Oberhausen. In den Sommerferien legen Arbeiter im Oberhausener Rathaus die historische Decke des Ratssaals frei. So will man den monatelangen Streit klären.

Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit sind während der Sommerferien die praktischen Vorarbeiten eingeleitet worden, um den Ratssaal im dritten Stock des 1930 eingeweihten Oberhausener Rathauses umzubauen. Er ist komplett eingerüstet, um die nach dem Krieg abgehängte Decke zu öffnen.

Die Überraschung: Statt der erwarteten historischen Holzdecke kam eine Decke aus Beton mit farbigen Stuck-Ornamenten zum Vorschein. Sie nimmt zur Freude der Denkmalschützer die Ziegelornamente der backsteinexpressionistischen Fassade von Stadtbaumeister Ludwig Freitag auf. „Die Farben Blau und Gelb sind klar zu erkennen, Rot wird vermutet, soll aber wiederherstellbar sein“, weiß nun der Beigeordnete Jürgen Schmidt.

Das Herzstück der Politik in einer Stadt

Doch zunächst zur Vorgeschichte: Das Herzstück der Politik in einer Stadt ist nun einmal der Ratssaal. Hier treten die gewählten Vertreter der Bürger zusammen, hier streiten sie, hier entscheiden sie. Seit einiger Zeit schon ist jedoch der Ratssaal selbst zum Streitpunkt geworden.

Voller Gerüste: Der Ratssaal in den Sommerferien. Die Decke aus den 50er Jahren wird beseitigt, so dass die Original-Decke von 1930 wieder sichtbar wird.
Voller Gerüste: Der Ratssaal in den Sommerferien. Die Decke aus den 50er Jahren wird beseitigt, so dass die Original-Decke von 1930 wieder sichtbar wird. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Denn dieser muss nach Willen der Politik und Stadtspitze modernisiert werden: Möblierung, Boden, Barrierefreiheit, Heizung, Klimatechnik. Schließlich wird es hier bei Sonnenschein schnell heiß bis stickig, die schweren Sitzmöbel lassen sich auf dem atemraubenden Teppichboden kaum bewegen, für Rollstuhlfahrer ist der Saal nur unter größten Mühen zu benutzen.

Die Zuschauerempore erhält eine gläserne Wand

Was also tun? Man setzte vor vielen Monaten eine Kommission ein – besetzt mit Experten (Architekten, Handwerkern, Kunstverständigen), Politikern aus allen Gruppierungen des Rates und Vertretern der Stadtverwaltung. Nach längeren Diskussionen ist man sich nun im Wesentlichen einig: Die Sitzordnung soll parlamentarisch halbrund auf der Längsseite bleiben; die Stufung der Sitzplätze soll mindestens sechs barrierefreie Plätze bekommen; die Zuschauerempore erhält eine gläserne Wand, die endlich den Blick auf den ganzen Ratssaal ermöglicht; eine Belüftungsanlage wird installiert, eine moderne Mikrofon- und Datentechnik spendiert.

Links der Fries des Oberhausener Künslters Walter Mawick von 1958, oben die abgehängte weiße Decke. Darunter befindet sich die historische Ornament-Decke von 1930.
Links der Fries des Oberhausener Künslters Walter Mawick von 1958, oben die abgehängte weiße Decke. Darunter befindet sich die historische Ornament-Decke von 1930. © Funke Foto Service | Gerd Wallhorn

Doch noch gibt es keinen Beschluss, keinen Planentwurf, denn erst muss die Politik den lange schwelenden Deckenstreit klären. Die Decke hat eine eigene Geschichte. Man wusste nicht mehr genau, wie sie 1930 bei der Inbetriebnahme des ersten Ratssaales von „Groß-Oberhausen“ aussah. Lange nach dem Krieg jedenfalls wurde der Saal verändert.

Das parlamentarische Halbrund

An die Stelle der preußisch-rechteckigen Sitzordnung trat das parlamentarische Halbrund, zudem wurde die alte Decke abgehängt – und zwischen Wandvertäfelung sowie den einst so neuen weißen Deckenplatten malte der Oberhausener Künstler Walter Mawick 1958 ein Fries: markante Ansichten aus Oberhausens junger Geschichte, Industrie-, Kirchen- und Profanbauten, in heiteren Pastellfarben, dem Aufbruchsgeist der 50er Jahre entsprechend.

Einfach zersägt

Ein Nebeneinander von historischer Decke aus dem Jahr 1930 und dem Wandfries von 1958 will offenbar der Denkmalschutz nicht akzeptieren, wobei es auch zwischen Oberer und Unterer Denkmalbehörde (Landschaftsverband Rheinland und Stadt Oberhausen) gegensätzliche Meinungen gibt.

In der Kommission zum Umbau des Ratsaals hat sich wohl bisher die Ansicht durchgesetzt, den Mawick-Fries zumindest erhalten zu wollen – eventuell an anderer exponierter Stelle, etwa in der Luise-Albertz-Halle?

Karl Mawick, Neffe des 1977 in Oberhausen gestorbenen Künstlers Walter Mawick, fürchtet jedenfalls um das Vermächtnis seines Onkels, das schon an anderen Punkten in der Stadt zum Opfer gefallen ist: Eine Holzarbeit in der Luise-Albertz-Halle wurde zersägt, das große Wandmosaik der alten Sterkrader Sparkasse und späteren Stadtteilbibliothek fiel den Abrissarbeiten weitgehend zum Opfer.

Nun streiten sich die Gelehrten: Die einen, darunter die Denkmalschützer, wollen am liebsten die Original-Decke wiederbeleben und das dann wohl unpassende Mawick-Fries abhängen, die anderen wollen den Mawick-Fries inklusive neuer abgehängter Decke retten.

Karl Mawick, Neffe des 1977 in Oberhausen gestorbenen Künstlers Walter Mawick, fürchtet jedenfalls um das Vermächtnis seines Onkels.
Karl Mawick, Neffe des 1977 in Oberhausen gestorbenen Künstlers Walter Mawick, fürchtet jedenfalls um das Vermächtnis seines Onkels. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Und um diese ästhetische Frage zu klären, wurde nun in den Sommerferien die alte Decke geöffnet. Live sollen einige Monate lang die Ratspolitiker im Saal mit historischer, ein wenig bröckelnder Ornament-Decke und dem Mawick-Fries tagen – das sieht ein recht provisorisch aus.

Markante Ansichten aus Oberhausens junger Geschichte, Industrie-, Kirchen- und Profanbauten, in heiteren Pastellfarben zeigt der Wandfries von Walter Mawick aus dem Jahr 1958.
Markante Ansichten aus Oberhausens junger Geschichte, Industrie-, Kirchen- und Profanbauten, in heiteren Pastellfarben zeigt der Wandfries von Walter Mawick aus dem Jahr 1958. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Erst aber wenn die Deckenentscheidung nach dieser direkten Erfahrung gefällt wird, dann können der Gesamtplan erstellt und Kosten kalkuliert werden. Mit einer monatelangen Umbauzeit im Laufe des Jahres 2020 und Kosten von vielen hunderttausend Euro rechnen bereits Experten – in der Zwischenzeit muss der Rat woanders tagen, womöglich in der Luise-Albertz-Halle gegenüber dem Rathaus.

Ob der neue Rat nach der Kommunalwahl im Herbst 2020 bereits im neu renovierten Ratssaal Beschlüsse fassen kann, steht jedenfalls noch in den Sternen.