Oberhausen. In der Panoramagalerie im Schloss Oberhausen zeigt Simon Schwartz Glanz-Seiten seiner Graphic Novels und den „Kubus der friedlichen Revolution“.
Simon Schwartz ist der akribisch recherchierende Geschichtsschreiber unter den deutschen Comiczeichnern – und hat sich mit einem ganz besonderen Werk in seiner Geburtsstadt Erfurt sogar ins Stadtbild geprägt. In Zusammenarbeit mit dem Angermuseum, dem traditionsreichen Kunstmuseum der thüringischen Hauptstadt, zeigt die Ludwiggalerie nun eine umfassend angelegte Werkschau des bald 37-Jährigen.
Alles Handarbeit – auch der abgeliebte Look des Heftes
Nur als Direktorin Christine Vogt schwungvoll vom „Lebenswerk“ des passionierten Zeichners schwärmt – zuckt dieser doch zusammen: Die mit grafischer Eleganz gestalteten Bildstrecken im Bogenschwung der Panoramagalerie sollen schließlich längst nicht alles gewesen sein. „Geschichtsbilder“ ist ein treffender Titel für diese kompakte Schau – schließlich lässt sich schon das Leben des gerade zweijährigen Simon als ein Stück Geschichtsschreibung erzählen: 1984 wurde er mit seinen Eltern aus der DDR „ausgebürgert“. Ein Dissidenten-Schicksal aus Sicht eines kleinen Jungen erzählt der Band „drüben!“ – zugleich seine Diplomarbeit an der Design-Fakultät der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg.
Den beängstigenden Gang durch den „Tränenpalast“ des Bahnhofs Friedrichstraße gestaltete Simon Schwartz auch als Fake-Titelbild von „Mosaik“, des einzigen akzeptablen Comic-Magazins der DDR. Doch selbst der abgeliebte Look des Heftes mit seinen Einrissen und Eselsohren war Schwartz’sche Handarbeit: „Hat fünf Minuten gedauert.“ Die kleine Hommage macht deutlich: Hier widmet sich einer mit Hingabe jedem Detail seiner Bilder. Und in deren Details steckt schon mehr als Recherche – sondern echter Forscher-Eifer.
Hinreißende Überblendung vom Museumssaal ins Eis
Der zeigt sich selbst in den halben Zeitungsseiten seiner Serie „Vita Obscura“ für Jakob Augsteins Wochenzeitung „Der Freitag“: Exzentrische Biografien haben es ihm angetan. Und es ist keine kleine Kunst, das Leben des blinden Musikers Moondog zwischen Kansas, New York und Recklinghausen in wenigen Panels zu bündeln – oder die unwahrscheinliche Vita des Marinearztes James Barry: Erst beim Tod des hoch geachteten Chirurgen 1865 stellte sich heraus, dass eine Frau ihr ganzes erwachsenes Leben als Mann gelebt hatte. Simon Schwartz veranschaulicht das damals schier Unglaubliche in einer kleinteiligen Collage ähnlich einem Quodlibet – also einem augentäuschenden Gemälde kleiner Fundsachen.
Auf der langen Strecke seiner großen „Graphic Novels“ kann der Zeichner dann auch erzählerisch ausgreifen – gerne über Jahrzehnte. „Packeis“ würdigt den lange vergessenen ersten Menschen am Nordpol – eben nicht Robert Edwin Peary, sondern Matthew Henson (1866 bis 1955), seinen „First Man“ auf etlichen Polarexpeditionen. Peary kassierte den Ruhm, Henson arbeitete als später als Museumsaufsicht zwischen den Exponaten der gemeinsamen Arktisreisen. Hinreißend überblendet Simon Schwartz in Panels, die so gerne wie wohlkalkuliert aus dem üblichen Raster ausbrechen, aus den Museumssälen zu den Jahren im Eis.
Der Zeichner liest aus „Packeis“
Parallel zur „Struwwelpeter“-Schau im Großen Schloss zeigt die Panoramagalerie bis zum 19. Januar 2020 Simon Schwartz’ „Geschichtsbilder“. Dort gilt: Eintritt frei. Eine Lesung von und mit Simon Schwartz aus der Graphic Novel „Packeis“ gibt’s am Sonntag, 27. Oktober, um 15 Uhr.
Im Avant-Verlag, der die Schwartz’schen Werke herausgibt, erscheint auch der Ausstellungskatalog, 136 Seiten stark, für 29 Euro.
Durch die weit gespannte „Struwwelpeter“-Ausstellung führt am Sonntag, 29. September, um 14 Uhr erstmals Kuratorin Linda Schmitz. Die Führung ist kostenfrei in Verbindung mit dem Museumseintritt von 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, ludwiggalerie.de
In der stolzen Tradition ostdeutscher Wandgemälde
Christine Vogt nennt ihren Gast denn auch emphatisch einen „Meister der Seiten-Tektonik“. Wie bei den Comic-Schauen der Ludwiggalerie üblich, zeigt sie auch gerne das „Work in Progress“: von der Recherche-Lektüre über Vorzeichnungen bis zum vollendeten Blatt, noch ohne Lettering.
Das aufwendigste und figurenreichste Projekt dieses „Lebenswerks“ lässt sich allerdings nur in den Originalblättern und einem Modell-Würfel zeigen: Denn der „Kubus der friedlichen Revolution“ ist ein gläserner Saal, hineingesetzt in den roten Backsteinbau der einstigen Erfurter Stasi-Zentrale. 7 mal 40 Meter misst dieses Schwartz’sche Panorama des Wendeherbstes 1989. Hunderte Fotos bildeten die Quelle seiner Großtat, die es mit der stolzen Tradition ostdeutscher Wandgemälde aufnehmen kann.