Berlin/Oberhausen. Natalia Verzhbovska (47) leitet künftig die liberalen jüdischen Gemeinden in Unna, Oberhausen, und Köln. Als „Revolutionärin“ sieht sie sich nicht.

„Viele Gläubige erwarten einen kleinen Mann mit Bart und schwarzem Hut“, sagt Natalia Verzhbovska, und sie meint das nicht nur ironisch. Doch mit diesem Klischee-Bild vom jüdischen Rabbiner kann sie nicht dienen.

Die 47-Jährige wird ab September die drei liberalen jüdischen Gemeinden in Oberhausen, Unna und Köln mit insgesamt rund 450 Mitgliedern leiten. Sie ist damit – 70 Jahre nach dem Holocaust – die erste Frau in einem Rabbiner-Amt in Nordrhein-Westfalen und bundesweit die fünfte Rabbinerin überhaupt. Trotzdem stapelt sie tief: „Ich bin keine Revolutionärin.“

In der Muttersprache und für die Gleichstellung der Frauen

Natalia Verzhbovska sitzt in einem Besprechungsraum der Union progressiver Juden in Deutschland, nicht weit vom Bahnhof Zoo in Berlin. Das Zimmer nebenan beherbergt eine kleine Synagoge. Tora-Rollen. Alte Bücher. Stiche an den Wänden. „Ich freue mich sehr auf meine Aufgabe in Nordrhein-Westfalen“, sagt die Frau, die vor sieben Jahren aus dem ukrainischen Kiew nach Deutschland kam, um sich am Abraham-Geiger-Kolleg in Potsdam zur Rabbinerin ausbilden zu lassen. Neben London ist Potsdam der einzige Ort in Europa, wo dieser Studiengang angeboten wird. „Deutschland ist die Heimat des liberalen Judentums“, erklärt Natalia Verzhbovska, „deshalb wollte ich hier studieren.“

Rund 105.000 Juden leben derzeit in der Bundesrepublik. Etwa 4500 von ihnen gehören der Union progressiver Juden an. Vom strengeren, orthodoxen Judentum unterscheidet sie beispielsweise die Möglichkeit, im Gottesdienst neben dem Hebräischen auch die jeweilige Muttersprache zu benutzen und die Gleichstellung von Frauen: Sie sitzen und beten gemeinsam mit den Männern, alle Gebote der heiligen Schriften gelten für beide Geschlechter. Und eben: Das Rabbiner-Amt ist auch Frauen zugänglich. „Warum soll eine Frau keine religiöse Leitfigur sein?!“, sagt Natalia Verzhbovska.

Gemeindemitglieder aus Osteuropa

Wenn Verzhbovska heute in Bielefeld in Anwesenheit von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft feierlich in ihr künftiges Amt eingeführt wird, betritt sie kein Neuland. Zu ihrem Studium in Potsdam gehörte – neben dem obligatorischen einjährigen Aufenthalt in Israel – auch ein Praktikum in ihrem künftigen Wirkungsgebiet: „Zwei Jahre lang bin ich zwischen Potsdam und Nordrhein-Westfalen gependelt“, erzählt sie, „ich beginne also nicht bei null.“ Von Köln, Oberhausen oder Unna habe sie in der Zeit allerdings nur wenig gesehen, zu sehr sei sie damit beschäftigt gewesen, den Kontakt zu den Gemeindemitgliedern aufzubauen: „Das hatte Vorrang.“

Bei ihrem Einstand wird Natalia Verzhbovska von ihrer eigenen Vita profitieren können. Wie die gebürtige Ukrainerin selbst, sind rund 90 Prozent der heute in Deutschland lebenden Juden aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion hierhin zugezogen; sie stellen auch in Oberhausen, Unna und Köln die große Mehrheit der Gemeindemitglieder. Das Gefühl der verloren Heimat, die Schwierigkeiten der Eingewöhnung in der neuen Heimat – Natalia Verzhbovska, deren Mann als Rabbiner in Moskau arbeitet und deren 21-jähriger Sohn in Kiew lebt, kann das alles gut nachvollziehen. Und sie spricht ihre Sprache.

Musik in der Synagoge

Und wenn die einmal nicht reicht, setzt Natalia Verzhbovska auf die Musik: „Musik spielt in den Gottesdiensten der liberalen Juden eine wichtige Rolle.“ Auch das ein Unterschied zum orthodoxen Judentum, beim dem Musik in der Synagoge eher verpönt ist. Natalia Verzhbovska hat sogar ihre Masterarbeit über den Gebrauch der Orgel in jüdischen Gottesdiensten geschrieben. Sie sagt: „Ich bin über die Musik zur Religion gekommen. Musik hilft sehr, religiöse Gefühle auszudrücken.“ Egal, ob in Kiew, Potsdam oder Oberhausen.