Mülheim. Moderner Aufklärungsunterricht scheint in Mülheim, im Gegensatz zu den Schulen in Süddeutschland, unumstritten. Denn heute werden Kinder schon früh mit dem Thema Sex konfrontiert. Dabei werden die Kinder in Mülheimer Schulen altersgerecht aufgeklärt und die Eltern über den Unterricht informiert.
Ein Kulturkampf wütet in Baden-Württemberg. Eltern laufen Sturm gegen den Sexualkunde-Unterricht, seitdem er Schwulsein, alternative Sexpraktiken und Schwangerschaftsabbruch stärker thematisiert. Sie befürchten eine zu frühe Sexualisierung ihrer Kinder. Auch in Mülheim sowie in ganz NRW ist Aufklärungsunterricht vorgeschrieben und muss unter anderem Homosexualität behandeln. Ob dies hier ebenfalls zu Konflikten führt, hat die WAZ bei Mülheimer Schulen nachgefragt.
„Beschwerden hat es bei uns noch keine gegeben, obwohl wir einen großen Migrantenanteil haben“, sagt Simone Dausel, Rektorin der Grundschule Styrum. Homosexualität müsse selbstverständlich behandelt werden, so Dausel, „gerade für Kinder aus Familien, die nicht offen über Sex reden.“ Dass die Aufklärung in der dritten Klasse beginnt, sei sogar sehr wichtig. „Die Kinder sind heute überall mit Sexualität konfrontiert, verstehen aber nicht, was sie im Fernsehen oder auf Plakaten sehen. Einige Drittklässler schauen sogar schon Pornofilme im Internet.“
Schüler benutzen Schimpfwörter, die sie nicht verstehen
Wie unsere WAZ-Umfrage ergab, ist der moderne Sexualkunde-Unterricht auch an weiterführenden Schulen in Mülheim kein Problem für Familien. Das liege mitunter daran, dass nicht mit der Brechstange, sondern altersgerecht aufgeklärt werde und dass die Schulen die Eltern ausgiebig über den Unterricht informierten. „Bislang gehen die Mülheimer Eltern sehr verantwortungsbewusst mit dem Thema um“, weiß Grit Freiberg-Scheidt, Biologielehrerin an der Realschule Mellinghofer Straße.
Einig sind sich die Lehrerkollegen übrigens auch, dass der Sexualkunde-Unterricht Schüler nicht animiert, Geschlechtsverkehr viel zu früh auszuprobieren. Zwar komme es immer noch vor, dass Teenager ungewollt schwanger würden, dabei handle es sich aber um Einzelfälle. Ohnehin schade die Sexualerziehung den Kindern und Jugendlichen nicht, sondern sei wichtig für ihre Persönlichkeitsentwicklung, so die Pädagogen. „Schließlich ist nichts kindgerechter, als die Fragen der Kinder zu beantworten“, sagt Lehrerin Grit Freiberg-Scheidt.
Plädoyer für frühe Aufklärung
Kinder seien trotz des Internets heute nicht weiterentwickelt als frühere Generationen, sagt Barbara Kusch von der Sexualitätsberatungsstelle der Mülheimer Awo. „Übers Internet kommen sie aber mit Menschen und Dingen in Kontakt, die sie in ihrer Entwicklungsstufe überfordern. Deswegen schlafen sie jedoch nicht deutlich früher mit ihren Partnern.“ Dennoch sei ein Profil in sozialen Netzwerken inzwischen ein Statussymbol. Habe man sich früher eine Lederjacke angezogen, um cool zu sein, benutzten Jugendliche heute eher sexualisierte Sprache oder verschickten gedankenlos Selbstbilder vom Masturbieren.
Zudem stießen sie auf verbotene, gewaltverherrlichende Pornos, die sie oft verstörten (in Mülheim seien Grundschüler hier die Ausnahme). „Sie sind aber nicht gewalttätiger, sondern durcheinander.“ Sie fragten sich etwa, ob ihre Mütter bestimmte Sexpraktiken auch nutzen. Daher sei Sexualkunde enorm wichtig. Auch, um Geschlechterrollen der Internet-Pornos zu korrigieren. Früh aufzuklären, hält Kusch ohnehin für richtig und nötig: „Aufklärung ist auch Prävention gegen Missbrauch und sexualisierte Gewalt.“ Sie diene Opfern, um Missbrauch zu erkennen und zu verbalisieren.