Oberhausen. Vor allem Entscheide zu Großprojekten sind in der Stadt beliebt. Den neuen Bürgerrat sehen viele als Möglichkeit, sich kommunalpolitisch einzubringen.
Dem Thema Bürgerbeteiligung widmet sich ein Abschnitt des NRZ-Bürgerbarometers, das die Universität Duisburg-Essen durchgeführt hat. Darin wurden 400 Oberhausener gefragt: „Wie könnte die Teilnahme der Bürger an der Kommunalpolitik verbessert werden?“
Die meistgenannte Antwort lautet: Bürgerentscheide bei Großprojekten – 33 Prozent der Befragten wünschen sich die als Möglichkeit der Beteiligung an Kommunalpolitik. Ein Element der direkten Demokratie also. Das befürwortet Ralf-Uwe Beck vom Verein „Mehr Demokratie“ ausdrücklich, nennt es aber „das letzte Mittel“. „Es gibt zahlreiche Möglichkeiten der Beteiligung – der Bürgerentscheid kommt dann zum Tragen, wenn die anderen Möglichkeiten nicht gewirkt haben.“
Ein ehrenamtlicher Beraterstab
Die Einrichtung eines Bürgerrates – wie von Oberbürgermeister Daniel Schranz (CDU) angestoßen – finden 22 Prozent der Befragten gut. Ralf-Uwe Beck befürwortet Formen wie den Bürgerrat, sagt aber auch, dass es drauf ankomme, wer in so einem Rat sitze und welche Entscheidungsmöglichkeiten der Rat habe. Das Oberhausener Modell wirke „wie ein ‘ehrenamtlicher Beraterstab’ des Oberbürgermeisters“. Das sei aber nicht despektierlich zu verstehen. „Wenn er die Bürgerkompetenz in Anspruch nimmt, ist das positiv. Da kann Musik drin sein.“
17 Prozent der Befragten sind für Ombudsmänner, also unparteiischen Schiedspersonen, 16 Prozent bevorzugen Dialogforen. Sieben Prozent antworten mit „weiß nicht“, drei Prozent machen gar keine Angaben, weitere zwei Prozent sprechen sich für sonstige Möglichkeiten der Beteiligung aus.
Unterschiede zwischen den Stadtteilen sind gering
Die Unterschiede zwischen den Stadtteilen sind gering. Die Sterkrader sprechen sich deutlich seltener für einen Bürgerrat aus (17 Prozent), dafür aber häufiger für Dialogforen (21 Prozent). Osterfelder (29 Prozent) und Alt-Oberhausener (24 Prozent) stehen der Idee des Bürgerrates deutlich aufgeschlossener gegenüber, sind aber seltener für Dialogforen (14 Prozent in Osterfeld, zwölf Prozent in Alt-Oberhausen) zu begeistern.
Vor allem jüngere Befragte unter 30 Jahren sehen Bürgerentscheide als geeignetes Mittel der Bürgerbeteiligung. Am höchsten liegt die Zustimmung bei den 20- bis 29-Jährigen: 42 Prozent. Ombudsmänner sind in den jüngeren Altersschichten (14 bis 29 Jahre) weniger beliebt – sie bekommen nur zehn bis elf Prozent Zustimmung. Die Über-70-Jährigen können dieser Idee deutlich mehr abgewinnen: 25 Prozent wünschen sich Schiedspersonen. Laut Ralf-Uwe Beck liegt das daran, dass ältere Bürger eine größere Erfahrung mitbrächten, welche Beteiligungsmöglichkeiten überhaupt möglich seien – viele hätten diese beispielsweise im betrieblichen Umfeld kennengelernt. „Von Ombudsmännern haben 19-Jährige hingegen oft noch nie etwas gehört.“
Je älter, desto unsicherer
Bei den jüngsten Befragten (14 bis 19 Jahren) ist die Verteilung auf drei größere Beteiligungsmöglichkeiten zu beobachten: Bürgerentscheide (37 Prozent), Bürgerrat (27 Prozent) und Dialogforen (20 Prozent). Auffällig ist, dass die Befragten desto unsicherer sind, wie die Bürgerbeteiligung verbessert werden kann, je älter sie sind: In den Altersgruppen unter 49 Jahren liegt der Anteil von denen die „weiß nicht“ sagen oder gar keine Angaben machen, bei unter zehn Prozent. Bei den 60- bis 69-Jährigen sind es rund 15 Prozent, bei den Über-70-Jährigen sagen 20 Prozent „weiß nicht“ oder machen keine Angaben.
