oberhausen. . Kurz vor Weihnachten erklärte der Oberhausener Bundestagsabgeordnete Uwe Kamann mit dürren Worten seinen AfD-Austritt – und schwieg bisher.

Kurz vor Weihnachten sorgt Uwe Kamann bundesweit für Schlagzeilen: Der AfD-Bundestagsabgeordnete mit Wahlkreis in Oberhausen tritt aus Fraktion und Partei aus. Im Gespräch mit unserer Redaktion äußert er sich erstmals in einem Interview dazu öffentlich.

Wie ist sein Werdegang?

Kamann hat eine erstaunliche Karriere hinter sich – vom Arbeiter zum Unternehmer und Bundestagsabgeordneten. Kamann wird am 19. August 1958 in Magdeburg geboren. 1960 zieht er mit seiner Familie nach Oberhausen, der Vater findet einen Job bei Babcock. Er komme aus „sehr einfachen Verhältnissen“, erzählt er. „Als ich fünf wurde, schenkten mir meine Eltern einen neuen Anstrich meiner Kinder-Schubkarre.“

Nach der Lehre als Starkstromelektriker bei der Bahn arbeitet er als Elektrohauer auf der Zeche Osterfeld – er ist Gewerkschafter, Juso, SPD-Wähler wie seine Eltern. Über Umwege „rutscht“ Kamann Anfang der 80er Jahre in die IT-Branche – als Vertriebler. Wird Vorstand eines großen IT-Beraters, gründet mit Sepicon seine eigene IT-Beraterfirma. Von der SPD hatte er sich längst gelöst, war „als Unternehmer CDU- und FDP-nah“. Seit 30 Jahren lebt Kamann in Aachen, seine Firma sitzt in Düsseldorf.

Warum ging er zur AfD?

Es ist die Euro-Skepsis, die Uwe Kamann Anfang 2014 in die AfD, damals unter Bernd Lucke, eintreten lässt. EU-Gegner sei er nicht. Im Gegenteil. Man brauche einen starken europäischen Verbund, um es wirtschaftlich mit China, den USA und auch Russland aufnehmen zu können. Aber er kenne als Unternehmer, der bei Firmenübernahmen verschiedene Betriebskulturen harmonisieren musste, die Probleme mit Verbünden. Eine Harmonisierung so unterschiedlicher Staaten mit Hilfe einer gemeinsamen Währung wie den Euro sei nahezu unmöglich, sorge für große Schwierigkeiten

Der heute fraktionslose Oberhausener Bundestagsabgeordnete Uwe Kamann im Interview mit der WAZ nach seinem Austritt aus der AfD.
Der heute fraktionslose Oberhausener Bundestagsabgeordnete Uwe Kamann im Interview mit der WAZ nach seinem Austritt aus der AfD. © Kerstin Bögeholz

Zudem sah er eine gute Chance, in einer neuen Partei wie der AfD das Thema Digitalisierung vorantreiben – das sei damals von allen Parteien unterschätzt worden. Hatte er eine politische Karriere im Visier? „Nein“, sagt Kamann. „In den Bundestag kam ich wie die Jungfrau zum Kinde.“ Allerdings sei er dann irgendwann bestrebt gewesen, in die Bundespolitik einzugreifen, weil Digitalisierung ein Bundesthema sei. Als Kandidat in Oberhausen holt Kamann im September 2017 rund 12,9 Prozent der Stimmen. In den Bundestag gelangt er über den guten Listenplatz 9 der NRW-AfD.

Wann kommt Skepsis auf?

Kamann gilt in Berlin als bürgerlich-gemäßigter AfD-Abgeordneter. Er ist einer der Unterzeichner des Zukunftsantrages der damaligen Parteichefin Frauke Petry, die im April 2017 mit ihrem Wunsch nach Mäßigung scheitert. Die „stramm Konservativen“, wie Kamann sagt, hätten die Oberhand gewonnen. Die Partei sei ihm zu rechts geworden, den Begriff „rechtsradikal“ oder „rechtsex­trem“ umschifft er. Beim Bundesparteitag in Hannover Ende 2017 habe er sich „fremd geschämt“. Inhalt und Stil mancher Redner seien nicht akzeptabel, von niederem Niveau und gespickt mit vulgären Ausdrücken. „Und mit solchen Reden kommt man in den Vorstand.“ Zudem hat man ausgerechnet das seiner Meinung nach wichtigste Zukunftsthema für Deutschland, die Digitalisierung, kaum beachtet.

Was machen andere im Umgang mit der AfD falsch?

