Das Handwerk freut sich über immer mehr Kunden. Doch statt sorgenfrei in die Zukunft zu blicken, plagen die Betriebe zwei große Probleme.
Herr Bischoff, wer einen Handwerker anruft, muss mitunter Wochen oder Monate auf einen Termin warten. Rosige Zeiten für das Oberhausener Handwerk, oder?
Jörg Bischoff: Ja, die Firmen haben eine sehr gute Auftragslage. Und das wird auch noch einige Jahre anhalten, davon bin ich fest überzeugt.
Gibt es Unterschiede in den verschiedenen Handwerks-Branchen oder geht es der Kfz-Werkstatt ebenso gut wie dem Friseur?
Natürlich gibt es Unterschiede in den 130 Handwerksbranchen. Da geht es nicht jedem gleich gut, jede Branche hat ihre speziellen Eigenarten und manchmal auch Strukturprobleme. Friseure etwa haben über viele Jahre deutlich über Bedarf ausgebildet. Mit der Folge, dass mit der Zeit Billig-Friseure wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Aber der überwiegenden Mehrheit der Handwerksbetriebe geht es gut.
Es gibt keinerlei Probleme?
Doch! Ein sehr großes Problem ist und bleibt der Fachkräftemangel. Jahrelang wurde er prophezeit, jahrelang hat man geglaubt, man komme irgendwie drum rum. Jetzt ist er eingetroffen. Das ist wie mit Weihnachten: Kommt immer plötzlich.
Kann man mit mehr Ausbildung dagegen steuern?
Die Betriebe finden doch kaum noch Auszubildende. Der Nachwuchs wird knapp und das führt zu vielen Problemen. Hinzu kommt, dass viele Familienbetriebe in den kommenden Jahren an die nächste Generation übergeben werden müssten. Aber auch da sind keine Nachfolger da. Wir haben leider bislang noch keine Antwort auf diese Probleme gefunden. Wir versuchen weiter, Auszubildende zu finden. Wir machen Werbung an Schulen, arbeiten mit der Arbeitsagentur zusammen. Nur durch mehr Auszubildende können die Betriebe gestärkt werden.
Der Fachkräftemangel bremst also die eigentlich gute Entwicklung des Handwerks?
Ja. Das sieht man an den langen Wartezeiten der Kunden. Jahrzehntelang mussten die Betriebe um Aufträge kämpfen, um zu überleben. Seit einiger Zeit ist es genau umgekehrt: Wenn ein Kunde anruft, machen wir uns immer Sorgen, ob wir den Auftrag noch annehmen können oder nicht.
Jörg Bischoff – Handwerker und Helfer
Jörg Bischoff ist Fleischermeister, Kreishandwerksmeister und Obermeister der Fleischer-Innung. Den gleichnamigen Betrieb gibt es bereits seit 1926, gegründet wurde er in Osterfeld, von Anton und Maria Bischoff, den Großeltern von Jörg Bischoff.
Seit 2013 sitzt Jörg Bischoff für die SPD im Rat der Stadt. Der 60-Jährige engagiert sich zudem ehrenamtlich, ist Vorsitzender des Vereins „Oberhausen hilft“. 2012 gründete sich der Verein nach einer großen Hilfsaktion durch Handwerker in der ukrainischen Partnerstadt Saporishja: ein Waisenhaus wurde komplett kernsaniert.
Heute unterstützt der Verein hilfsbedürftige Kinder und Jugendliche. Darunter fallen viele Einzelfallhilfen: Kostenübernahme der Physiotherapie für ein behindertes Kind, Kauf eines Computers für einen Jungen ohne Außenkontakt, Zuschüsse für Feriencamps und den Jugendaustausch Multi. Und dies sind nur einige wenige Beispiele.
Ist das Handwerk für junge Menschen nicht attraktiv genug?
Zumindest das Image ist nicht attraktiv genug. Junge Leute drängen eher an die Hochschule. Ob sie da glücklich werden, ist eine andere Frage. Die Abbrecherquote ist ja immens hoch. Viele besinnen sich erst dann auf die Werte des Handwerks. Dabei kann ich heute schon prognostizieren: Junge Leute, die sich jetzt ins Handwerk orientieren, werden gute Zeiten haben. Denn sie sind rar. Und es wird ohne Handwerk nicht gehen. Sendemasten für den Mobilfunk müssen gebaut werden. Leitungen müssen gelegt werden, damit der Strom fließt. Wenn niemand den Wasserhahn montiert, kann man sich morgens nicht die Zähne putzen.
Manche Produkte lassen sich aber auch industriell herstellen.
Ja, für die Brötchen geht man nicht nur zum Bäcker, für die Wurst nicht nur zum Fleischer. Da greifen viele Kunden auf Discounter zurück. In der Drogerie gibt es Haarfärbemittel zu kaufen. Aber wenn man die Haare schön gemacht haben möchte, geht man eben doch zum Handwerksmeister. Den Sonntagsbraten hole ich dann doch lieber beim Fleischer und die Torte beim Konditor. Wir merken deutlich, dass viele Kunden wieder mehr Wert auf die Qualität des örtlichen Handwerks legen. Bei den Verbrauchern stehen Handwerker richtig hoch im Kurs. Trotzdem streben nicht genügend junge Leute zum Handwerk und das ist schade.
Droht dem Handwerk keine Konkurrenz?
Doch, aus dem Internet. Vermittlungsplattformen drängen auf den Markt, die Leistungen vermitteln oder versteigern. Meistens sind das Betriebe, die nicht in den Innungen organisiert sind, oft auch keine Zulassung haben, nicht mal Fachkräfte sind. Als Beispiel führe ich immer gerne unseriöse Schlüsseldienste an. Es trifft aber auch Kunden, die zum Beispiel ihre Dachrinne reinigen lassen wollen, einen vermeintlich billigen Anbieter aus dem Internet wählen und am Ende auf den dann doch viel zu hohen Kosten sitzen bleiben, weil die Arbeiten nicht ordentlich gemacht wurden.
Machen Sie sich darüber Sorgen?
Nein. Unsere Auftragsbücher sind voll, das Oberhausener Handwerk hält zusammen, vernetzt sich gut. Wenn der Stuckateur mal einen Maler braucht oder der Sanitärfachmann einen Fliesenleger, dann gelingt uns das immer untereinander sehr gut. Anders sieht das schon bei großen Projekten aus. Beim neuen Jobcenter an der Marktstraße etwa: Wer wurde denn erst gerufen, als es mit dem Zeitplan eng wurde? Das Oberhausener Handwerk. Bei den europaweiten Ausschreibungen haben die Oberhausener Betriebe meist keine Chance. Aber wenn Firmen von auswärts in der vorgegebenen Zeit nicht fertig werden, ruft man die Betriebe zu Hilfe, die bereit sind, auch mal am Samstagabend zu arbeiten, wenn es nötig ist. Oder sonntags. Damit montagmorgens dann die Brandschutzabnahme klappt. Dann weiß man plötzlich um die Stärke der traditionsreichen Familienunternehmen.
Warum nehmen die Betriebe solche Aufträge an?
Unser Handwerk gehört zur Stadt. Die Identifikation mit der Stadt ist groß. Handwerk ist Leidenschaft. Bei mir persönlich und bei meinen Kollegen auch. Bauunternehmer Peter Geese hat mir sonntagmorgens mal ein Video geschickt von seinem Kran, der gerade hochgezogen wurde. Sie können lachen und sagen „Das sind ja späte Jungs.“ Aber ich sage: Das ist die Leidenschaft, mit der wir unser Tagesgeschäft machen.