Oberhausen. . Ein Oberhausener Polizeipräsident, ein Politiker und weitere äußern sich zu dem Phänomen Salafismus in Deutschland. Was sind die Beweggründe?

Der Oberhausener René Imran Q. (24), der sich jetzt „Abdul Jabbar“ nennt, soll vor eineinhalb Jahren über die Türkei nach Syrien gereist sein. Als Anhänger und Kämpfer des Islamischen Staates gilt Q. als Drahtzieher eines geplanten Anschlags auf das Essener Einkaufszentrum Limbecker Platz. Wie Q. schlagen Salafisten oder – schlimmer – Vertreter des sogenannten „Islamischen Staates“ (IS) Jugendliche, junge Erwachsene, sogar Familien in ihren Bann.

Warum Q. zu dem wurde, der er ist? Er ist der Sohn einer deutschen Mutter und eines pakistanischen Vaters. Der Vater soll Vorbeter gewesen sein. Ein Fundamentalist – nach Informationen dieser Zeitung. Hat er seinem Sohn den Wahnsinn eingeflüstert? Was treibt muslimische Menschen oder Konvertiten in die Arme der Fundamentalisten oder sogar Dschihadisten? Wir fragten Fachleute nach ihrer Meinung.

Das sagt der Polizeipräsident

Ingolf Möhring, Polizeipräsident in Oberhausen seit 2015, sieht vielfältige Ursachen für die Lage: „Der extremistische Salafismus spricht vor allem junge Menschen in unserem Land an – wie auch in anderen Ländern Europas. Er zieht sie in den Bann des religiösen Fanatismus. Die Radikalisierung bis hin zur Gewaltbereitschaft von Menschen in diesem Umfeld stellt eine Herausforderung für die Gesellschaft dar.

Ich bin davon überzeugt, dass es keine eindimensionale Ursache für dieses Phänomen gibt. Ansonsten wäre es schnell in den Griff zu bekommen. Wer den Zulauf zu dschihadistischen Gruppen nur als irrational abstempelt und nach sicherheitspolitischen Antworten ruft, blendet die gesamtgesellschaftliche Verantwortung aus. Der Fall Amri zeigt, dass sein Lebenswandel mit Alkohol- und Drogenkonsum etc. nicht dem orthodoxen Islam entsprach, dennoch nahm er seine religiöse Einstellung als Legitimation für seine Tat.

Soziale Ursachen

Die Radikalisierung hat auch soziale Ursachen. Sicher haben wir in der Vergangenheit Fehler gemacht. Die Bundesrepublik hat es lange versäumt, sich zu der Frage klar zu positionieren, ob wir ein Einwanderungsland sind oder nicht. Lange Zeit sind wir davon ausgegangen, dass die Menschen nur temporär zu uns kommen, hier eine Zeit verweilen und dann wieder in ihre Heimatländer zurückkehren. Eine Integration dieser Gruppe in unsere Gesellschaft schien unter diesem Blickwinkel nicht vordringlich zu sein. Die Voraussetzungen und Bedingungen für eine erfolgreiche Migration, wozu insbesondere auch die Akzeptanz und Einhaltung der Verfassungs- und Rechtsordnung dieses Landes gehören, wurden meines Erachtens nicht ausreichend formuliert und eingefordert. Das Entstehen von Parallelwelten wurde lange Zeit negiert. In einem solchen Umfeld werden auch Verlierer produziert, die sich auf den Weg zum Extremismus machen.“

Das sagt der Politiker

CDU-Landtagsabgeordneter Wilhelm Hausmann hält den radikalen Islamismus für ähnlich gefährlich wie den Faschismus. Die bekannten Muster der Radikalisierung gefährdeten die Demokratie, sagte Hausmann, der sich seit langem neben der Baupolitik mit Sicherheitsfragen beschäftigt. Er weiß, Islamisten werben ihre Opfer über soziale Netzwerke. „Sie sprechen sie aber auch selbst an“, sagt er.

