Oberhausen. Kein früher Amtsverzicht – Wehling sieht keine Mitschuld an SPD-Verlusten. Was das langjährige Stadtoberhaupt über seine Partei in Oberhausen denkt.
Herr Oberbürgermeister, wie erklären Sie sich, dass die SPD bundesweit bei 25 Prozent dümpelt?
Wehling: Die CDU hat seit 2005 immer wieder politische Erfolge für sich reklamiert, die von der SPD entweder zuvor oder seitdem erreicht wurden. Das hat der SPD-Zustimmung geschadet. Entscheidend ist auch, wie man nach außen auftritt: Wähler mögen keine innerparteilichen Streitereien. Wir sind in Oberhausen bei wichtigen Entscheidungen immer geschlossen aufgetreten, von der Bundes-SPD kann man das nicht sagen. Ein Faktor ist sicherlich auch die Nachwirkung der Agenda 2010 unter Kanzler Gerhard Schröder, in Oberhausen hatten darunter viele Menschen finanziell zu leiden.
Die Zeit deutlicher Mehrheiten ist aber auch für die SPD in Oberhausen vorbei. Was haben die Sozialdemokraten hier falsch gemacht?
Wehling: Es hat seit 40 Jahren ein Strukturwandel auch in der Kommunalpolitik stattgefunden, der es SPD-Politikern vor Ort schwerer machte, für die Mehrheit der Bürger zu agieren. Für mich steht dabei das Auftreten neuer Gruppen im Vordergrund: von Bürgerinitiativen über die Grünen bis zu den Linken. Leider hat sich auch eine gewisse Behäbigkeit breit gemacht nach dem Motto: Es läuft ja alles ganz gut, die Mehrheiten sind sicher, da brauche ich mich als Einzelner nicht mehr so intensiv zu kümmern. Insgesamt ist aber in der Bevölkerung ein Mentalitätswandel festzustellen: Immer weniger Menschen möchten sich langfristig binden und sich engagieren.
Ein Indiz dafür ist ja die gesunkene Wahlbeteiligung. Nicht einmal jeder zweite Oberhausener hat den Rat gewählt. Ist das eine Gefahr für die Demokratie oder ist dieser Negativtrend egal, denn gewählt ist gewählt?
Wehling: Nein, das ist überhaupt nicht egal, sondern besorgt mich sehr. Der Trend unterhöhlt die Akzeptanz von Entscheidungen des Rates. Die Demokratie basiert ja gerade darauf, dass möglichst viele Bürgerinnen und Bürger mitmachen. Gut ist, dass der Landtag nach der Sommerpause wieder eine Prozenthürde von drei Prozent für die Kommunalwahlen einführen will, um die Zersplitterung der Parteien im Rat zu verhindern.
Trotz der sinkenden Wahlbeteiligung wollen immer mehr Bürger bei Projekten in ihrer Nachbarschaft mitsprechen. Wurde dieser Trend von der SPD in Oberhausen zu lange unterschätzt?
Wehling: Ich halte es für sehr wichtig, den Bürgern ihre Mitwirkungsmöglichkeiten aufzuzeigen und sie bei Umgestaltungen aktiv zu beteiligen. So sollte man etwa alle Anwohner bei Straßenumbauten rechtzeitig informieren statt im Nachhinein Flugblätter zu verteilen. Unterschätzt haben wir den Trend nicht, eher haben wir den Fehler gemacht, zu wenig als Kümmerer in den Stadtquartieren aufgetreten zu sein. Wer in den Vierteln verankert ist, weiß, was Bürger bewegt. Daran müssen wir Sozialdemokraten arbeiten.
Für das relativ schlechte Abschneiden Ihrer Partei bei der Ratswahl im Mai vergangenen Jahres wurden auch Sie verantwortlich gemacht. Sie haben Ihr Amt nicht frühzeitig abgegeben, so konnte die Ratswahl nicht mit der OB-Wahl zusammenfallen. War das im Nachhinein für die SPD schädlich?