Die Angriffe der anderen Parteien helfen nach Erfahrung von Kamann nur der AfD. „Das schweißt die Fraktion, die Partei ungeheuer zusammen.“ Die AfD zu dämonisieren, sei daher „total dumm“. Man könne und müsse sie sachlich stellen, denn thematisch sei sie nicht breit genug aufgestellt, sondern fokussiere sich viel zu sehr auf Asylpolitik und innere Sicherheit.

Wie geht’s mit der AfD weiter?

„Die AfD hat ihren Zenit erreicht.“ Die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenburger agiere geschickt: „Sie wird viele Bürgerlich-Konservative von der AfD zurückholen.“ Seine alte Partei sei inhaltlich bei wichtigen Themen nicht gut aufgestellt – neben der Digitalisierung auch nicht in der Bildungs- oder Gesundheitspolitik. „Zudem weicht der Markenkern der AfD auf.“ Denn die etablierten Parteien würden sich zunehmend auch mit den Problemen der Integration beschäftigen. Razzien gegen Clans im Ruhrgebiet seien da nur ein Beispiel. Der AfD-Fraktion fehle es dagegen an Strategien und Führung.

Bleibt Kamann in der Politik?

„Politik macht Spaß“, versichert er. Daher gebe er auch sein Mandat nicht ab, er wolle weiter sein Thema vorantreiben. Man merkt im Gespräch: Er kann sich wohl gut vorstellen, einer anderen Fraktion beizutreten, vielleicht der CDU.

Was denkt Kamann über die AfD Oberhausen?

Zum Bruch mit der AfD in Oberhausen kam es noch vor dem Parteiaustritt Uwe Kamanns im Dezember. Der hiesige Kreisverband sei ihm eindeutig zu rechts geworden, spätestens seit der alte Vorstand von neuen Köpfen „gekapert“ worden sei. Er habe versucht, Gespräche zu führen, doch ohne Erfolg. „Ideologen kann man nicht überzeugen.“ Sein im Frühjahr eröffnetes Wahlkreisbüro habe er daher wieder gekündigt.

Die Mitgliederzahl der Oberhausener AfD schätzt Kamann auf 50 bis 60 Personen. Politischen Erfolg werde die hiesige AfD nur über bundespolitische Themen erreichen können. Denn kommunalpolitische Aspekte fehlten auf der Agenda. „Doch gerade, wenn ich im Rat vertreten sein möchte, muss ich doch auch kommunalpolitisch arbeiten“, sagt Kamann. „Ich muss doch etwas anbieten können, muss Ideen entwickeln und mich in der Stadt auskennen.“ Doch bei der AfD Oberhausen gebe es kaum Personen, die „vorzeigbar“ seien. Da sei niemand, dem er zutraue, vernünftige Reden zu halten.

Wie sieht Kamann seine frühere Heimatstadt?

„Die Stadt hat den Strukturwandel noch nicht geschafft.“ Aber er sieht große Chancen, gerade auch bei der Digitalisierung. Oberhausen könne Start-ups im Bereich Künstliche Intelligenz viel stärker locken. Die Forschungseinrichtungen in der Umgebung seien da: „Oberhausen kann die Infrastruktur anbieten.“ Dafür bräuchte die Stadt auch keine Hochschule, „virtuelle Hubs“ seien die Zukunft: Digitale Netzwerke und Video-Konferenzen machten eine physische Präsenz nicht nötig.

Und was genau entwickeln diese Start-ups? Programme für Service-Desks zum Beispiel: Ein Kunde ruft die Hotline eines Unternehmens an. Ein Computer mit künstlicher Intelligenz nimmt die Anfrage entgegen, liefert automatisiert Lösungen. Erst wenn das nicht gelingt, wird der Anrufer mit einem Menschen verbunden. „Das spart Zeit und Geld. Die Unternehmen, die ihre Service-Desks aus Kostengründen im Ausland haben, könnten sie zurückholen – und damit auch Arbeitsplätze“, hofft Kamann. Oberhausen solle hier eine Task Force einrichten und Wirtschaftsunternehmen als Paten für die Start-ups ins Boot holen. Noch fehle ihm aber eine klar sichtbare Strategie von Oberhausen.

>>>INFO: Beschwerde gegen Lehrer eingereicht

Bundesweit fiel Uwe Kamann auf, als er eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen einen Geilenkirchener Schulleiter einlegte, weil dieser sagte: „Wir haben wieder rechtsextreme Abgeordnete im Bundestag sitzen.“ Kamann sagt heute dazu, er sah mit dieser Aussage die AfD-Fraktion und damit sich selbst verunglimpft. Er sei aber nicht rechtsradikal oder rechtsextrem. Übrigens: Der Unternehmensberater scheiterte bei der Bezirksregierung, später auch beim Schulministerium, das festhielt: „Das Neutralitätsgebot im Beruf schließt politische Äußerungen selbstverständlich nicht aus.“