Wenn sie erst einmal einen Schüler an einer Schule beeinflusst hätten, werde dies oft zum Selbstläufer. „Weil die anderen mitbekommen, wie selbstbewusst, wie anders jemand plötzlich auftritt.“ So wollten die anderen dann auch sein. Hausmann vermutet in Oberhausen eine ganze Salafisten-Clique, die die Werbung junger Leute generalstabsmäßig organisiere. Hausmann sieht durch den Islamismus durchaus das Grundgesetz in Gefahr.

Laut Staatsschutz sollen zwei Moscheen in der Stadt Horte des Salafismus sein. In der Vereinssatzung des Islamischen Kulturvereins einer Moschee ist festgelegt: Sollte der Verein aufgelöst werden, geht das Vermögen an einen Marokkanischen Freundschaftskreis in einer anderen Stadt, der als salafistisch gilt, weil bei ihm Hassprediger zu Besuch waren.

Das sagt der Schulleiter

Marc Bücker ist Schulleiter des Hans-Sachs-Berufskollegs. Er findet klare Worte. „Auch wir haben diese Schüler, die mit dem Salafismus sympathisieren“, sagt er. Deshalb habe er das Theaterstück „Dschihad – One Way“ nach Oberhausen geholt – als eine Gegenmaßnahme. Bücker sagt, wie schwierig es sei, gegen salafistische Strömungen anzugehen.

Beim Anti-Salafismus-Theaterprojekt
Beim Anti-Salafismus-Theaterprojekt "Dschihad One Way" an der Hauptschule Oberhausen Alstaden spielt der Schauspieler Alexander Wipprecht. © Franz Naskrent

Die Schüler würden bei ihnen in der Schule nicht auffällig. An Äußerlichkeiten seien sie auch nicht zu erkennen. Konflikte würden außerhalb der Schule ausgetragen.

Aber welche Jugendlichen sind gefährdet? „Bildungsverlierer, Verlierer im System, die an der Gesellschaft nicht teilhaben“, sagt Bücker. Er ergänzt: Integration gelinge nur über die akzentfreie Sprache. Ohne akzentfreies Deutsch gebe es keine Ausbildungsstelle, keinen Arbeitsplatz. Je weiter jemand außerhalb der Gesellschaft stünde, desto empfänglicher sei der Betreffende für Islamisten. „Bei den Deutschen sind es die Rechten“, sagt Bücker.

Der Schulleiter nennt erschreckende Zahlen für die Stadt. Das Rathaus ermittelte, dass acht Prozent der Schulabgänger der Sekundarstufe I eine Ausbildung beginnen. Rund 60 Prozent der Jugendlichen machen weiter, wollen studieren. Zwölf Prozent der jungen Leute landen in Auffangklassen. „Sie driften entweder in die Kriminalität ab, ruhen sich in der sozialen Hängematte aus oder radikalisieren sich“, sagt der Schulleiter. „Wenn man davon ausgeht, dass die Hälfte von den 60 Prozent der Studenten das Studium nicht packt, kann man sich vorstellen, was für ein Sprengstoff das ist“, warnt Marc Bücker eindringlich.

Das sagt der Pfarrer

Vor zu schnellen, einfachen Antworten warnt Superintendent Joachim Deterding. „Menschen sind immer verführbar und Religion eignet sich dazu, zu emotionalisieren und zu verführen“, sagt er. Man müsse überlegen, wie die schwierigen Jugendlichen von diesen Kriminellen wegzukriegen seien. Er hält Prävention für wichtiger als Ausstiegsprogramme. Aufklärung, was der IS sei, sei wichtig. „Denn, die Ursache dafür, dass Leute sich so emotionalisieren, muss im Bildungsbereich liegen“, schätzt Deterding. Und das sei der Bereich, der am meisten ausgedünnt worden sei. Mangelnde Bildung und Radikalisierung gingen Hand in Hand. Bilder und positive Vorbilder für Jungen und Mädchen seien wichtig.