Der Bürgerrat des OB nahm am 5. Juli, kurz vor der Befragung durch die Universität Duisburg-Essen, seine Arbeit auf. Drei Mitglieder schildern ihre Eindrücke und erzählen von ihren Erwartungen an die Mitarbeit im Bürgerrat.
Das Sprachrohr der Oberhausener
Sie kommen aus verschiedenen Stadtteilen, die Frauen und Männer sind unterschiedlichen Alters und haben zum Teil Migrationshintergrund. Die Auswahl erfolgte nach diesen Kriterien, um die Stadtgesellschaft möglichst gut abzubilden: 15 an der Zahl sind es, Oberhausener, die sich im Bürgerrat versammeln, um Oberbürgermeister Daniel Schranz (CDU) zu aktuellen politischen Fragen zu beraten. Er selbst will dadurch näher am Puls der Zeit sein – dem Volk aufs Maul schauen. „Der Bürgerrat ist für mich ein Instrument, um genau diese Nähe herzustellen. Das interessante am Bürgerrat ist, dass man dort Menschen versammelt, die repräsentativ der Stadtgesellschaft entsprechen“, so Oberbürgermeister Daniel Schranz.
Marvin Nick (24) aus Styrum hat gerade eine Ausbildung als Speditionskaufmann in Duisburg angefangen. Er pendelt von Oberhausen dorthin, dafür lebt er viel zu gern in seiner Stadt. Sieht aber Handlungsbedarf: „Noch kann man Oberhausen retten. Die Frage ist: Wie lange noch?“
Schmachtendorferin befasst sich mit Bürgerbeteiligung
Fee Thissen, 34 Jahre alt, Architektin und Stadtforscherin. In ihrem Projekt an der RWTH Aachen befasst sich die Schmachtendorferin mit dem Thema Bürgerbeteiligung. Sie kann mit den theoretischen Grundlagen helfen, „in den praktischen Prozess einzusteigen“.
Anica Berger, 53 Jahre alt, lebt in Osterfeld, geboren ist die Altenpflegerin im ehemaligen Jugoslawien. Mit 20 Jahren ist sie nach Deutschland gekommen, um Geologie zu studieren. Das hat nicht geklappt, sie ist aber trotzdem hier geblieben, in Oberhausen. „Wenn ich könnte, dann würde ich dies und jenes ändern. Mein Mann sagt mir dann: ‘Geh doch in die Politik‘. Den Aufruf, sich für den Bürgerrat zu bewerben, hab’ ich in der NRZ gelesen und sofort den Laptop aufgeklappt.“
Austausch zwischen OB Daniel Schranz und Bürgern
Am 5. Juli kamen diese drei und zwölf weitere Mitglieder des Bürgerrats im Standesamt im Schloss Oberhausen zusammen: „Es gab einen Austausch, was der OB, aber auch die Bürger, also wir, von der Arbeit erwarten“, sagt Azubi Nick. „Es war schön, eine gute Atmosphäre, um sich zu beschnuppern“, sagt Altenpflegerin Anica Berger. Oberbürgermeister Daniel Schranz habe erläutert, was er von der Zusammenarbeit erwarte: Eine Art Frühwarnsystem. „Die Themen, die die Bürger beschäftigen, kämen verzögert im Rat an“, erinnert sich Fee Thissen an die Worte des Bürgermeisters.
Themen sammelten die Bürger selbst. Bei der nächsten Sitzung am 20. September stehen Integration und die Flüchtlingsthematik auf der Tagesordnung. Kleine Impulsreferate von den Mitgliedern des Bürgerrats bilden die Grundlage für die Sitzung. Weitere Themenbereiche stehen schon fest – Soziales, Pflege, Gesundheit, Infrastruktur, die Entwicklung der Innenstadt.
Zu wenig Angebote für junge Menschen
„Außer der Neuen Mitte gibt es wenig für junge Menschen“, sagt Marvin Nick. Eine Hochschule könne helfen, Jüngere in der Stadt zu halten. Wie er bedauert auch Fee Thissen die Entscheidung, dass die Straßenbahnlinie 105 nicht verlängert wird. Aber entscheiden kann der Bürgerrat selbst nicht. „Wir können Sprachrohr sein. Die Stimmung in der Stadt, durch Freunde und Bekannte aufnehmen“, sagt Thissen, aber „bestimmte Themen brauchen Fachkompetenz.“ Es sei wichtig, „dass man den Leuten eine Stimme gibt.“
„Ich lebe hier, und lebe wach, mit meinen Mitmenschen, mit meinem Umfeld und meiner Stadt“, sagt Anica Berger. „ich möchte nicht nur hier wohnen.“ Der Bürgerrat helfe, Bürgernähe zu schaffen, indem die Politik „ein Ohr hat für die Bürger“, so Berger.