Wehling: Zunächst einmal bin ich ja von den Bürgerinnen und Bürgern mit deutlicher Mehrheit bis zum 20. Oktober 2015 gewählt worden. Wir haben uns nach der Ratswahl sehr intensiv mit dem Ausgang der Wahlen in den Revierstädten beschäftigt. Man kann nicht erkennen, dass die Entscheidung des Oberbürgermeisters oder Landrats in einigen Städten, anderthalb Jahre früher sein Amt niederzulegen, grundsätzlich einen Vorteil für die SPD bei der Ratswahl geboten hat.
Also geben Sie sich keine Mitschuld an den Wahlverlusten der Oberhausener SPD?
Wehling: Nein! Es waren andere Umstände. 25 Jahre Haushaltssanierung haben tiefe Spuren in der Zuversicht der Bürger hinterlassen. Die Wahlverluste der SPD kann man nicht an einer Person und ihrer Arbeitsleistung festmachen. Ich habe mir nicht vorzuwerfen.
Seit der Ratswahl regiert in Oberhausen die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP, die aber nur mit der OB-Stimme eine Mehrheit hat. Ist deshalb die Ausübung Ihres Amtes schwieriger geworden?
Wehling: Nein, wir haben früher ja schon einmal eine Pattsituation gehabt. Da ging keine Entscheidung im Rat verloren. Im Gegenteil: In der heutigen Dreier-Koalition ist es sogar für die Opposition angesichts der Verhältnisse im Rat schwieriger geworden, ein schlagkräftiges Bündnis gegen die Ampel zu schmieden.
Sollte bei der OB-Wahl der CDU-Spitzenkandidat gewinnen, kann dann Oberhausen schwieriger regierbar werden, dauern dann Entscheidungen noch länger? Oder ist das nicht maßgeblich?
Wehling: Doch, das ist es schon. Ich glaube nicht, dass das ohne Folgen für die Regierbarkeit Oberhausens wäre. Es würde bedeutend schwieriger, Entscheidungen im Rat durchzubringen. Von daher ist es im Interesse unserer Stadt, das Apostolos Tsalastras Oberbürgermeister wird.
Sie erleben seit 1979 die Arbeit im Rat der Stadt. Hat sich die politische Kultur in dieser Zeit geändert?
Wehling: Ja, sehr stark sogar – und das leider nicht zum Guten. Heute fehlt zu oft der Respekt Personen und Ämtern gegenüber. Früher hat man sich auch nach heftigen Debatten im Rat anschließend in lockerer Runde getroffen, unabhängig davon, welcher Partei man angehörte. Heute verspürt man nach so hitzigen Ratssitzungen wie in der letzten Zeit mit persönlichen Anfeindungen und Verunglimpfungen verständlicherweise keinen Wunsch mehr, sich gemeinsam zu treffen. Das sollte so nicht sein. Auch zwischen Stadtverwaltung und Politik muss es im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung ein konstruktives Miteinander geben.
Bald haben Sie mit alldem nichts mehr zu tun. Wie stellen Sie sich Ihre Rolle als Ruheständler nach dem 20. Oktober, Ihrem letzten Arbeitstag, vor?
Wehling: Ein kluger Mann hat mal gesagt, man soll einen Schnitt machen, mit dem Thema abschließen und nicht mehr ins Rathaus gehen. Darüber habe ich lange nachgedacht – und ich weiß nun, dieser Mann hat völlig Recht. Wenn ich aber mit meiner 36-jährigen kommunalen Erfahrung um Rat gefragt werde, dann helfe ich gerne weiter. Mir würde eine Rolle als Ombudsmann gefallen – als Fürsprecher für die Bürger. So habe ich es auch in meiner Amtszeit gehalten. Ich werde mich mehr ehrenamtlich engagieren, etwa bei der Arbeiterwohlfahrt. Insgesamt aber langt es mir, wenn ich bei dem einen oder anderen in Erinnerung bleibe als jemand, der sich gekümmert hat, der geholfen hat.
Das Interview mit Oberbürgermeister Klaus Wehling führte Peter Szymaniak.