Oberhausen. . Überlegungen am Oberhausener Sophie-Scholl-Gymnasium: Einzelarbeit und Projekte, kein Pausengong. Ein Gespräch mit Lehrerin Wiebke Dybionka.

Wiebke Dybionka ist Lehrerin und Medienbeauftragte am Sophie-Scholl-Gymnasium. Die 32-Jährige hat miterlebt, wie sich ihre Schule immer mehr neuen Lernmethoden öffnet, sich auch mehr digitalisiert, zuletzt unter dem neuen Schulleiter Holger Schmenk. Ein Gespräch darüber, wie Schule auf die digitalisierte und immer flexiblere Arbeitswelt vorbereiten kann.

Was kann Schule für die Arbeitswelt mit auf den Weg geben?

Wiebke Dybionka: Da zitiere ich gerne den Philosophen Richard David Precht. Er sagt, über 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen werden in Jobs arbeiten, die es noch nicht gibt. Deshalb ist es weniger wichtig, Kindern Wissen zu vermitteln. Vielmehr kommt es darauf an, Schülern Strategien beizubringen, wie sie Inhalte selbstständig lernen und erarbeiten können. Weitere wichtige Faktoren sind Teamfähigkeit und Fremdsprachen.

Um Lernstrategien zu erlernen, müssen Kinder auch selbstständig sein. Ab welchem Alter sind Kinder das?

Je jünger der Schüler, desto weniger Offenheit im Lernen kann er verkraften und je älter, desto besser kann er damit umgehen und desto besser werden die Ergebnisse. Am Anfang benötigen Schüler noch viel Anleitung. Außerdem finde ich den Begriff selbstbestimmtes Lernen nicht treffend.

Welche Bezeichnung ist Ihnen lieber?

Offenes Lernen. Selbstbestimmtes Lernen heißt: ,Ich kann mir meine Inhalte komplett selbst aussuchen.’ Das ist in Schulen nicht möglich, weil wir an Lehrpläne gebunden sind. Eine offene Lernatmosphäre gibt es in einzelnen Fächern, das hängt von der Lehrkraft ab. Dabei können Schüler über die Reihenfolge der Materialien, Wahl- und Pflichtthemen, übers Lerntempo und Sozialformen entscheiden. Wesentlich offener und individueller wäre allerdings ein anderer Weg: Schüler lernen in Modulen, in Lernhäppchen.

Warum ist ein solches Lernen gut für die Schüler?

Weil Schüler in ihrem eigenen Tempo lernen. Ein sehr guter Schüler in Mathematik kann dann die fünfte Klasse innerhalb von wenigen Monaten durcharbeiten. Dafür braucht er in Deutsch länger und stellt die Module hinten an. Jeder Schüler arbeitet an seinem Thema, in dem Tempo, das er möchte und mit dem Mentor als Lehrer, der ihm gerade gefällt. Zentrale Klassenarbeiten und Klausuren sind in diesem System nicht mehr möglich, aber eine Prüfung nach jedem Modul.

Und hat jeder auch beim Modul-Lernen nach neun Jahren sein Abi in der Tasche?

Nein. Dann ist nicht mehr vorgegeben, dass man nach acht oder neun Jahren mit der Schule fertig sein muss.

Das aktuelle Gebäude des Sophie-Scholl-Gymnasiums ist nicht offenes Lernen  ausgelegt, das neue Gebäude könnte Diskussionsräume haben.
Das aktuelle Gebäude des Sophie-Scholl-Gymnasiums ist nicht offenes Lernen ausgelegt, das neue Gebäude könnte Diskussionsräume haben. © Kerstin Bögeholz

Hat das Sophie-Scholl-Gymnasium das nötige Lehrpersonal, die Technik und Räume für ein solches Lernen?

Derzeit mangelt es an allen drei. Wir überlegen, wie wir das neue Schulgebäude, das gebaut werden soll, nutzen. Klassenräume soll es eventuell nicht mehr geben, sondern Diskussionsräume und Einzelarbeitsplätze. Das ist ein Schritt, offene Arbeitsformen für die Schüler zu ermöglichen. Momentan wird die Förderung des selbstständigen Lernens von vielen Kollegen als zusätzliche Belastung und nicht als Hauptziel wahrgenommen. Ich habe selbst 31 Schüler in meiner
5. Klasse. Dazu gehören Regelschüler, Inklusionsschüler und welche aus Integrationsklassen.

Gibt es Kollegen, die gegen diese großen Veränderungen sind?

Etwa die Hälfte der Kollegen ist unter 40 Jahre alt. In den neun Jahren, die ich an dieser Schule bin, hat sich viel getan. Der Wunsch im Lehrerkollegium ist groß, den Kindern mehr Freiraum zu geben, aber nur mit mehr personalen, technischen und räumlichen Ressourcen. Ansonsten funktioniert das nicht.

Haben Sie bereits mit Modulen Erfahrungen sammeln können?

Ich habe mit der Unterteilung in Module hervorragende Erfahrungen gehabt in einem Pilotprojekt in meiner 6. Klasse. Auch die Kinder fanden das gut: ‚Das macht total Sinn, dass ich mit dem Nächsten erst anfange, wenn ich das davor verstanden habe‘, habe ich dann gehört. Solch ein Vorgehen hört sich schwierig an, funktioniert aber lehrplankonform an der Hamburger Max-Brauer-Schule oder in Schweden.

Unterstützt die Stadt, die Politik Ihre Schule auf diesem Weg?

Von Seiten der Politik sehe ich die Zeichen noch nicht, dass wir mehr Lehrpersonal bekommen. Bei der technischen Unterstützung tut sich wirklich was. Ich bin in der Gruppe der Medienbeauftragten aller Gymnasien von Oberhausen und das seit vier Jahren. Seit Anfang des Jahres verfügen Schulen über ein IT-Budget und können das völlig frei einsetzen. Zuvor mussten wir für alles einen Antrag schreiben.

Welche Rolle spielt der Unterricht und das Lernen mit neuen Medien, etwa Lernplattformen, Clouds?

Neue Medien sind sehr sinnvoll genutzt, um Lerninhalte und Übungen zur Verfügung zu stellen. Das würde auch uns Lehrer entlasten, die wir gleichzeitig Regelschüler, internationale Integrationsklassen und Inklusionsschüler beschulen. Derzeit nutzen wir die Lernplattform Moodle. Dort könnten in Zukunft Tests geschrieben oder Modulprüfungen abgenommen werden. Dann gibt es eine Cloud nur für unsere Schule. Derzeit haben nur Lehrer Zugang. Man könnte auch Schülern Speicherplatz bereitstellen.

Was ist der nächste Schritt?

Wir haben bereits überall in der Schule WLAN für die Lehrer. Das war ein Schülerprojekt. Ich wünsche mir, dass auch Schüler dieses Netz nutzen können.

Was sind Ihre Wünsche für die nächsten fünf bis zehn Jahren?

Dass der Pausengong und das feste Stundenraster abgeschafft werden. Ich wünsche mir, dass Kinder zwischen acht und neun Uhr in die Schule kommen — jeder so wie er mag — und dann beginnt jeder Schüler konzentriert einzeln an Themen zu arbeiten, die für ihn gerade dran sind. Man könnte den Lehrplan in verschiedene Module einteilen. Das wäre der Vormittagsbereich. Mir ist auch ganz wichtig, dass sich die Kinder bewegen. Im Nachmittagsbereich können Kinder in verschiedenen Gruppen oder Projekten arbeiten – losgelöst von ihrer Jahrgangsstufe. Warum sollen Schüler für ein Chemieprojekt nicht zu Ruhrchemie fahren?