„Die Islamisten“, sagt er, „bringen Schande über ihren Glauben.“ Wir redeten ja nicht über eine Clique, die andere zum Rauchen verführe. „Wir reden über Kriminelle mit der Bereitschaft zum Morden“, sagt er. Deshalb benötigten Polizei und Staatsschutz Unterstützung, mehr Personal und die moralische Unterstützung der Gesellschaft. Eine Antwort könnte also Sozialarbeit sein, eine weitere, die Verführer polizeilich zu bearbeiten.

Das sagt der Moscheevertreter

Der Islam bedeutet für Celil Uzunel allerdings etwas anderes als Mord und Totschlag. „Er heißt, miteinander in Frieden zu leben“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Fatih-Moschee in Essen über seine Religion. Die Islamisten dagegen behaupten, mit Ungläubigen dürfe man nichts zu tun haben, man dürfe sie sogar töten. „Das ist falsch“, hält Uzunel dagegen. Im Gegenteil: „Es heißt, wer einen Menschen tötet, tötet die ganze Menschheit“, sagt der Muslim.

Er denkt, dass Menschen mit vielen Problemen, etwa Jugendliche, die den Schulabschluss nicht geschafft haben, leicht in falsche Kreise gerieten. Dort würden Aussagen über den Islam getroffen, die nicht stimmten. „Die Jugendlichen werden radikalisiert“, erklärt Uzunel.

Er schätzt, dass Kooperationen von Moscheen mit Schulen oder entsprechende Kampagnen zur Aufklärung gut wären, um die wahren Werte des Islam zu vermitteln. „Dafür müssten aber Kooperationspartner gefunden werden“, sagt er. Alleine könnten die Moscheen diese Aufgabe nicht stemmen.

Das sagt eine Studie

Eine im November 2016 erschienene Ausgabe der „Augsburger Volkskundliche Nachrichten“, die Zeitschrift der Europäischen Ethnologie/Volkskunde an der Universität Augsburg, befasst sich auch mit dem Thema Salafismus. „Die Zahl der Salafisten in Deutschland nimmt dramatisch schnell zu. Während das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im September 2015 von 7900 Anhängern sprach, verkündete das BfV, dass die Zahl der Salafisten mit Hilfe Sozialer Online-Netzwerke im Januar 2016 bereits auf rund 8350 angestiegen ist“, heißt es. Zurzeit sollen es 10 000 sein.

Die „Augsburger Volkskundliche Nachrichten“ (AVN) beleuchten den Einfluss sozialer Medien auf Jugendliche am Beispiel des Konvertiten und Predigers Pierre Vogel. Vogel erklärt Jugendlichen auf You-Tube-Videos auf einfache Art die Welt. Er spricht offen auch heikle, intime Probleme an. In einem Gespräch zu theologischen Fragen mit dem Oberhausener Dehonianer-Pater Ernst-Otto Sloot wird deutlich, wie raffiniert die Prediger sind.

Das sagt der Verfassungsschutz

Alle islamistischen Terroristen des 11. September 2001, des schwersten Terroranschlages der US-Geschichte, gehörten der salafistischen Strömung an. In Deutschland folgt eine Minderheit der Salafisten einer gewaltbereiten dschihadistischen Ideologie, die laut deutschem Verfassungsschutz mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar ist. In seiner Analyse kommt der Verfassungsschutz zum Schluss, dass „das von Salafisten verbreitete Gedankengut den Nährboden für eine islamistische Radikalisierung … bildet“, und dass „fast alle in Deutschland bisher identifizierten terroristischen Netzwerkstrukturen und Einzelpersonen salafistisch geprägt bzw. sich im salafistischen Milieu entwickelt haben“.(Quelle: Wikipedia).