Styrum. . 116 Stufen sind zu bewältigen, um die Geheimnisse des Kirchturms in Oberhausen-Styrum zu erkunden.
Täglich von sieben Uhr in der Früh bis um sieben Uhr am Abend ertönen die fünf Glocken im Kirchturm der St.-Josef-Kirche. Früher, bevor neu angebrachte Schallfenster es verhindern konnten, tummelten sich Taubenvölker im Gebälk des Turms. Wenn also die Herz-Jesu-Glocke zu jeder vollen Stunde erschallt, sendet der 75 Meter hohe Turm in alle Richtungen sein himmlisches Signal.
Anlässlich des zweiten Styrumer Marktes lud die Gemeinde nun zu einer informativen Kirchturmbesteigung in 40 Metern Höhe ein.
Bedrohliche Enge und Dunkelheit
Vor dem Aufstieg über 116 Stufen sammeln sich die etwa ein Dutzend Teilnehmer in der St.-Josef-Kirche, wo Pastor Holger Schmitz mit einer Ansprache zur Entstehungsgeschichte des Gebäudes in den 1870er Jahren beginnt. Der Bauherr Friedrich von Schmidt hat eine gotisch anmutende Kirche mit einer Maximalhöhe von 75 Metern errichten lassen, deren markanter, spitzer Turm Ziel dieser Führung ist. Noch während Schmitz in lässigen Bluejeans und Kollar spricht, erklingen über den Teilnehmern schon die ersten Glockenschläge.
Eine weiß lackierte Wendeltreppe führt in ihrer bedrohlichen Enge und Dunkelheit zur ersten Station. Zwischen bunt verglastem Westfenster und der Rückseite der Orgel stehend blicken die Teilnehmer in eine riesige Öffnung über sich.
„Durch dieses Loch holte man früher per Seilzug die Glocken zur Reparatur und Aufwertung rein“, erläutert der Pastor in seiner beeindruckenden Rede über die Herstellung von Kirchenglocken. Zweiter Halt ist der Dachboden über dem Mittelschiff der Kirche, von dem aus sich das Gewölbe von oben im Neonröhrenlicht betrachten lässt. Auch das alte Uhrwerk der Kirchuhr ist nebenan zu bewundern, welche mittlerweile elektrisch und nicht mehr mechanisch betrieben wird. Immer weiter und höher führen die hölzernen Wendeltreppen, deren muffigen Flure mit der Höhe immer beengter zu werden scheinen.
Glockenspiel und Kindertränen
Als Höhepunkt der Kirchturmbesteigung findet sich an der dritten und letzten Station die Glockenfamilie mit ihren fünf Exemplaren in der Spitze des Turms wieder. Die Besucher stampfen ein letztes Mal eine der schmalen Holztreppen hoch, wo sich gerade eben genügend Platz für alle Anwesenden findet. Noch einmal beschreibt der Pastor die fünf Glocken, diesmal jedoch aus direkter Nähe. Als er kräftig an der eine Tonne schweren Herz-Jesu-Glocke rüttelt, dessen Patina-überzogene Kupfer-Zinn-Oberfläche von einer Darstellung des Lanzenstiches geschmückt wird, schallt es so laut, dass man sich die Ohren zuhalten muss. Ein kleines Kind beginnt in den Armen des Vaters zu schreien, und der Wind pfeift unbeirrt weiter durch die Schallfenster des Turms.
Herzstück der Klangfamilie ist die Josefglocke, die mit ihrem Gewicht von 5,6 Tonnen seit 1947 an ihrem Stahlgebälk im Kirchturm an der Josefstraße hängt.
„Hier ist der Ort, wo Adel und Bürgertum vor Jahrhunderten zusammen kamen, um gemeinsam die Messe zu feiern, und wo der Pöbel in den hintersten Reihen Platz nahm“, posaunt Kirchturmbesucher Franz-Josef Buron (56) mit energischer Stimme von der Orgelempore der St. Josef-Kirche aus. Was nicht ganz auf die 1875 erbaute Kirche zutrifft, wie Pastor Schmitz indes beim Absteigen der Wendeltreppen korrigiert: „Orgelempore bleibt erst mal nur Orgelempore.“
Wer Interesse an einer Führung zur Entstehungsgeschichte des Glockenturms und der Kirche selbst hat, ist eingeladen, bei der Kirchenverwaltung anzufragen. „Auch wenn es sich hier nicht um einen klassischen Aussichtsturm handelt, machen wir das gerne“, fügt Schmitz hinzu und verabschiedet sich mit einem Lächeln.