Oberhausen. . An der Heinrich-Böll-Gesamtschule dreht sich vieles um Europa. Wenn es um EU-Förderung geht, haben Lehrer mit aufwendigen Anträgen zu kämpfen.
Wenn Abiturientin Anna (18) über den Schüleraustausch mit der polnischen Stadt Nysa berichtet, dann schwärmt sie heute noch – trotz des anfänglichen Kulturschocks – über die netten Gastfamilien, die Schule, die aussieht wie Hogwarts aus „Harry Potter“ und über Bio-Räume, die mit allerhand eingelegter Tieren ganz anders aussehen als in Deutschland. Sehr beeindruckt war sei vom Besuch der Holocaust-Gedenkstätte in Auschwitz.
Anna ist nicht die einzige Schülerin der Heinrich-Böll-Gesamtschule hoch oben im Norden der Stadt, die von solchen Erfahrungen in den europäischen Nachbarländern berichten kann. Bei Oberhausens einziger Europaschule gehört das ganz einfach zum Schulleben dazu. Seit 10 Jahren schon darf sich die Gesamtschule „Europaschule in NRW“ nennen und ist damit offiziell vom Land zertifiziert.
Jubiläum im Jahr der Europa-Wahl
Ein kleines Jubiläum im Europawahljahr also, in dem das deutliche Bekenntnis der Schule zu Europa gefeiert wird. Ein Bekenntnis von dem vor allem die Schülerinnen und Schüler eben auch ganz praktisch profitieren: durch ein erweitertes Fremdsprachenangebot, internationale Projekte und zahlreiche Austauschprogramme – wie jene Schulpartnerschaft mit Polen. Die schon seit mehr als 15 Jahren gehegt und gepflegt wird.
„Anfangs haben wir jedes Jahr sogar zwei Besuche organisiert“, erklärt Lehrerin Dana Röhl, die sich um Austausch- und Europaprojekte kümmert. „Der Austausch findet nicht mehr durchgängig statt. Schülergruppen aus Polen besuchen uns aber auch hier in Oberhausen.“
Praktikum in La Coruña
Daneben organisiert die Schule zweiwöchige Betriebspraktika, beispielsweise ins spanische La Coruña, und bemüht sich immer wieder um Fördermittel der EU. So wie bei dem Sportprojekt „FairPlay4EU“, das mit Geldern aus dem Erasmus-Programm finanziert wurde.
Für den 14-jährigen Felix war dies eine tolle Erfahrung. Er hat Niederländer, Italiener, Franzosen und Litauer kennengelernt. Am Ende berichtet er genau das, was alle Schüler der Europaschule sagen, die Auslandserfahrungen gesammelt haben: dass sie Stereotype abgebaut haben, ihnen die Berührungsängste genommen wurden, sie Verständnis für andere Länder und Kulturen entwickelt haben und dabei grenzüberschreitende Kontakte aufbauen konnten – gewissermaßen die europäische Erfahrung. Schaukästen mit allerhand Plakaten, Fotos, Flaggen und Mitbringseln aus den unterschiedlichsten Ländern Europas erinnern in den Fluren der Schule an die Begegnungen und Erlebnisse.
EU wird zum Gegenstand des Unterrichts
Aber auch im Schulalltag hält das Thema Europa an der Heinrich-Böll-Gesamtschule Einzug. „Europa findet quer durch alle Fachbereiche statt, die entscheiden, wann dies zum Gegenstand des Unterrichts wird“, sagt Schulleiter Reiner Geßwein. Besonders die Oberstufe diskutiert fleißig über politische und wirtschaftliche Themen, die die Europäische Union betreffen.
„Im SoWi-Kurs beschäftigen wir uns intensiv mit der EU“, weiß Chantal. „Es gibt spezifische Unterrichtsreihen. Mal ging es um Handelsverträge, um Geldpolitik oder den Aufbau der europäischen Institutionen und der europäischen Gesellschaften.“ Themen wie der Brexit und die europäische Urheberrechtsreform verlassen allerdings auch mal den Klassenraum und werden von Lehrern und Schülern gleichermaßen auf dem Pausenhof oder im Lehrerzimmer diskutiert.
Olympische Spiele 2020 in Tokio
Das Engagement für Europa hängt aber vor allem an zwei Lehrkräften, die sich nebenbei um Projekte und Förderanträge bemühen. Und das ist richtige Fleißarbeit. „Erasmus-Fördermittel von der EU zu bekommen ist schon mit einigem Aufwand verbunden“, erzählt Dana Röhl.
Für ein internationales Projekt, das an die olympischen Spiele in Tokio 2020 anschließt und bei dem es unter anderem um die Integration von Flüchtlingen durch Sport oder Trends wie E-Sports geht, musste sie einen 80-seitigen Förderantrag zu Papier bringen. „Aber auch im Nachhinein gibt es eine Evaluierung, man muss einen Zwischenbericht und einen Abschlussbericht vorlegen“, fügt Röhl hinzu. Ein bisschen Papiertiger ist die EU dann also doch.
Der europäische Gedanke
Als Europaschule, so bedeutend der Titel auch klingt, bekommt die Gesamtschule nämlich keine besondere Förderung. „Es gibt keine weiteren Lehrerstellen, auch nicht mehr Geld“, sagt Schulleiter Reiner Geßwein. Die Schule sei darauf angewiesen, Fördermittel einzuholen. Und wenn dann Lehrer die Schule verlassen, kommt es schon mal vor, dass dadurch auch Partnerschaften im Ausland gefährdet sind, weiß Geßwein.
Dana Röhl weiß aber, warum sie sich solche Mühe macht und blickt in Richtung ihrer Schüler. Die tragen jetzt den europäischen Gedanken weiter.
>>> Info: Seit 2007 gibt es Europaschulen in NRW
Das Land Nordrhein-Westfalen hat das Projekt Europaschulen im Jahr 2007 gestartet, um interkulturelle Kompetenzen zu fördern. In keinem anderen Bundesland gibt es heute so viele Schulen, die das spezielle Zertifikat halten. Laut Staatskanzlei NRW gibt es aktuell insgesamt 218 Europaschulen in ganz NRW. Spitzenreiter ist die Stadt Essen mit insgesamt elf Europaschulen. Gefolgt von Köln (neun), Dortmund und Münster (je acht) und Aachen (sieben).
Von der Grundschule bis hin zum Gymnasium können alle Schulformen Europaschule werden. Dabei müssen sie bestimmte Kriterien erfüllen. Dazu gehören beispielsweise Austauschprogramme mit europäischen Partnern, die Teilnahme an europäischen Projekten und Wettbewerben und ein erweitertes Fremdsprachenangebot. Den Schulen wird das Zertifikat für jeweils fünf Jahre verliehen. Danach müssen sie ihr Europakonzept neu überprüfen lassen.