Oberhausen. . David Bednarek ist gehörlos und hat einen Traum: Fahrlehrer werden. Das gab es noch nie – mithilfe der Fahrschule Krüssmann soll sich das ändern.
Farbig beschriebene Flipchart-Poster zieren die Wände des Seminarraums, auf jedem der Tische liegt ein dickes, rotes Gesetzbuch, daneben Aktenordner, Lehrbücher, Getränke. Vorne, an einem schmalen Pult, steht ein älterer Herr und referiert zum Thema Straßenverkehrsrecht. Es geht um Ordnungswidrigkeiten und Bußgelder. Während die Paragrafen nur so durch den Raum schwirren, versuchen 22 Auszubildende, den Worten ihres Dozenten zu folgen.
Bernd Metzler, ehemals Staatsanwalt, fragt in die Runde: „Was ist der Unterschied zwischen Sicherstellen und Beschlagnahmen?“ Einige vertiefen sich in ihre Gesetzestexte, andere schauen sich fragend um. Nur einer hat den Blick stets nach vorne gerichtet – nicht jedoch zum Dozenten, sondern zu seinen Gebärdensprachdolmetschern: Es ist David Bednarek. Ende 2019 will der 28-Jährige Deutschlands erster gehörloser Fahrlehrer sein.
Sogar europaweit kein Fall bekannt
Im September hat er bei der Fahrschule Krüssmann in Oberhausen seine Ausbildung begonnen. Acht Monate lang nimmt er ganz regulär am Unterricht teil, danach folgt die viermonatige Praxisphase. Auch für die größte Fahrschule der Stadt ist die Ausbildung eines Gehörlosen zum Fahrlehrer „ein absolutes Novum“, betont Mitarbeiter Klaus Butscher. „Uns ist deutschlandweit kein aktueller Fall bekannt, eigentlich nicht einmal in ganz Europa“, so der Betriebswirt weiter.
Dementsprechend viel gab es vorab mit der Bezirksregierung zu klären, die für die Prüfung und Zulassung von Fahrlehrern zuständig ist. Medizinische Gutachten mussten her – und ebenso ein konkreter Plan, wie sich der Unterricht für Bednarek gestalten lässt. Dank des Austauschs mit der Essener Fahrschule Seidl, bei der auch Gehörlose den Führerschein machen können, fand sich dann eine Lösung: Dem 28-Jährigen stehen zu Unterrichtszeiten stets zwei professionelle Gebärdensprachler zur Seite.
Dolmetscher wechseln sich alle 15 Minuten ab
Während die Themen und Dozenten also laufend wechseln, sind Klaus Meinhold und Kira Knühmann-Stengel immer dabei. Sie sitzen Bednarek unmittelbar gegenüber. Meinhold übersetzt in Echtzeit, seine Kollegin markiert wichtige Passagen im Gesetzbuch und ergänzt sie um Notizen. Alle 15 Minuten wechseln sie sich ab. Bednarek schaut Meinhold fast pausenlos an, nickt, ab und an lachen sie. Es ist beeindruckend, wie schnell der Dolmetscher den Dialog zwischen Metzler und den Azubis wiedergibt – und noch beeindruckender, dass Bednarek selbst bei solch komplexen Themen folgen kann.
Wie alle anderen hat auch der 28-Jährige ein Buch vor sich aufgeschlagen, doch bleibt meist wenig Zeit, etwas nachzulesen. Zu sehr muss sich der Fahrlehrer in spe auf seine Dolmetscher konzentrieren. „Das kann mitunter ganz schön anstrengend sein“, gibt er zu, schließlich ist acht Stunden am Tag volle Aufmerksamkeit gefragt. Trotz allem muss er auch zuhause noch einiges nacharbeiten, paralleles Mitschreiben ist nicht möglich.
Die Übernahme ist bereits sicher
Klaus Krüssmann, Inhaber der Fahrschule, ist mit der Entwicklung seines Azubis zufrieden. „Wir möchten mit Herrn Bednarek ein Zeichen setzen“, erklärt er, „auch für Menschen mit anderen Handicaps.“ Nach wie vor würden dringend Fahrlehrer gesucht, deshalb sei jeder Nachwuchs willkommen – und das Pilotprojekt ein echter Glücksfall, für beide Seiten. Die Sorge, dass Bednarek womöglich viel Hilfe benötigt, habe sich indes schnell als unbegründet erwiesen – „vielmehr hilft er sogar den anderen“, fügt Butscher lächelnd hinzu. Und auch sein Dozent bestätigt: „Es ist nicht immer einfach für Herrn Bednarek, aber es macht Spaß, ihn zu unterrichten.“
Nach dem Unterricht erzählt der 28-Jährige, dass seine Lernerfolge das Resultat harter Arbeit sind. „Es ist mein großer Traum, Fahrlehrer zu werden“, sagt er mithilfe seiner Dolmetscher. Schon seit über vier Jahren lerne er dafür. Als ihm nach einer Ausbildung im sozialpädagogischen Bereich klar wurde, dass er lieber seine eigentliche Leidenschaft – das Autofahren – zum Beruf machen will, kaufte er sich Lehrbücher, bereitete sich vor.
Mit seinem Elan hat er offenbar auch Wolfgang Seidl, Leiter der gleichnamigen Fahrschule in Essen, beeindruckt. „Wir haben bereits einen Vertrag unterschrieben“, sagt Bednarek stolz. Nach erfolgreicher Ausbildung soll er dort als Fahrlehrer anfangen – und früher oder später den gesamten Hörgeschädigtenbereich übernehmen.
>>> Unterstützung von mehreren Stellen
Auf die
Essener Fahrschule Seidl wurde Bednarek durch das Rheinisch-Westfälische Berufskolleg Essen (RWB) aufmerksam – die größte Förderschule für Gehörlose in Deutschland.
Bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz bekam der 28-Jährige dann mehrheitlich Absagen. Die Fahrschule Krüssmann jedoch sagte zu. Sie will beim Nachwuchs neue Wege gehen – und um junge Menschen werben.
Die Agentur für Arbeit in Paderborn, Bednareks früherem Wohnsitz, übernimmt unterdessen die Dolmetscherkosten.