Lea-Sophie, Kevin und die anderen, die misshandelt und vernachlässigt werden, oder verhungern. Brigitte Mangen vom Kinderschutzbund NRW sprach mit der WAZ über die Möglichkeiten der Prävention.

„Die Lobby für Kinder” steht unter dem blauen Logo. Vor mehr als 30 Jahren rief Brigitte Mangen den Mülheimer Ortsverband des Kinderschutzbundes ins Leben und engagiert sich ehrenamtlich als stellvertretende Vorsitzende im Landesvorstand.

Irgendwo wird immer ein Kind misshandelt, vernachlässigt oder es verhungert.Mangen: Wobei die Zahlen von Vernachlässigung senkrecht in die Höhe gehen. Einerseits erschüttern uns diese Zahlen, andererseits überhaupt nicht. Denn durch die Berichte in der Presse werden sowohl die Jugendämter als auch die Nachbarn sensibler. Die Anrufe bei den Jugendämtern werden deutlich mehr.

Welche Möglichkeiten haben die Jugendämter?Mangen: Es gibt die Inobhutnahme und die Herausnahme. Bei ersterem gehe ich in die Familie, hole das Kind da raus mit Zustimmung der Eltern für eine Nacht oder ein paar Tage und dann geht das Kind wieder zurück. Das ist so eine Art erste Hilfe. Die Herausnahme ist gegen den Willen der Eltern. Wenn es also wirklich brennt, dann muss was passieren. Die Jugendämter kommen auch immer mehr in die Schusslinie. Es ist ja mittlerweile so, dass Jugendamtsmitarbeiter angeklagt werden oder Beigeordnete.

Haben Kindesmisshandlungen etwas mit den veränderten Familienstrukturen zu tun?Mangen: Man muss sehen, dass eine Familie nicht nur der Hort von Geborgenheit und Zuwendung ist, sondern unter Umständen auch „eine Gefahr” darstellen kann. Denn in den allerersten Jahren sind die Kinder sozusagen im Schoße der Familie unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ab dem Kindergartenalter gucken die Erzieherin und andere drauf. Durch die Berichterstattung der Medien achten die Jugendämter bewusster darauf, gehen hin, wenn eine Meldung kommt – aber immer noch nicht genügend.

Müssen sie gesetzlich eine bessere Handhabe bekommen?Mangen: Seit 2005 gibt es den Paragraphen 8a im Jugendhilfegesetz, der den Jugendämtern eine größere Verantwortung zuschiebt. Das heißt aber auch, dass das Jugendamt jetzt mit den Verbänden, mit freien Trägern, zusammenarbeiten muss, für die aber die gleich Verpflichtung gilt.

Ist das für die Mitarbeiter leistbar? Ich gehe mal davon aus, dass die Jugendämter nicht mehr Personal bekommen.Mangen: Das ist ja eben das Problem. Die Jugendämter müssten mit mehr Personal ausgestattet sein, und zwar auch mit mehr Fachleuten.

Da ist vom Spruch „Kinder sind unsere Zukunft” nicht viel spürbar.Mangen: Aber sie sind auch unsere Gegenwart, das vergisst man oft. Es gab Anfang der 90er Jahre eine Sache, gewachsen im Kinderschutzbund, von einem Professor der Uni-Klinik Essen, mitgebracht aus Holland: die ärztlichen Beratungsstellen. Ein Schritt in die richtige Richtung.

Mit welchem Konzept?Mangen: Es sind Beratungsstellen, in denen ein Pädagoge und ein Kinderarzt zusammenarbeiten. Die haben wir in Mülheim damals gegründet. Die Kombination ist gelungen, weil man beide Komponenten hat. Eine Misshandlung besteht nicht nur aus Körper, sondern auch aus Seele. Diese Stelle ist im Büro des Kinderschutzbundes untergebracht und die Kinderärztin ist Frau Dr. Ursula Faubel, die auch Vorsitzende des Mülheimer Kinderschutzbundes ist.Was kann man noch tun?Mangen: Ein Projekt, das sehr gut ankommt, und das ich auch für effektiv halte, ist im Kinderschutzbund entstanden. Eine Mitarbeiterin hat es aus Finnland mitgebracht: Starke Eltern – starke Kinder. Einfach über die Eltern drangehen, denn bei den Eltern fängt die Unsicherheit an. Es gab ja schon Fälle, wo Eltern ihr Kind beim Jugendamt abgegeben haben mit den Worten: Wir können nicht mehr.

Was sind Ihre Forderungen?Mangen: Es wäre schön, wenn der Kinderschutzbund im Jugendhilfeausschuss der jeweiligen Kommune vertreten wäre. Mein großer Wunsch ist, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen. Das Land Bremen hat im Bundesrat eine Eingabe gemacht. Tierschutz ist ja schon im Grundgesetz, vielleicht schaffen wir das mit dem Kinderschutz auch noch. Interview: Margitta Ulbricht