kein Schlager-Fan. Im Ruhrgebiet kommt man an der Musik nicht vorbei. Ich stamme aus Kiel, dort klappt das ganz gut.

Wie kam es zur Wende?

Ich habe mich mit der Musik beschäftigt. Die Vorurteile kannte ich doch auch – kein Anspruch, nur Kommerz. Aber als ich die ersten Live-Mitschnitte gesehen habe, konnte ich die Faszination schnell begreifen. Und ich habe selbst gemerkt, dass die Songs ganz schön schwer zu singen sind. Wolfgang Petry kann gut singen! Ich habe die Musik lieben gelernt. Die Texte sind erdig – das ist kein manipulativer Mist.

Welche Reaktionen haben Sie in der Region beobachtet?

Als Lkw-Fahrer Peter kommt Enrico De Pieri mit dem Wolfgang-Petry-Musical
Als Lkw-Fahrer Peter kommt Enrico De Pieri mit dem Wolfgang-Petry-Musical "Das ist Wahnsinn" in die König-Pilsener-Arena nach Oberhausen. © dpa | Roland Weihrauch

Es gibt Männer, die tränenüberströmt „Du bist ein Wunder“ mitsingen. Gerade die Leute im Ruhrgebiet leben diese Musik und freuen sich, die Songs wieder live zu hören.

Wie würden Sie Ihre Bühnenfigur in „Das ist Wahnsinn“ beschreiben?

Es heißt nicht umsonst: Der Himmel brennt! Peter, den ich spiele, ist ein hitziger Mensch. Der Mann ist dramatisch und emotional. So sind auch die Songs.

Was sagen Sie Menschen, die Wolfgang Petry eher belächeln?

Ich finde es schade, wenn man Dinge kategorisch ablehnt. Erfolg muss man anerkennen. Wolfgang Petry hat zu uns gesagt: Die Texte sind vielleicht nicht intelligent, aber sie gehen sofort in Herz. Das ist eine viel größere Kunst als man denkt. Die Leute gehen aufgewühlt nach Hause.

Apropos. Bei der Premiere saß Wolfgang Petry im Publikum. Setzt Sie so etwas unter Druck?

Nein, aber du versuchst natürlich die Vorstellung deines Lebens zu spielen. Du willst, dass er es liebt. Er war hinterher sehr gerührt. Wir haben uns hinter der Bühne noch unterhalten. Der Mann hat einfach Charisma.

Welcher Schlagersänger hätte sonst noch ein Musical verdient?

Udo Jürgens hat schon eins. Also: Roland Kaiser!

Die großen Hallen der kommenden Tour sind für ein Musical ungewöhnlich - wie sehen Sie das?

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Ich habe Respekt davor! An einem Abend spielst du vor so vielen Leuten wie sonst in einer kompletten Woche. Da musst du anders spielen. Das ist eine Sache der Balance. Auch im Nightliner-Bus musst du fit bleiben, wenn es von Stadt zu Stadt geht. Ich sehe das wie eine große Klassenfahrt.

Große Musical-Häuser haben derzeit Probleme. In Oberhausen schließt das Metronom-Theater. Ist das Tour-Konzept der Weg aus der Krise?

„Das ist Wahnsinn“ ist ein Hybrid aus Rockkonzert und Theater. Ich würde es aber nicht mit Shows wie „Aladdin“ vergleichen, wo andere Kulissen verarbeitet werden müssen. Es gibt in der Szene eine Krise, aber es ist nicht das Ende, sondern eher ein Wandel. Ich denke, dass die Laufzeiten von Musicals an den Standorten kürzer werden. Live-Entertainment wird wachsen – und ich wünsche mir, dass Musicals dazu gehören. In den USA und in London geht es sehr progressiv nach vorne. Ich hoffe, dass wir Deutschen mitziehen und es wertschätzen.

Ihr Kollege Alexander Klaws hat mit einem Wut-Post im Internet die Musical-Szene und den Branchenriesen Stage Entertainment scharf angegriffen…

Der Kieler Enrico de Pieri kennt die Musical-Bühnen – spielte bereits bei „Kein Pardon“, „Die Addams Family“ und „Aladdin“ mit.
Der Kieler Enrico de Pieri kennt die Musical-Bühnen – spielte bereits bei „Kein Pardon“, „Die Addams Family“ und „Aladdin“ mit. © Heinrich Jung

Ich fand es gut, dass er von Nachhaltigkeit geschrieben hat. „Cats“ und „Starlight Express“ waren auch nicht direkt am ersten Tag ein Hit. Man muss den Shows mehr Zeit geben. Man muss an die Shows glauben. Und man muss dafür sorgen, dass die Qualität stimmt. Da wurden zu lange ein oder zwei Augen zugedrückt. Die Orchestergröße ist eine Sache. Wenn ein Zuschauer 170 Euro für ein Ticket bezahlt, dann möchte er rausgehen und „Wow“ sagen – und nicht nur: Das war aber nett! Wenn mein Nachbar sagt, es war nett, dann kaufe ich keine Karte. Wenn er sagt, das musst du dir anschauen, dann ist es etwas anderes. Kostüme, Stimmen oder das Gesamtbild – irgendetwas muss herausragen. Mein Vater hat zwei Eisgeschäfte. Das erste, was er mir beigebracht hat, ist, dass du dein Produkt lieben musst. Nur dann kannst du es auch verkaufen.

Was muss sich in Deutschland ändern?

Die Leute, die Musicals initiieren und produzieren, sollten nicht nur auf Meinungsumfragen hören. Und nicht nur auf Zahlen schauen. Sie müssen sich trauen, innovativ zu sein. Es geht nicht darum, teurer zu sein. Manchmal reichen zehn Darsteller, um etwas Exzellentes zu zeigen. Die Leute gehen ins Theater, um mitgenommen zu werden. Qualität ist so wichtig. Du kannst keiner Investmentfirma einen Betrieb anvertrauen, die nur schaut, wie die Kosten gesenkt und der Gewinn maximiert werden kann. Die verstehen die Psychologie des Theaters nicht. Ein Mensch, der viel Geld für eine Karte ausgegeben hat und mit nur 300 weiteren Leuten in einem großen 2000-Plätze-Theater sitzt, fühlt sich verarscht.

Es gärt in der Musical-Szene schon länger?

Ja! Musicaldarsteller reden seit zehn Jahren darüber. Das ist vielleicht ein romantischer Blick auf die Dinge, keine Frage. Aber die Darsteller stehen auf der Bühne und spüren die Energie – und sie spüren, dass etwas nicht mehr stimmt. „Das ist Wahnsinn“ ist da anders. Wir behaupten nicht, eine 50-Millionen-Produktion zu sein. Wir haben die Musik, geile Darsteller und gute Laune. Und die Leute rasten mehr aus als bei vielen Produktionen, die das Zehnfache gekostet haben.

Was wollen die Zuschauer also?

Sie wollen lachen und weinen.