Oberhausen. Ein 15-Jähriger stach am Wochenende in Oberhausen auf einen anderen jungen Mann ein. Armin Nixdorf versucht zu erklären, wie es zu Jugendgewalt kommt.
Jugendliche streiten. Plötzlich zieht ein 15-Jähriger ein Messer und sticht es einem der Gegner in den Bauch. So geschehen am Bahnhof Oberhausen am Wochenende. Warum nur, fragt man sich da, sind so junge Menschen schon so gewalttätig.
Erfolgreiche Strategie
Armin Nixdorf, Leiter der Jugendgerichtshilfe, arbeitet seit vielen Jahren auch mit gewalttätigen Jugendlichen und weiß, warum manche diesen Weg wählen. Nixdorf spricht, grob gerastert, von drei Entwicklungslinien. Im ersten Fall läuft die ganze Biografie aus dem Ruder. „Da können Erziehungsfehler vorliegen, Opfererfahrung, Perspektivlosigkeit“, nennt Nixdorf Ursachen. Der Jugendliche lernt bei diesem Verlauf, Gewalt für sich als Mittel zum Zweck einzusetzen. „Für ihn wird Gewalt normal, sie wird zur erfolgreichen Strategie“, erklärt Nixdorf.
Fall zwei erleben die Mitarbeiter der Gerichtshilfe am häufigsten. „Das sind die Menschen, bei denen Gewalt ein entwicklungsbedingtes Phänomen ist“, sagt Nixdorf. Die Jugendlichen sind womöglich in der Pubertät, ihre Hormone schießen über, sie probieren Gewalt aus, bleiben aber nicht bei diesem Verhalten.
Wirklich beunruhigend nennt der Leiter der Jugendgerichtshilfe die dritte Gruppe. „Das sind Leute, bei denen es überhaupt keinen Zusammenhang gibt zwischen Biografie und Tat“, erklärt Nixdorf. Nicht, dass diese Jugendlichen die reinsten Engel wären. „Aber sie hatten keine so massiven Probleme oder Vorstrafen, dass das zu erwarten gewesen wäre“, wundert sich auch Nixdorf. „Alle schweren Gewaltdelikte in den vergangenen zehn Jahren hier in Oberhausen wurden von Tätern aus dieser Gruppe verübt“, sagt Nixdorf. Diese Art von Gewalt ist für ihn nicht zu verhindern. „Keiner der Jugendlichen aus dieser Kategorie konnte seinen Gewaltausbruch schlüssig erklären.“
Passgenaue Maßnahmen werden erarbeitet
Was passiert, wenn das Kind nun in den Brunnen gefallen ist? Nixdorf verdeutlicht: „Wir haben die Aufgabe, bei 14- bis 21-Jährigen zu ermitteln, was hinter der Tat steckt.“ Seit 2010 arbeitet die Gerichtshilfe mit einer speziellen kriminologischen Diagnostik. Die Polizei fragt bei den Jugendlichen bereits bestimmte Dinge ab und übermittelt die Informationen an die Jugendgerichtshilfe. Die kann die jungen Straftäter mit diesem Basiswissen gut in eine der drei Gruppen einordnen und passgenaue Maßnahmen erarbeiten. „Wir sind seitdem auch viel besser in der Lage, die Justiz zu beraten“, sagt Nixdorf. Er macht klar: „Es kommt nicht darauf an, wie schwer, sondern wie passgenau eine Strafe ist.“
Maßnahmen, um Gewalttäter auf den rechten Weg zurückzubringen, gibt es viele. „Die Täter-Opfer-Begegnung ist eine sehr gute“, weiß Nixdorf. Das ist eine Möglichkeit, dem Täter zu zeigen, was er angerichtet hat. Wenn der Gewalttäter zum Beispiel erfährt, dass die ganze Familie des Opfers jeden Abend zittert, dass ihr Sohn hoffentlich unverletzt nach Hause kommt.
Krankenkassen holen sich Geld zurück
Es gibt auch ein Deeskalationstraining, das drei Monate dauert. Oder für härtere Fälle das typische Antiaggressionstraining über sechs Monate. Nixdorf: „Darüber hinaus existieren viele flankierende Maßnahmen, um sich um familiäre, schulische oder etwa Suchtprobleme kümmern zu können.“
Was als Strafe nicht außer acht zu lassen ist: „Die Krankenkassen der Opfer holen sich das Geld von den Tätern zurück, und da kommen schnell fünfstellige Summen zusammen“, warnt Nixdorf.
Auch wenn so ein Fall wie der vom Wochenende Gewaltkriminalität von Jugendlichen wieder in den Fokus rückt, ist diese seit 2008 in Oberhausen doch stark rückläufig, wie Nixdorf sagt. Überhaupt geht Jugendkriminalität auch in Oberhausen leicht zurück. „Zuletzt hat es wohl wieder einen leichten Knick nach oben gegeben, aber davon ist noch kein Trend abhängig zu machen“, erläutert Nixdorf.